Auf Betriebstemperatur: Warm-up für die Trompete

Wie wärme ich mich richtig auf? Das ist eine Frage, die viele Trompeter beschäftigt und die Geister scheidet. Eine klare Antwort ist möglicherweise gar nicht zu geben, weil für unterschiedliche Spieler nur unterschiedliche Methoden zum gleichen Ziel führen: nämlich bereit zu sein, Musik auf dem Instrument dann umzusetzen, wenn es nötig ist.

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Schon aufgewärmt? Die Körpertemperatur sollte sich beim Einblasen nicht erhöhen. So manch einer übertreibt es aber gerne.

Die Lippen sind kein einfaches Werkzeug wie ein Hammer. Dem ist es egal, ob er jahrzehntelang in einem kalten Keller liegt. Rausgeholt, draufgeschlagen und der Nagel ist versenkt. So funktioniert das bei uns Kesselmundstückbläsern leider nicht.  Wir benutzen unseren Körper zur Tonerzeugung, müssen dabei die benötigten Körperteile (es sind ja nicht nur die Lippen involviert) aktivieren und deren Zusammenspiel justieren. Gerne spricht man wie im Sport von Aufwärmen, spezifischer: vom Warmblasen. Ein echtes thermisches Warm-up (wie beispielsweise im Motorsport bei Reifen und Öl) kennt aber nur das Material, also die Trompete. Wer ins Schwitzen gerät, ist definitiv schon über Ziel hinausgeschossen.

Klarer Konsens: die wichtigsten Komponenten des Warm-ups

Wie aber aktiviert man seine Lippen bzw. den gesamten „Blasapparat“ richtig? Wie werde ich vor dem Frühschoppen schnell fit, ohne bereits viele Stunden vorher aufgestanden zu sein und nach der morgendlichen Joggingrunde noch eine Stunde irgendwelche Einblasexerzitien absolviert zu haben? Wie bin ich am Abend für das Konzert punktgenau voll leistungsfähig? Der TrumpetScout stellt im Folgenden zusammen, was er aus Interviews, Gesprächen, Büchern und unzähligen Youtube-Tutorials als Konsens-Wissen exzerpiert hat. Man könnte die pauschalen Ideen auch als großen gemeinsamen Nenner bezeichnen. Sie lassen viel Freiraum, geben aber eine gute Guideline. Und gelten selbstverständlich nicht nur für Trompeter, sondern auch für Posaunisten, Hornisten, Tubisten etc.

1. Rege die Durchblutung an

Das mit dem Joggen ist gar nicht so weit hergeholt. Die Lippen sind Muskeln wie der Bizeps auch. Der ist dann am besten für eine Belastung gerüstet, wenn er gut durchblutet ist. Direkt nach dem Aufstehen ist das bei den Lippen nicht der Fall. Dann Töne zu blasen, fällt einem schwerer als wenn man schon 12 Stunden auf den Beinen ist und den ganzen Tag geredet hat. Mit gezielten Maßnahmen kann die Durchblutung aber gefördert werden. Gesichtsgymnastik à la Jim Carrey ist dabei nicht das probate Mittel, da vor allem der schwingende Teil der Lippen aufgeweckt und nicht das Drumherum schon wieder müde werden soll. Lockern vor dem Anspannen lautet die Devise. Das funktioniert am besten mit dem Ausblasen von Luft bei einer Mundöffnung, die dazu führt, dass die Lippen bei einer ganz niederen Frequenz schwingen. Zur Veranschaulichung: Es klingt wie in die Welt entlassene Blähungen.

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The lips are moving… Free buzz, also ohne echte Maske wird diese durchblutungsfördernde Maßnahme auch genannt, die unschöne Geräusche produziert.

Hierbei kann man mit Öffnung und Spannung variieren und so einen größeren oder kleineren Teil der Lippenmuskulatur in Schwung bringen. Schon wenige Sekunden reichen aus und man spürt ein leichtes Kribbeln. Das ist untrügliches Zeichen dafür, dass man mit seinem Tun erfolgreich war. Das kann man zwar nicht beim Frühstück machen, aber unter der Dusche oder im Auto oder – wenn man es sich traut – auch auf der Straße auf dem Weg zum Gig. Was übrigens die Durchblutung auch fördert, ist handelsüblicher Blutverdünner, den die meisten zuhause haben: Aspirin. Wer eine anstrengende Nacht hatte oder einen strapaziösen Auftritt am Abend zuvor, kann mit einer Tablette nicht nur Kopfschmerzen behandeln, sondern auch müde Lippen schneller wieder munter machen. Viele Profis machen das so!

2. Longtones: Leise Töne länger halten

Es gibt kaum Profi-Trompeter, deren Einblas-Routine am Instrument nicht mit Haltetönen startet. Es bieten sich solche zwischen C1 und G1 an, da sie „kalt“ am besten ansprechen, es für die Erzeugung wenig Energie und Gegendruck braucht und die Lippen aber auch nicht zu langsam schwingen wie etwa im ganz tiefen Register.

Wichtig: Leise, leise, leise. Je leiser desto besser. Whispernotes, wie etwa auch in Tobias Wiedingers Daily Routine deutlich beschrieben, wirken am besten. Man braucht sich dabei aber nicht mühevoll disziplinieren. Wird man warm, darf auch mehr Luft durch, es sollte einfach nur mühelos geschehen. Luft durch den Lippenspalt drücken zu wollen, ist schlicht die falsche Vorstellung.

Lange Töne (und auch damit ist nicht gemeint: halten bis zum Umfallen, einige Sekunden reichen schon) spielt man deshalb, um die Lippen ordentlich Schwingen zu lassen und einen kontinuierlichen Luftfluss einzuüben.

3. Going down: Nach unten binden

Es ist kein Geheimnis, aber zunächst einmal entgegen der allgemeinen Erwartung: Von einem höheren zu einem tieferen Ton zu binden, ist in vielen Fällen schwieriger als anders herum. Statt gezielt anzuspannen (dabei kann natürlich auch vieles schiefgehen), muss man gezielt entspannen. Das ist auch in anderen Lebensbereichen keine zu geringe Kunst. Auch beim Trompetespielen gibt es dabei häufig Anspracheprobleme. Die Abwärtsverbindung Tonika-Dominante-Tonika (z.B. C2-G1-C1) stockt gerade beim Einspielen gerne beim unteren Ton, bietet sich aber dennoch zur Lockerung an. Auch hier gilt natürlich: Nichts erzwingen, Gaspedal nur antippen. Von C chromatisch abwärts bis Fis oder gar in den Pedalbereich in gemütlichen Halben, auch gerne mit Pausen zwischen den einzelnen „Dreier-Teams“, regt ebenfalls die Durchblutung stark an.

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Es geht abwärts. Und das ist gar nicht so leicht wie es aussieht.

4. Übungen für bzw. der Flexibilität

Es ist verlockend, weitere Analogien zum Aufwärmen im Sportbereich zu suchen. Flexibilitäts-Etüden entsprechen dann wohl dem Stretching, oder? Nein, Sehnen und Bänder, die man dehnen müsste, sind im Gesicht nicht vorhanden. Patterns, die nur einen Griff verlangen (z.B. der Vierklang G1-H1-D2-F2-D2-H1-G1 nur mit 1-3) und die Tonveränderung ausschließlich dem System aus Lippe, Zunge, Hals etc. überlassen, sind eher wie erste Belastungen zu sehen, vielleicht ähnlich einem kurzen Sprint. Man sollte sie deshalb auch nicht zu weit treiben. Nicht zu hoch, nicht laut.

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Den Unterschied in der Tonhöhe machen nur Lippen und Zunge. An den Ventilen ändert sich nichts, jeder Ton wird mit dem gleichen Griff (hier 1-3) bewältigt. Das ist ein beinahe willkürliches Beispiel. Es kann jeder Abfolgen nach Belieben spielen.

5. Attacks: Stoßübungen

Bisher wurde ja eher zart gestoßen oder nur gehaucht und dann gebunden. Der Zungenstoß ist aber für die Musik extrem wichtig und sollte auch in das Aufwärmen mit eingebunden werden. Dem Zungenmuskel kommen bekanntlich mehrere Aufgaben zu; durch gezieltes Staccato kann ein wichtiger Beitrag zur Feinjustierung des gesamten Systems geleistet werden.



Kenny Rampton, Trompeter im berühmten Lincoln Center Jazz Orchestra, erzählt im Video oben, wie er einmal eine Unterrichtsstunde erhielt und dabei durchgehend einen Ton – jeweils auf die Eins in einem ruhigen 4/4-Takt – spielen musste. Das prägt das Zusammenspiel von Lippe, Mundraum und Zunge. Es ist egal, ob Jazz oder Klassik. Ein guter Zungenstoß ist wichtig und auch musikalisch in allen Stilrichtungen notwendig – selbst in einem Miles Davis-Solo! Attacks, ruhig im Mezzoforte oder Forte, bilden eine wichtige und so etwas wie finale Station auf dem Weg zur Spielbereitschaft.

Die Frage der Dauer: Wie lange soll ich mich einspielen?

Das ist so formuliert natürlich keine ernste Frage. „Sollen“ impliziert ein klare Regel, an die man sich blind halten kann. Die gibt es aber natürlich nicht. Fragen wir anders: Wie lange muss ich mich einspielen? Die sarkastische Antwort lautet: Solange, bist du eingespielt bist! Das kann je nachdem lange dauern. Noch einmal anders gefragt: Wie lange darf ich mich einspielen? Nicht länger als zehn Minuten!! So lässt sich also eine vage und persönliche Untergrenze und auch eine fixe Obergrenze definieren (die allerdings weit über den 30 Sekunden liegt, die von Malte Burba proklamiert werden).

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10 Minuten sind eine Obergrenze, wenn auch nicht ganz statisch. Wer aber immer deutlich länger braucht, um sich wohlzufühlen, der hat ein grundsätzliches Problem.

Wer viel länger braucht, um für reguläre Trompetenliteratur spielbereit zu sein, hat wohl eher mit einem grundlegenden Problem zu kämpfen oder übt bzw. spielt nicht täglich. Dann sucht man natürlich lange nach dem richtigen Gefühl. Ein zwingend langes Warm-up von 30 oder mehr Minuten hat nicht nur den Nachteil, dass es zeitraubend ist (oft kommt man erst sehr knapp zu einem Auftritt), sondern es ermüdet auch. Bindeübungen, lange Töne, Staccato-Noten – leise und auf einige Minuten begrenzt, sind sie der Spielform förderlich. Über eine längere Zeit kosten sie jedoch selbstverständlich auch Kraft. Und die fehlt einem dann bei der eigentlichen Aufführung.

Zur Beruhigung für die Aufwärm-Neurotiker ein Satz, den der legendäre Bud Herseth einmal gesagt haben soll: „It’s better to be underwarmed up than to be overwarmed up.“

Ausnahmen für ein Warm-up jenseits der 10 Minuten

Wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel. Liegt z.B. Latin-Literatur auf oder ein sehr hoher Leadpart in der Big Band, wird man mit dem Basis-Warm-up nicht auskommen. Es werden dann zwar keine anderen Übungen exerziert, die aber in aller Regel in das hohe Register ausgeweitet. Lip Flexibilities und Attacks, das geht natürlich auch über dem Notensystem. So tastet man sich an den späteren Arbeitsbereich heran – natürlich stets mit Pausen und ohne die Grundstufe mit langen Tönen. Der TrumpetScout konnte bei einem Konzert Thorsten Benkenstein und Tobias Weidinger beim Einblasen zuhören und zuschauen. Clarke kam da zum Einsatz und natürlich wurden auch Attacks in der Höhe geprobt. Möglicherweise sind solche Verlängerungen auch für die extrem tiefe Lage bei extremer Lautstärke, z.B. im Orchester, erforderlich.

Warum kein Buzzing?

Nicht jeder kann buzzen, nicht einmal bei den Profis. Wer es kann, sollte dieses Spielen ohne Mundstück auch einsetzen, z.B. während einer Autofahrt oder wenn man sonst auf Trompete oder Mundstück verzichten muss. Das „Brummen“ ist anstrengend, bedarf es doch größerer Anstrengung als das Blasen mit dem Mundstück, bei dem der Rand den Schwingungsbereich der Lippe klar absteckt. Der TrumpetScout (Achtung! Eigene Meinung!) hält es daher für das Warm-up nicht für sinnvoll, sofern Zeit mit dem Instrument vor dem eigentlichen Spielen bleibt – das Einblasen mit Mundstück ist dann vorzuziehen.

Warm-up ohne Routine: kein fixer Fahrplan

Rüdiger Baldauf sagte während des Gesprächs, das in ein Porträt mündete, dass er sich nicht jeden Tag gleich einspiele, weil er sich auch nicht jeden Tag gleich fühle. So geht es anscheinend auch anderen Könnern wie z.B. Håkan Hardenberger. Sie kennen aber die richtigen Rezepte, um darauf zu reagieren. Heute mehr Flexibilität, morgen mehr Stoßen, gestern ein bisschen länger bei den langen Noten verweilt. So sollte jeder ein Gefühl dafür entwickeln, wovon er gerade wie viel braucht. Eine feste Formel, die gibt es nicht.