Dr. High Note mit Mozart-Perücke: Augie Haas

Er ist bei Harry Connick Jr. Roger Ingram als Lead-Trompeter nachgefolgt, hat Haydns berühmtes Trompetenkonzert aufgemischt und trägt einen Doktortitel im Hochtonspiel. Wem das nicht sensationell genug ist, den überzeugt vielleicht sein Humor. Im Porträt: Augie Haas.

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Knuffig sieht Augie Haas aus mit seinen schwarzen Augen, den schwarzen Locken und dem runden Gesicht. Sein Mundwerk ist groß genug für sogar zwei Mundstücke.

Der erst 32-jährige Augie Haas hat schon vieles erreicht: Er kann in New York als Trompeter leben (das alleine ist schon eine Auszeichnung), einen Ph.D.-Titel vorweisen, spielt in Harry Connick Jr.s Big Band, hat eine Trompetenschule herausgebracht und sogar ein Mundstück wurde nach ihm benannt. Was ist das für ein Typ, der so sonnig und gemütlich wirkt wie ein bubenhaft freundlicher Opa auf seiner Gartenliege kurz vor der Mittagszeit, dabei aber in einem 40 Jahre jüngeren Körper steckt?

Louis Armstrong als Vorbild – musikalisch und charakterlich

Aufgewachsen ist August William Haas, wie Augie mit vollem Namen heißt, in Milwaukee, Wisconsin, also direkt an den großen Seen. Schon als kleiner Junge hörte er zusammen mit Vater und Großvater Louis Armstrong. Dessen Klang faszinierte ihn, dessen Timing und auch die Bühnenpräsenz, wenn er einmal im bewegten Bild zu beäugen war. „Er sah immer so glücklich aus, und das ist ansteckend.“ All diese Qualitäten strebt Augie ebenfalls an.

Den ersten Unterricht bekam Augie von einer professionellen Lehrerin, ebenfalls mit Doktortitel und ebenfalls mit sehr europäischem bzw. deutschem Namen, nämlich von Patricia Backhaus. Bei ihr war das Lernen kein unsystematisches Suchspiel, sie wusste, was sie dem jungen Burschen an die Hand geben musste. Mit Jazz begann er an der High School. Der Bandleader dort trieb ihn an, über die Grenzen hinauszuspielen, die er bei sich selbst sah.

Bei Augie Haas ist kein Knoten geplatzt

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Augie Haas Ton in Ton mit dem Hintergrund, in der Hand sein silbernes Spielzeug aus dem Hause Benge.

Der Lehrer am College in Chicago war sehr geduldig mit ihm. Dessen wichtigste Botschaft: vielseitig bleiben – was Haas heute als sehr wertvolle Lektion einschätzt. Echte Schlüsselmomente, in denen einem ein Licht aufgeht oder man von heute auf morgen einen großen Schritt nach vorne macht, kennt der Amerikaner scheinbar nicht. Statt einer Entwicklung in Stufen, kann man bei ihm von beständigem Wachstum sprechen. „Ich liebe aber das Sprichwort ‚Es braucht Jahre, um über Nacht entdeckt zu werden'“.

Konsequenz dieser Sichtweise ist aber ernste Vorbereitung auf jeden Gig, denn es könnte immer irgendwer in der Band oder im Publikum sein, der einen für ein anderes und manchmal eben auch ein richtig großes Engagement empfehlen könnte – vorausgesetzt man spielt gut. Deshalb ist Haas lieber „overprepared“ als schlecht vorbereitet beim Betreten der Bühne. Gute Leistung setzt eine Kettenreaktion in Gang, genauso wie schlechte. Besser ist es also, wenige Aussetzer zu haben, was durch Trainingsdisziplin erreichbar ist. „Man braucht verlässliche Musiker, die toll spielen.“ Folge dieser professionellen Einstellung war, dass er 2012 einen Anruf mit der Frage erhielt, ob er nicht Roger Ingram bei Harry Connick Jr. beerben wolle. Nur verständlich seine Reaktion: „Ich dachte mir, es wäre besten, mich sofort in meine Einzelteile aufzulösen.“ Schließlich war das nicht nur irgendeine Stelle als Lead-Trompeter, sondern eine mit großem Schatten und Spezial-Literatur, um es gelinde auszudrücken. HCJ wird in der Trompetengemeinde in einem Atemzug mit Roger Ingrams einzigartigem Trompetenspiel genannt.

Ein Jahr nahm Augie Haas Unterricht bei Roger Ingram

Diese Berufung war besonders respekteinflößend für Augie Haas, nicht nur weil er wie alle anderen Trompeter die Leistungen seines Vorgängers von unzähligen Aufnahmen kennt, sondern auch, weil er zuvor ein ganzes Jahr lang Unterricht beim Meister aus Kalifornien genommen hatte. Zwar verneint Haas die Existenz von Entwicklungssprüngen in seiner Trompeter-Vita, aber dieses Jahr zeigte doch extremen Effekt: „Ich habe viel über das Spiel im hohen Register gelernt, und zwar auf einem ganz neuen Level.“ Einigen wir uns also auf „zügige Entwicklung in einem Spezialbereich“.

„Das Spielen hoher Töne ist eine zu 100% erlernte Fähigkeit.“

Damit knallt Augie Haas der Trompetengemeinde eine Aussage vor den Latz, die amerikanischer nicht sein könnte. Yes, we (all) can! Skepsis macht sich da reflexartig breit. Wir alle kennen Kollegen, die sich mit hohen Tönen leichter tun, das Spiel obenrum also nicht im klassischen Sinne gelernt haben, weswegen man diese These des Wahl-New Yorkers (neben seinem für viele auf dieser Seite des Atlantiks zu dick aufgetragenen Optimismus) anzweifeln müsste. Aber sie spendet auch Trost all denjenigen – und das sind die meisten -, die keine „natural born high noters“ sind. „Ich hatte großartige Lehrer auf meinem Weg, aber sicheres Spielen in der oberen Lage benötigt viel Übung.“

Doch Haas hat sich nicht nur praktisch den hohen und höchsten Tönen angenähert, sondern auch theoretisch – er hat nämlich an der Universität Miami einen Ph.D.-Grad erlangt, durch das Verfassen einer Schrift, die sich nur um dieses Thema dreht: The art of playing trumpet in the upper register. Und warum diese Arbeit? Die Antwort ist offen und ehrlich: „Ich habe noch nie einen Trompeter kennengelernt, der nicht daran interessiert war, hoch zu spielen. Meiner Meinung nach ist das die begehrteste Fähigkeit. Ich fand kein Buch und keine Webseite, die alle Aspekte des Spielens in der oberen Lage vereint. Und da ich selbst eine Leidenschaft für das hohe Register habe, war es nur natürlich, dass ich selbst so ein Dokument anfertige.“

The Haas: Augie, Trompeter und Entertainer

Gerade in puncto hohe Töne – ein Interesse, das leider schnell auch zu einer Manie ausarten kann – setzt Haas auch gerne seine wichtigste Waffe ein, den Humor. So hat er mit New Yorker Kollegen und dem in Manhattan ansässigen Blechspezialist Josh Landress einen Verkaufsfilm in amerikanischer Commercial TV-Tradition gedreht, der eine Trompete anpreist, mit dem man endlich ohne Anstrengung viergestrichene Cs aus dem Ärmel schütteln kann. Doch auch sein Verhalten auf der Bühne ist von Fröhlichkeit geprägt (man erinnere sich an das eingangs erwähnte Vorbild Louis Armstrong).

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Augie Haas inmitten seines „Lounge-Quintetts“ vor oder nach der Neu-Interpretation des Haydn-Konzerts. Foto: Marc Santos

Dabei bleibt es aber nicht beim bubenhaften Grinsen oder dem Klopfen von Sprüchen. Haas‘ eigene Musikprojekte zeichnen sich durch einen besonderen Umgang mit der Musik aus. Seine „lounge-ige“ Interpretation von Haydns Trompetenkonzert in Es-Dur ist ein Bruch mit Konventionen und überschreitet für manche Klassiker vielleicht bereits die Grenze zum Sakrileg: jazziger Sound, Aufführung in einem Club, die Häupter dazu gekrönt mit Mozart-Perücken. „ich will damit ein neues Publikum erreichen und meine Musik interessant halten.“ Weitere Projekte dieser Art sind anscheinend in Planung – mehr verrät Augie Haas jedoch noch nicht. „Keep your eyes peeled!“

Augie Haas als Lehrer: „Build your range“

Dass einer, der so viel Wissen über das hohe Register kumuliert hat, dieses auch in einem praktischen Ratgeber an die Frau und den Mann bringen möchte, liegt nicht fern. „Build your range“ heißt das Werk und ist auf Haas‘ Webseite erhältlich. Die pädagogische Besonderheit dabei ist, dass er zu den Übungen Playalong-Tracks liefert. Das kennt man in der Regel fast ausschließlich von Improvisations-Übungen, nicht aber für das Warm-Up oder das Höhen-Training. Die Vorteile: Man lernt musikalisch zu spielen, in Time und generell macht das Üben viel mehr Spaß. Man bläst sich nicht durch dröge Etüden, sondern macht tatsächlich Musik! Die Übungen wirken in diesem Fall nicht mehr streng isoliert, sondern sprechen mehrere Aspekte an. Das macht einen erheblichen Unterschied. Dieser Weg empfiehlt sich logischerweise nicht nur für den NY-Profi mit wenig Zeit zwischen Broadway, Studio und eigenen Bands, sondern wirklich für jeden, egal in welcher Leistungsstufe.

Augie Haas und sein Equipment

Zum Schluss kommen wir traditionell zum Werkzeug des Porträtierten. Zehn Jahre lang August William das nach ihm benannte Hammond Haas gespielt. Das fühlte sich für ihn aber jüngst nicht mehr so effizient an, wie ein Mundstück sein könnte. Am letzten Treffen der International Trumpet Guild, wo sich natürlich auch viele Hersteller einfinden, probierte er deshalb mehrere andere und ließ in der Folge von Terry Warburton ein maßgeschneidertes Modell anfertigen. Verkauft wird das (offiziell und augenblicklich noch) nicht.

Noch länger als das Hammond-Mundstück spielte Haas seine Benge 2X+ – und bleibt ihr wohl auch noch eine Weile treu. „Wenn du eine gute Benge finden kannst, dann geht nichts darüber.“ Für die Nicht-Benge-Spezialisten: Das ist ein Vintage-Horn in sehr leichter Bauart und versilbert. Die Trompete bildet damit einen schönen Kontrast zu ihrem dunklen und nicht ganz so leichten Besitzer. Aber vielleicht braucht es ein bisschen Erdung, um bei den ganzen hohen Tönen nicht abzuheben.

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Augie Haas: Ein bisschen Karlsson vom Dach, nur freundlicher. Die Top-of-the-roof-Position teilt er auch mit diesem.