Aus dem Schatten ins Licht: Memory mit Thomas Gansch

Eigentlich sollte Thomas Gansch einmal zu ganz profanen Dingen interviewt werden: Welches Mundstück, welche Bohrung und warum? Doch aus dem Frage-Antwort-Ping Pong wurde ein Memory-Spiel. Buchstäblich und im übertragenen Sinne. Der Ausnahmetrompeter hat sich erinnert und dem TrumpetScout aus seinem Leben erzählt.

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Thomas Gansch versteckt sich hinter Dimitri Schostakowitsch, den er sehr verehrt. Wir waren uns uneins darüber, ob Schostakowitsch und Henry Jones (der Vater von Indiana) den gleichen Optiker hatten.
Thomas Gansch versteckt sich hinter Dimitri Schostakowitsch, den er sehr verehrt. Wir waren uns uneins darüber, ob der russische Komponist und der US-amerikanische Archäologe Henry Jones (der Vater von Indiana) den gleichen Optiker hatten.

Was Thomas Gansch erzählt, ist erschütternd. Weil man es nicht erwartet hätte. Manche sagen ja über diesen Mann, er sei ein österreichischer Obelix, der als kleiner Junge in das Fass mit Zaubertrank gefallen ist, der Musikalität verleiht. Damit dürfte der Karriere auf einem Instrument eigentlich nicht viel im Wege gestanden sein. Die Wirklichkeit sieht anders aus, besonders, wenn es um die Trompete geht, man in Wien studiert und – der Bruder Hans Gansch heißt. Seine Geschichte dürfte Trost und Motivation sein für viele angehende Profis, aber auch Amateure, egal ob Klassik- oder Jazztrompeter.

„Ich kenne genau zwei Trompeter, die nicht üben müssen.“

Da Thomas Gansch und seine Hauptband Mnozil Brass für immens satten unverstärkten Sound und lange Konzerte bekannt sind, frage ich nach seinem Rezept für eine solide Ausdauer. Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: üben, üben, üben. „Trompetenspielen ist wie Bodybuilding.“ Lediglich seltene Ausnahmen gebe es: „Ich kenne genau zwei Trompeter, die nicht üben müssen. James Morrison und Andy Haderer.“ Dem ersten sei es außerdem noch egal, auf welchem Mundstück er spiele, vom zweiten wisse er aus persönlicher Erfahrung, dass es sich ohne weiteres nach einem mehrwöchigen trompetenfreien Urlaub ans Leadpult setzen könne und trotzdem souverän aufspielen. „Der Andy ist ein Weltmeister der Effizienz. Und von hundert Noten trifft er genau hundert Noten.“ Das liege an dessen Technik, die weitestgehend ohne Druck auskommt. Anders als bei Gansch selbst. Er spielt zugegebenermaßen mit viel Druck und braucht seiner Ansicht nach auch deswegen ein tiefes Mundstück wie sein Bach 3B Megatone, das er seit knapp 20 Jahren spielt. Bei einem flachen Kessel verstopften seine Lippen den Luftkanal, außerdem könne es mit diesem Mundstück klanglich sowohl sehr scharf werden, aber auch in die Breite gehen. Vielleicht müsse Andy Haderer deshalb so wenig üben, weil er gar nicht fest drücken könne und so auch mit einem seichten Kessel gut zurechtkomme.

Erinnern und Ordnen. Oder Erinnerungen ordnen. So könnte man das Gespräch mit Thomas Gansch beim Memory-Spielen beschreiben.
Erinnern und Ordnen. Oder Erinnerungen ordnen. So könnte man das Gespräch mit Thomas Gansch beim Spielen von Komponisten-Memory beschreiben.

Adam Rapas Spiel basiere z. B. ganz auf Luft, er könne stundenlang durchspielen. Der sagte zwar auch schon vor einem Konzert, er habe einen schlechten Tag, „hat dann aber alles abgeschossen.“ Wie bei vielen Trompetern wirke hier ein bisschen der Macho in einem: Das eine sagen und beim Spielen das Gegenteil beweisen. Die, die ganz hoch spielen, machten sich ja sowieso nicht so kaputt. „Die drücken nicht so fest und spielen auch nicht so laut.“

A long way down: „Ich war der kleine Bruder vom Gansch.“

Üben alleine reicht aber nicht. Viel üben auch nicht. Es muss sinnvoll sein. Das weiß Thomas Gansch besser als jeder andere. Was ihn im Gegensatz zum Gros der Kollegen außerdem belastete, war ein immenser Erwartungsdruck von Anbeginn. „Von klein auf haben mir alle gesagt, ich werde Trompeter und ich werde noch besser als der Hans. Ich wollte eigentlich gar nicht.“ Hans, das ist Hans Gansch, der ebenfalls (als Klassiktrompeter) sehr erfolgreiche und 23 Jahre ältere Bruder von Thomas Gansch. Obwohl er in der Pubertät das Instrument schon aufgeben wollte, zog er mit 15 Jahren nach Wien, um das Studium der klassischen Trompete aufzunehmen. Dort kannte man natürlich den großen Namen, Bruder Hans war zu der Zeit Solotrompeter der Wiener Philharmoniker: „Ich war der kleine Bruder vom Gansch.“

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Der kleine Bruder ist groß geworden. Entspannt kann er 2016 seinen 40er feiern.

In Wien ging er durch die harte Schule von Josef Pomberger. „Ihm bin ich sehr dankbar, denn ich habe gelernt, was ich alles nicht will.“ Insofern war es nicht nur verlorene Zeit, wenngleich sich das Trompetenspiel drastisch verschlechterte: „Nach drei Jahren habe ich keinen Ton mehr spielen können. In meine Lippe war das Mundstück weiß eingraviert und nach zwei Zeilen hat sie zu bluten angefangen. Der Professor hat nur gesagt: ‚Du bist zu faul und übst zu wenig.'“ Mit 15 habe er alles geglaubt, was die Lehrer sagten, natürlich auch die in Wien üblichen Mundstücke und Trompeten gespielt, wie es der diktatorische Duktus verlangte. Für das Betreten alternativer Wege wurde man abgestraft, so z. B. als Gansch seinem Mentor gestand, einen Kurs bei Malte Burba besucht zu haben. Die Frage, ob ein derart absolutistisches Studium immerhin auf musikalischen Ausdruck und Stilbildung abziele, wird klar verneint: „Es war eine reine Herstellungsmaschine für Orchestertrompeter.“ Das Resultat augenscheinlich mittelalterlicher Methoden und „pädagogischer Ahnungslosigkeit“ waren laufend letzte Plätze bei Probespielen und natürlich Frust und Scham, nicht nur beim jungen Studenten selbst: „Mir haben in den größten Krisen alle gesagt, ich sei Schuld, der Lehrer könne nichts machen, wenn ich faul bin. Meine besten Freunde, mein Bruder. Alle waren fertig, weil ich es nicht schaffte, in seine Fußstapfen zu treten. Mein Bruder hat sich geschämt, ich habe mich geschämt, alle haben sich geschämt.“

„Die Entscheidung, selber nachzudenken, war die Rettung.“

Nach drei Jahren kontinuierlichem Abstieg hat Thomas Gansch eine Entscheidung treffen müssen: aufhören oder neu anfangen. Er entschied sich für den Neustart und wechselte zum Konkurrenten seines ersten Lehrers, Adolf Holler. Ein Hahnenkampf um den Bruder des großen Hans Gansch habe ihm das ermöglicht. Dort habe er sich erstmals nur geholt, was er für gut befand und sich den Rest anderweitig besorgt. Mit dem Lehrer hat Gansch dann übrigens auch das Mundstück gewechselt – und die Einstellung. Ab diesem Zeitpunkt hört er vornehmlich auf sich selbst. Mit 21 dann war der noch immer sehr junge Österreicher dann soweit, dass er ein Probespiel erhobenen Hauptes verlassen konnte, da er mit sich selbst zufrieden war. Er war sich sicher, es als Klassiker auch schaffen zu können, wollte aber dann einmal den Jazz ausprobieren. Der Rest der Karriere ist Teil der bekannten Geschichte. Interessant ist aber dennoch die Selbstsicht auf die Entwicklung als Trompeter. Es entsteht der Eindruck einer langsamen Reifung, auch wenn es vielleicht immer wieder Momente gab, wo scheinbar ein Knoten platzte. „Richtig entspannt spielt man erst spät.“ Thomas Gansch datiert das ungefähr mit dem 30. Lebensjahr.

Gansch'n'Roses_Resal
Das letzte Gansch’n’Roses-Album neben…
Don Ellis Tribute_Bulge
…und dem Live-Mitschnitt des Don Ellis Tribute-Programm.
Gansch und Breinschmied
…der Platte des kongenialen Duos mit Bassist Georg Breinschmid…

 

Das Gansch-Horn: Früher leicht und klein, heute groß und schwer

So kam es dann wohl auch, dass ein Missgeschick in eine positive Veränderung umgemünzt wurde. Nach 27 Jahren Trompetenroutine hat der Mann mit inkonsequenter Haarpracht das Gigbag über die Schulter geschwungen und zum ersten Mal davor den Reißverschluss nicht zugemacht… Da mittlerweile eben spielerisch alles leichter ging, bekam er daraufhin von Schagerl keine neue alte, sondern eine dickwandige Large Bore-Trompete zur Verfügung gestellt. Der Unterschied sei vor der Bühne spürbar. „Bei einer Mnozil-Premiere 2003 war der Wiener Mozartsaal noch richtig dimensioniert. Sechs Jahre später war er zu klein. Man spielt die Räume aus.“

Junges Ganschhorn neben einem knapp 20 Jahre alten Bach Megatone-Mundstück. Für Thomas Gansch scheint diese Kombination ohrenscheinlich aufzugehen.
Junges Ganschhorn neben einem knapp 20 Jahre alten Bach Megatone-Mundstück. Für Thomas Gansch scheint diese Kombination ohrenscheinlich aufzugehen.

Saal ist das Stichwort. Mnozil Brass spielt überall auf der Welt. Wo am liebsten? Am wichtigsten ist den Herren die Akustik und der Kontakt zum Publikum. Wenn man außer Scheinwerferlicht nichts sieht, ist das öde. Am liebsten sind Thomas Gansch deshalb die ganz kleinen Spielorte, wie z. B. das Wiener Jazzland, die aber in der Regel nur für andere Besetzungen eine Bühne bieten.

„Über Nervosität könnte ich ein Buch schreiben.“

Nächstes Jahr wird Hans Ganschs kleiner großer Bruder 40. Es stellt sich die Frage, ob mit der Erfahrung und der erlangten Spielsicherheit Angst und Nervosität kein Thema mehr sind. „Sicher!“, platzt es da heraus, „über Nervosität könnte ich ein Buch schreiben.“ Er hat aber im Laufe der Jahre gelernt, sie in den Griff zu bekommen. „Konsequenz ist die Antwort auf alle meine Probleme. Wann war ich nervös? Entweder war ich schlecht vorbereitet oder wir waren am Vortag saufen. Alles ganz profane Gründe.“ Zur Entspannung trägt also maßgeblich eine strikte Überoutine bei: Zwei Stunden um Sechs in der Früh, am Nachmittag und am Abend noch einmal. In der Vorbereitung auf eine Tour 3,5 bis 4,5 Stunden täglich. Nach den Konzerten gilt: immer noch eine halbe Stunde Töne aushalten. „Damit habe ich viele Unsicherheitsfaktoren ausgeschaltet. Ich geh nicht an die Bar, sondern ins Hotelzimmer.“

Thomas Gansch über Mnozil Brass: „Wir sind ein altes Ehepaar.“

Fehler passieren trotzdem, auch bei der perfekt wirkenden Mnozil-Truppe. Gansch konzediert aber auch: Wenn jemand die 5te von Mahler spielt und dabei einen Giekser macht, sei das etwas anderes als wenn man einen Giekser in einem Programm produziert, das noch nie jemand gehört hat. „Bei 10.000 Noten an einem Konzertabend bei uns fallen selbst 200 Giekser nicht ins Gewicht.“

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Mnozil Brass muss man erleben, nicht nur hören…
Mnozil Brass Das Gelbe vom Ei DVD
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Wie wird ein so aufwendiges Programm eigentlich einstudiert? Für das aktuelle habe man den ganzen Januar hindurch sieben Stunden an vier Tagen pro Woche geprobt. Dazu komme aber das Üben in den eigenen vier Wänden. Dabei gebe es unterschiedliche Zugänge und unterschiedlichen Lerneifer: Manche lernen von Anfang an auswendig, manche verzichten erst peu à peu aufs Notenpapier und manche „können’s erst beim zehnten Konzert.“ Imposant ist aber, dass es dennoch keinen schwachen Tag für die Band gebe. Sobald einer einmal nicht auf der Höhe ist, kompensierten das die anderen und die Aufnahmen klängen immer gut. Kontinuität sei durch nichts zu ersetzen: „Wir sind ein altes Ehepaar.“

" Gegen Frau und Tochter habe ich beim Memory keine Chance."
„Gegen Frau und Tochter habe ich beim Memory keine Chance.“

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Auch wenn Thomas Gansch gerne von Beständigkeit und Routine im Kleinen spricht, sein Leben im Großen ist doch geprägt von Brüchen, gerade mit festen Abläufen. Als er so weit war, in den geordneten und von vielen für ihn vorgesehenen Orchesterdienst zu treten, hat er umgesattelt und etwas Neues versucht. Hätte er das nicht getan, wäre er wahrscheinlich dort geblieben, wo er begann – im Schatten seines Bruders. Statt im Dunkel des Orchestergrabens zu verblassen, strahlt er heute im Scheinwerferlicht der Bühnen dieser Welt.

Mission Selbstfindung: erfüllt.