Flügelhorn für die Hosentasche? Das Weichmacher-Mundstück

Der TrumpetScout ist kein Fan des Flügelhorns, wenn es nicht als Soloinstrument gespielt wird. Gibt es für die sporadischen acht Takte während eines Big Band-Konzerts wirklich keine praktikablere Lösung als das Mitschleppen eines zweiten Instruments? Vielleicht ein Mundstück für die Trompete mit Flügelhornkessel?

Wer einen Flügelhorn-nahen Klang auf der Trompete erzeugen möchte, braucht dazu ein spezielles Mundstück.

Nichts gegen das Flügelhorn. Es klingt warm, weich und zart und so manch Zuhörer, der einen nur als Musiker mit meist stechendem Trompeten-Sound kennt, bedankt sich nach einem Vortrag auf dem Instrument mit dem großen Becher schon einmal mit den Worten „Ganz toll! Man konnte sich sogar noch unterhalten!“. Ein solches Lob ist vielleicht ehrlich, aber trotzdem zweifelhaft. In einem Egerländer-Repertoire hingegen kommt das Flügelhorn als beinahe durchgängiges und durchaus strahlendes Melodieinstrument zu allen Ehren. In der Big Band werden dafür oft nur ein paar Takte damit geblasen, bevorzugt als Harmonieteppich im Mezzoforte bei einer Ballade. In neuerer Literatur mag diese Einsatzweise gewollt sein, nicht selten aber wird in modernen Interpretationen selbst die in historischen Arrangements verlangte Kombination aus Bucket-Dämpfer und Trompete durch das Flügelhorn ersetzt. Nun, vielleicht verzichtete man in der goldenen Big Band-Ära nur aus Platz- und Kostengründen auf ein Flügelhorn und einzig aus der Not entstand der matte, wattierte (und für den TrumpetScout stellvertretend für Basie und Co. stehende) Blechklang qua aufgestecktem ‚Eimer‘. Vielleicht sollte aber an gewissen Begleitstellen auch einfach nur die Penetranz der Trompete verringert werden. Doch braucht es dafür wirklich ein zweites Instrument?

Was macht den Trompeten-Sound aus? Was den weicheren des Flügelhorns?

Gehen wir einige Schritte zurück und schauen uns die grundlegenden Unterschiede zwischen an Trompete und Flügelhorn an. Im Blechblasinstrumentenbau scheint es eine Regel zu geben, die für den Klang relevant ist: Je höher der zylindrische Anteil des Instruments, desto heller und obertonreicher sein Klang. Je konischer der Rohrverlauf, desto wärmer. Eine Trompete besteht ungefähr zu zwei Dritteln aus (mehr oder weniger) zylindrischen Rohren (Mundrohreingang bis Schallstückbogen), beim Flügelhorn ist das Verhältnis genau verkehrt – ein Drittel (oder noch weniger) ist zylindrisch (Mundrohr bis Ende Ventilstock), der Rest konisch (Ausgang Maschine bis Trichter). In der Mitte circa liegt das Kornett, das dritte Instrument in der Kernfamilie.

Andere Instrumente können weich(er) sein, auch wenn sie einen hohen zylindrischen Anteil haben, so z.B. die Posaune oder vor allem das Horn. Ihr im Vergleich sich stark öffnender Becher wirkt sich jedoch lenisierend, bildlich gesprochen: besänftigend, aus. Modellunterschiede unterstreichen die Wirkung des Bechers aber auch innerhalb einer Gattung. Trompeten mit großem und weitem Becher klingen wärmer als dasselbe Modell mit engerem Verlauf und kleinerem Trichterdurchmesser. Doch nicht nur der Klang verändert sich, sondern auch das Abstrahlverhalten, also die Projektion.

Die wichtig(st)e Komponente: das Mundstück

Schon des Öfteren wurde in TrumpetScout-Artikeln über den massiven Einfluss des Mundstücks auf den Klang der Trompete gesprochen. So ist es auch beim Flügelhorn. Nicht nur seine mehrheitlich konische Architektur zeichnet für den weichen Klang verantwortlich, sondern auch sein typisches Mundstück. Weist der Kessel eines Trompetenmundstücks nämlich üblicherweise die Form einer Schale bzw. einer Tasse auf (ganz grob gesprochen: die einer halben Kugel), ist der eines (Jazz-)Flügelhornmundstücks trichter- oder kegelförmig wie der eines Horns:

Schematische Darstellung der zwei Mundstücksformen Schale und Trichter

Nimmt man an, dass das Mundstück (nur) 50 Prozent des Klangs bestimmt, dann wäre eine Trompete mit Flügelhornmundstück doch schon ein gänzlich anderes Instrument, oder?

Trompetenmundstück mit Flügelhornkessel: Ist das die Lösung?

Für einen Sound-Test kann man leicht das Flügelhornmundstück auf die Trompete setzen und hören, was dran ist an der Theorie. Praktisch lässt sich damit aber nicht spielen. Das Ding sitzt einfach nicht – sofern man von einem amerikanischen Jazz-Flügelhorn und passendem Mundstück mit schlankerem Schaft ausgeht. ‚Europäische‘ Flügelhörner (also mit Drehventilen) sind anders konstruiert. Deren Mundstücke passen eher auf Jazz-Trompeten. Hier gibt es also eine Art natürliche Verbindung von Flügelhornkessel und Trompetenschaft. Genau eine solche Kombination braucht es ja für eine solche Hybridlösung.

Das Mundstück links sieht aus wie ein normales Flügelhorn-Top. Der Schaft wurde aber modifiziert und passt perfekt in die Mundstückaufnahme einer Perinettrompete.

Dennoch ist man damit noch nicht am Ziel, wenn es um einen praktischen Wechsel zwischen zwei Mundstücken auf einer Trompete geht, um eine sofortige Klangveränderung zu erwirken. Durch den deutlich tieferen Kessel sackt das Grundstimmungsniveau nämlich eklatant ab. Die Folge: Man muss den Stimmzug nachjustieren. Das ist nicht nur unpraktisch, sondern oft auch nicht möglich, wenn dieser zuvor schon weit eingeschoben gespielt wird. Hier muss also nachgebessert werden.

Eine deutsche Alternative von Josef Klier

Die Idee ist natürlich nicht neu und auch ein solches Produkt gibt es schon auf dem Markt. Problem nur: Da  nicht viele Anbieter ein solches Hybridmodell in ihrem Sortiment führen, muss man relativ tief dafür in die Tasche greifen: Mark Curry baut für Steve Dillard alias Horntrader das HT3 Jazz (es kostet ohne Porto aus den USA, Steuern und Zoll 110 Dollar) und Gary Radtke die FD-Serie, für deren Exemplare man allerdings augenblicklich um die 200 Euro berappen muss.

Der TrumpetScout fragte nach einer eher ernüchternden Marktrecherche beim deutschen Mundstückspezialisten Josef Klier an, weil er mit dessen ‚weichem‘ Mundstück JK 205-2 und der Preispolitik des Herstellers sehr zufrieden ist. Von dort kamen dann einige Serienmundstücke zum Test und das passendste Modell davon wurde mit Modifikationen neu gedreht. Der Schaft verläuft nun schlanker, sodass das Mundstück weiter in die Aufnahme ragt und somit die Gesamtlänge gegen ein Absacken der Grundstimmung verkürzt wird. Zusätzlich wurde aber auch die Schaftlänge reduziert – so bleibt die Gap unverändert zur Serie und das Ansprechverhalten bzw. der Ton verändern sich kaum.

So klingt das Velvet-Mundstück

Der Unterschied zwischen einem normalen Trompetenmundstück und dem Hybrid-Prototypen ist für Zuhörer gewaltig – vor allem auf eine gewisse Distanz (das kann das Video bei Weitem nicht so erfassen!). Der Ton ist nicht nur qualitativ weniger trompetentypisch, also schneidend, sondern subjektiv auch deutlich leiser. Und das hat durchaus praktische Vorzüge! Oft ist gerade in intimen Spielräumen (kleinen Lokalen o.ä.) oder in hallender Umgebung (z.B. in der Kirche) Zurückhaltung angemahnt und ausgeprägte Projektion ein Übel. Nur mit angezogener Handbremse und gedacht breit zu spielen ist aber auch nicht immer möglich und deshalb kein praktisches Mittel gegen schmerzende Ohren bei Zuhörern direkt vor einem.

Je kräftiger man bläst, desto geringer fällt der Unterschied aus – jedoch nur auf kurze Distanz.

Beim Spieler selbst ist der Unterschied noch stärker festzustellen. Mit dem JK-Mundstück wird der Ton der Trompete weniger stechend und brillant, sondern wolkiger und dumpfer. Attribute wie ‚dumpf‘, ’stumpf‘ und ‚matt‘ mögen die meisten vielleicht nicht positiv konnotieren, aber das Helle und der Glanz (man verzeihe uns Tonbeschreibern die optischen Leihgaben allerorten) fehlen, und genau das ist es aber, was man will. Auch, wenn der Ton (zum Glück) nicht klingt, als hätte man ein Poliertuch im Becher oder als würde man durch einen Samtvorhang spielen, so ist das Indirekte doch etwas, was den Sound aus der Kreuzung von Trompete und Flügelhorn ausmacht. Und da der eingangs erwähnte Bucket-Dämpfer auch gerne als ‚Velvet Mute‘ (eben Samtdämpfer) bezeichnet wird, entschloss sich der TrumpetScout kurzerhand dazu, diesen Prototypen Velvet zu nennen. Im Grunde wirkt das Mundstück wie ein Projektionsdämpfer und Frequenzfilter, der aber keinen muffigen, sondern einen ungetrübten Ton erzeugt und der nicht nach dem Becher wirkt, sondern vor dem Mundrohr.


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Tonumfang und Stimmung

Interessanterweise beeinträchtigt der extrem lange, also tiefe V-Kessel die Höheneigenschaften nicht. Bis zum G3 ging es ohne Probleme, was je nach Lust und Laune auch Ausflüge in die obere Lage während eines ‚Hintergrundgigs‘ mit Trio, Quartett oder größerer Combo ermöglicht. Man kann Gas geben und strapaziert dabei nicht sofort die Ohren des empfindlicheren Publikums. Die Pedaltöne auf der anderen Seite des Spektrums gewinnen natürlich, d.h. sie sprechen leichter und klarer an, rasten besser ein.

Ungefähr zwei Zentimeter ist das Velvet kürzer als ein normales Trompetenmundstück.

Und die Intonation? Klar, ein großer Kessel gibt mehr Spielraum. Die Grundstimmung rangierte im Test (im Video wurde der Stimmzug nicht verschoben!) nur minimal unter der mit dem mittleren Trompetenmundstück, dem 14B4 von Yamaha. Da könnte man für einige Takte sogar nur mit dem Ansatz gegensteuern. Beim Umstieg von einem sehr engen und flachen Mundstück, das deutlich ‚anhebt‘, muss man entsprechend gröber nachjustieren. Doch: Es handelt sich beim Test-Mundstück um einen Prototypen. Hier könnte also noch am Schaft nachgearbeitet werden, damit man noch ein wenig höher intoniert und der Spieler beim Wechsel von einem durchschnittlichen Trompetenmundstück – kein Marianengraben, nichts Ultraflaches – ohne Nachzudenken weiter musizieren kann. Change’n’Play quasi.

Das Velvet-Mundstück in der Praxis

Das Flügelhorn im Big Band-Satz ablösen, wenn es für wenige Takte heißt „To Flugel“, wird (vorerst) nur an einer Hürde scheitern: Nicht alle in der Section werden ein solches Hybrid-Mundstück besitzen. Den Zweck der Erwärmung des Tones und der Abschwächung der Penetranz erfüllt dieses Accessoire auf jeden Fall. Beim solistischen Einsatz punktet das Tandem aus Velvet + Trompete durch sichereres Einrasten und zugänglichere Range – zumindest im subjektiven TrumpetScout-Test mit dem vorhandenen Material. Klar ist aber, dass ein gutes Flügelhorn mit entsprechendem Mundstück ‚flügelhorniger‘ klingt als eine Trompete mit Spezialmundstück. Eine echte Säge sägt in gutem Zustand aber auch besser als ein Taschenmesser mit Sägeblatt. Jeder Spieler, der – egal ob in Klassik, Klezmer oder Jazz – hin und wieder in kleineren Spielstätten oder mit durchsetzungsschwächeren und unverstärkten anderen Instrumenten auftritt, dürfte dennoch echten Nutzen von diesem Modulator und Dämpfer in einem (‚Mute-o-lator‘?) haben. Flügelhorn für die Hosentasche? Nicht ganz, aber auf jeden Fall eine interessante Erweiterung für die Mundstücktasche.

Und der Preis?

Was würde so ein Hybrid-Mundstück kosten? Laut JK nicht mehr als ein normales Kleinserienmundstück des Unternehmens auch, also um die 80 Euro. Gesetzt den Fall natürlich, es schafft den Weg dorthin. Und wird das passieren? Das hängt vom Interesse der potentiellen Kunden ab – das Feedback der TrumpetScout-Leser ist dieses Mal also nicht nur für den TrumpetScout selbst wichtig.

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