Hans Gansch – über den Trompeter, der aufhören konnte

Er hat in seinem Leben nur drei Probespiele absolviert, aber alle gewonnen, war erster Trompeter bei den Wiener Philharmonikern, Professor in Salzburg und als Solist weltweit unterwegs. Heute ist er Blech-Rentner und damit höchst zufrieden: Hans Gansch.

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Das ist Hans Gansch heute: entspannt, in Rente und in seinem Holzhaus in der Nähe des Mondsees.

Unweit des österreichischen Mondsees, einen Katzensprung von Salzburg entfernt, wohnt Hans Gansch in einer Bilderbuchkulisse, in einem Dorf, wie man es von Heimatfilmen aus der Nachkriegszeit kennt. Als der TrumpetScout dort ankommt, veranstalten die Bewohner in den Gassen auch noch ein Fest mit Blasmusik und Tracht und ein bisschen kommt man sich als Besucher vor, als würde gerade ein Film gedreht, als sei das nicht die reale Welt. Aber vielleicht passt das genau richtig zum Mann, den es hier zu interviewen gilt. Denn dessen Karriere verlief vielleicht nicht beängstigend geradlinig, aber doch wie am Schnürchen und deshalb unwirklich. Das muss er sich selbst eingestehen. Eine Naturbegabung, was Ton und Technik anbelangt, das war der 1953 geborene Niederösterreicher nach eigenem Ermessen jedoch nicht. Vielmehr sieht er die Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend als maßgebliche Ursachen für den eignen Erfolg. Und Glück gehört sowieso dazu…

Der Vater als erster Lehrer und Auftraggeber

Aufgewachsen ist der Mann, der für viele das absolute Vorbild ist, was Musikalität und Tonkultur im Bereich der Klassik anbelangt, auf einem kleinen Bauernhof, der „viel Arbeit machte, aber kein Geld brachte.“ Der Vater war musikbegeistert, spielte zunächst Klarinette und Saxofon, sattelte dann autodidaktisch auf Trompete um und betätigte sich als Kapellmeister – war aber auch sehr streng. Mit Elf ließ er seinen bis dato einzigen Sohn verschiedene Instrumente probieren und entschied dann, dass die Trompete das Beste für diesen sei. Widerrede undenkbar. Den ersten Unterricht gab es dann auch selbstverständlich daheim. „Falsch!“, das hörte der kleine Hans oft und bekam Lob nur indirekt mit, wenn er auf Umwegen mitbekam, dass der Papa bei den Musikerkollegen von seinem Filius schwärmte.

Gemeinsam hörten beide über Mittelwelle tschechische Militärkapellen und spielten auswendig und natürlich zweistimmig Lieder und Weisen. Hans war noch kein Jahr aktiv, da nahm in der Vater schon mit auf Hochzeiten, die in Österreich traditionell schon um Sechs Uhr morgens beginnen. Das Brautpaar wird geweckt und abgeholt, die ersten Stücke erklingen unter dem Schlafzimmerfenster. Zu Mittag ist aber nicht Schluss, im Grunde spielt man 24 Stunden fast non-stop. Dem kleinen Stöpsel fielen natürlich schon früh die Augen zu, „aber ich habe dann eine Frucade bekommen und dann ging’s wieder.“ Es ist sicher nicht gut, dass man spielt, bis einem das Gesicht zuschwillt und die Zähne zu wackeln beginnen. Aber was Hans Gansch dabei schon früh gelernt hat: Beschweren und jammern, das ist etwas für die anderen. Irgendwie geht’s immer, man muss sich halt durchkämpfen.

Neben Hof und Lehre blieb wenig Zeit für die Musik

Mit zwölf Jahren hat er in der Kapelle seines Vaters bereits das erste Flügelhorn übernommen, obwohl er damit heillos überfordert war. Um die hohen Töne zu bekommen, legte er die Lippen übereinander und mogelte sich so durch die Literatur, weil ihm schlicht die Kraft fehlte. Viel Zeit zum Üben gab es auch nicht immer. Zwar war Gansch Senior selbst musikalisch sehr engagiert, aber der Hof forderte seinen Tribut. Hans Gansch musste um fünf Uhr aufstehen, den Stall ausmisten, die Kühe füttern, dann aufs Feld, irgendwann zwischendrin noch in die Schule bzw. später in die Molkerei, wo er eine Lehre absolvierte. Wieder zurück wartete immer noch genug Arbeit. „Da fiel ich um Neun ins Bett. Nur wenn die Landwirtschaft es zuließ, also vor allem im Winter, konnte ich richtig üben.“

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Er hat während seiner Karriere nie nach den Sternen gegriffen. In der Pension sieht das anders aus. Der Hobby-Astronom greift zumindest öfter zum Teleskop und schaut, was sich oben so tut.

Als es dann das Alter zuließ, dass er richtige Solo-Nummern vortragen konnte, war auch der Vater sehr auf die ordentliche Vorbereitung bedacht. „Er hat mich ein Solo 100 Mal am Tag spielen lassen, damit es ja funktioniert. Auf den alten Dessauer habe ich mich ein Jahr vorbereitet.“ Mit 15 war es dann so weit und der junge Gansch – der sich nach eigener Einschätzung in diesem Alter erst am Beginn der Pubertät befand – hat bravourös abgeliefert. „Ich war zwar schon ein bisschen angespannt, aber nicht nervös.“ Der Konnex von guter Vorbereitung und adäquater Auftrittsleistung dürfte sich ihm bereits dort eingeprägt und womöglich von da an ein Leben lang begleitet haben.

Schicksalsschlag mit 17: Hans Gansch verliert seine Mutter

Als der junge Mann noch nicht einmal 17 Jahre alt war, verstarb die Großmutter. Ein halbes Jahr darauf folgte mit dem Tod der Mutter der nächste Verlust. Das muss für den zu diesem Zeitpunkt in einer Molkerei arbeitenden Gansch ein Schock gewesen sein, war aber für die ganze Familie auch so etwas wie ein Trigger-Moment. Der Hof, der für ein verlässliches Auskommen sowieso zu wenig bot (Gansch Senior handelte nebenher schon länger mit Viehfutter und auch Musikinstrumenten), wurde alsbald verkauft und der Vater setzte den Traum des Berufsmusikers um, indem er neben seiner Tätigkeit als Blasmusiker und Dirigent eine Stelle als Musiklehrer in Melk übernahm. Hans Gansch, der zu dieser Zeit schon fast mehr Geld mit der Musik als in der Molkerei verdiente – er erinnert sich an 14-Stunden-Jobs mit den „Linzer Buam“ bei großen Bier- und Volksfesten –, bekam dann einen ganz konkreten Impuls eines Trompeters der Band: „Du spielst so gut, du musst studieren.“ Das hatte er sich bis dato allen Ernstes nicht überlegt.

Vom Bierzelt bis zum Probespiel in 14 Tagen

Diesem Rat folgte er und begann über die Militärmusik mit 19 Jahren ein Studium am Linzer Konservatorium. Zunächst hielt er sich nicht für gut genug, merkte aber schnell, dass dort auch nur mit Wasser gekocht wurde. Er spielte jetzt also Klassik, nach wie vor traditionelle Blasmusik, aber auch in Tanzorchestern und wurde als Substitut für Musicals engagiert. Bei einem eben solchen Engagement wurde er gewissermaßen entdeckt, man lud ihn zu einem Probespiel beim Brucknerorchester ein. Mit seinem Ausdauer-Bierzeltansatz wollte er dort aber nicht ankommen, schließlich waren auch leise Töne gefordert. Er hatte jedoch nur zwei Wochen Zeit für die Neuausrichtung. Wir wissen wie es ausging: Er kam, spielte und gewann. Oder wie Hans Gansch es beschrieb: „Anfangs habe ich ein bisschen lauter gespielt und eine zarte Stelle dann mit Glück geschafft.“ Mit 21 Jahren war – das Studium war noch nicht abgeschlossen! – also die erste fixe Orchesterstelle eingetütet.

Hans Gansch: „Ich war kein guter Blattleser.“

Im Orchester folgte dann die Problematik der realen Arbeitsbedingungen am ersten Pult. Der Musikant Gansch hatte keine Erfahrung mit dem Transponieren, ja nicht einmal eine große Routine beim Spiel mit der C-Trompete. So bekam er den Rat, nach der Saison über den Sommer in einem Kurorchester zu spielen. Jede Nummer war eine Überraschung und setzte damit einen Trainingsreiz für die Lesefertigkeit. „Ein Stück zu lesen kann man lernen, man muss vorausschauen, Linien erkennen. Wenn ein falscher Ton dabei ist, macht das nichts, das Ganze muss passen.“ So hat Gansch auch in besagtem Sommer viele Soli und Kadenzen einfach improvisiert.

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Wo die Kenntnis vom Himmelszelt auch hilft: beim Segeln, einem weiteren Hobby, für das Hans Gansch jetzt viel Zeit hat.

Auswendig spielen ist bei Gansch einfach implantiert. Als alter „Bradler“, frei zu übersetzen mit „Wirtshausmusikant“, hat er, wie geschildert, zwar viel Erfahrung beim Musizieren ohne Noten sammeln können, geschuldet sei diese Fähigkeit aber auch einer bestimmten DNA. Nicht jeder kann das, nicht jeder hört, wo sich die Harmonie hinentwickelt und welcher Ton in der eigenen Stimme dafür nötig ist. „Es gibt nur wenige, mit denen man richtig bradln kann.“ Dazu gehört ganz sicher Halbbruder Thomas. Wie Hans Gansch von achtstündigen Spielereien mit jenem und dem ehemaligen Schüler und heutigen Trompeter im ORF-Orchester Peter Fliecher erzählt, gerät er ins Schwärmen. Es sind eben die frühesten Erfahrungen, die bestimmen, wo man am stärksten berührt wird.

„Ich wollte eigentlich Big Band-Trompeter werden.“

Von der Improvisation ist der Weg zum Jazz nicht weit. Und beinahe hätte auch Hans Gansch diesen eingeschlagen, denn „eigentlich wollte ich ja Big Band-Trompeter werden“. So setzte er sich zu einem Freund ins Auto, der gerade auf dem Weg nach Wien war, um der ORF Big Band eigene Stücke anzubieten. Natürlich war die Trompete auch dabei und Gansch spielte dem Leiter Erich Kleinschuster ein paar Chorusse von „Take the A train“ vor, worauf ihm dieser die fünfte Trompete für ein Projekt mit Art Farmer anbot, neben dem er sitzen durfte. „Der hat mir in einer Pause einmal eine Zigarette angeboten. Da war ich natürlich mächtig stolz.“

Schnell merkte er jedoch, dass die Institution Big Band auch ihre Tücken hat, die Schattenseite des coolen Images viel Chaos ist und bei Weitem Nichts so organisiert abläuft wie bei einem klassischen Orchester. Als er dann in Linz die große Orchestermusik leibhaftig erfahren und selbst spielen durfte, hat ihn das auch sinnlich in den Bann gezogen: „Bruckner ist geil und der Strauss und der Dvorak  und…. – alles unglaublich schöne Musik.“ Außerdem ließ sich durch die Sicherheit einer Orchesterstelle beruhigter leben.

Die Wiener Zeit – erst das Radio-Symphonieorchester…

Beim Radio-Symphonieorchester des ORF – nach den Wiener Philharmonikern und Symphonikern der damaligen Nummer Drei der österreichischen Orchester in puncto Renommee) und  damals Nummer zwei der Gehälter – wurde 1976 die Stelle als erster Trompeter frei. Nach knapp zwei Jahren in Linz nahm Gansch am Probespiel teil, rechnete sich aber keine großen Chancen aus. Was passierte, ist klar: „Ich habe drauf losgespielt und gewonnen!“ Die Überraschung und Begeisterung darüber muss man Hans Gansch abnehmen, wenn er davon erzählt. „Ich bin mir vorgekommen wie der Terminator!“ Klar, da ist einer erst 23 Jahre alt, hat vor zwei Jahren noch in Festzelten gespielt und gewinnt dann diesen Wettbewerb.

Während der Wiener Zeit war Gansch aber auch empfänglich für allerlei musikalische Reize außerhalb des Orchester-Terrains. So spielte er sogar in Ballbands, hatte den Ruf, für alles der richtige Mann zu sein. Besonders hatte ihn aber das energetische Spiel von Maynard Ferguson infiziert. Der Wiener Trompeter Hannes Kottek, der eine besondere Begabung für das Spiel im höchsten Register hatte, stachelte ihn vor Ort an und so kam es, dass er durch Experimentieren irgendwann sogar ein viergestrichenes F spielen konnte. „Zwar ganz dünn, halt zum Angeben vor Kollegen“, erzählt ein spitzbübisch lachender Hans Gansch.

Für einen Orchestertrompeter können solche Aus- und besonders Höhenflüge ins Auge gehen, was sie auch taten. Die Augen bzw. Ohren wurden Gansch von einem RSO-Kollegen geöffnet: „Du sitzt in einem klassischen Orchester, hör auf mit dem Scheiß‘. In der Mittellage spricht dir der Ton nicht mehr richtig an.“ Denn statt da-da-da erklang oft nur noch ein pf-pf-pf. Diese experimentelle Phase sieht Hans Gansch aber als notwendige an: „Ich habe halt probiert, so hoch zu spielen wie der Ferguson. Geht nicht. Also schon, aber niemals so laut. Dass ich so viel probiert habe, habe ich aber nie bereut, auch wenn das den Ansatz vorübergehend geschädigt hat.“

…dann die Wiener Philharmoniker

Nach mittlerweile sechs Jahren als erster Trompeter des RSO hatte Gansch in Wien einen derartigen Ruf, dass es für viele ausgemachte Sache war, dass er der nächste Erste bei den Philharmonikern werden würde. Als dann das Probespiel anstand, war durch die Erwartungshaltung die Last auch für den eher lockeren Hans spürbar. „Ich habe mich angekackt, mir haben die Knie gezittert.“ Erschwerend kam hinzu, dass nicht nur der erste Satz Haydn bis zum berüchtigten Es, wie damals allgemein üblich, verlangt wurde, sondern der gesamte mit Kadenz. Die hatte der Anwärter aber nicht vorbereitet. „Ich habe gespielt wie unter Strom, bei der Kadenz mir irgendetwas aus verschiedenen zusammengereimt, was ich noch in Erinnerung hatte.“ Als der erste Durchgang vorüber war, wollte er schon gehen, so sicher war sich Gansch, dass das nichts geworden sein konnte. Zur eigenen Verwunderung („Ich hab so an Schaß gspüt!“) reichte es aber und dann kam das Selbstvertrauen zurück. Das Ergebnis kennen wir auch in diesem Fall. Am Ende hieß der Gewinner Hans Gansch.

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In Wien hatte der oft so unbekümmert wirkende Hans Gansch gar nicht viel zu lachen. Gut ausgegangen ist es allemal.

Bei den Philharmonikern war jedoch nicht alles Gold, was glänzt und so hatte er als Neuzugang mit offenen Anfeindungen zu kämpfen, erst Recht aber, als er nach 14 Jahren freiwillig ging, was in den Augen einiger Personen einem Sakrileg glich. Auch gab es ganz auffällige Eigenheiten, die für ihn ganz neu waren, wie z.B. eine gewisse Renitenz bzw. Latenz gegenüber dem Dirigat. Eingesetzt wurde nämlich nicht immer dann, wenn es auch durch den Taktstock angezeigt war. Im Laufe der Jahre gewöhnt man sich aber offensichtlich daran: „Beim Schlusspiano in Wagners Walküre war der Dirigent schon unten und ich habe erst eingeatmet.“

Mit der Hybris des renommierten Ensembles hatte er die ganze Zeit zu kämpfen. „Die glauben, sie seien das beste Orchester der Welt. Stimmt aber nicht.“ Gansch sagt offen, dass er von dieser Anstellung später als Solist und Professor natürlich profitiert habe, da die Wiener Philharmoniker eine Aura und ein eigener Glanz umgeben. Dass er sich dennoch kritisch äußert, spricht für ihn, da er seine Position als Solotrompeter dort damit nicht überhöht, sondern relativiert.

Salzburg, das Mozarteum und die Erkenntnisse aus dem Unterricht

Nach 14 Jahren bei den Wienern und dem Druck der ersten Stimme ergab sich die Möglichkeit zur Übernahme einer Professur in Salzburg. Da war Hans Gansch noch nicht einmal 43 Jahre alt. Doppelt wollte er sich nicht belasten und so gab er die Orchesterarbeit 1996 zugunsten der Lehre auf. Das Unterrichten erweiterte seinen Blickwinkel, verschaffte ihm eine neue Perspektive auch auf das eigene Spiel. „Ich habe mich selbst beobachtet und durch Schüler viel gelernt. Plötzlich konnte ich noch zarter einsetzen als zur aktiven Orchesterzeit oder habe erkannt, wie ich ohne mich kaputt zu machen bis zum C4 oder höher spielen kann. Die Probleme der Studenten und verschiedene Lösungsansätze haben auch mir geholfen.“

So erzählt er von einfachen, wenngleich revolutionären Erkenntnissen, die dem entgegenstehen, was gern als gesichert gilt. Riesenthema Stütze: „Stütze ist bewusstes Anspannen des Zwerchfells und das ist für mich kontraproduktiv. Kinder blasen einfach in die Trompete und denken sich nichts dabei. Erwachsene haben dagegen schon viel Scheiße erlebt, sie sind verspannt. Man muss das natürliche Gleichgewicht von Schub und Gegendruck suchen. Balance ist alles. Ned zu viel herumdoktern.“



Gansch attestiert, dass er, obwohl nie eine echte Krise durchlebt, dennoch bis zur Pension an seinem Ansatz gebastelt habe. „Mich hat das aber nicht fertig gemacht – das gehört dazu!“ So versuchte er die Unterlippe nach den Jugendjahren wieder heraus zu bekommen, stärkte die Unterlippenmuskulatur, entwickelte mehr Stabilität und trachtete danach, von tiefsten bis zu den höchsten Lagen den Ansatz möglichst nicht zu verändern. Ansonsten gab es aber auch bei Gansch jede Menge Patzer, wenngleich nie die unter Klassikern gefürchtete Anblashemmung auftrat: „Scheiße gspielt hab i natürlich oft, bin einegflogen, hab gekiekst.“ Ein großer Unterschied zu vielen anderen Trompetern war aber der: Er hatte stets das Vertrauen, dass es (wieder) besser wird.

„An einer Musikschule ist Musik das Wichtigste.“

Auf die Frage, welche Studenten er angenommen und welche abgewiesen habe, sagt der heute 63-Jährige: „Auf einer Musikuni ist die Musik das Wichtigste – wenn auch nicht alles. Als Anwärter sollte man schon auch mit halbwegs ordentlicher Technik spielen können.“ Er habe auch schon Leute abgelehnt, die technisch perfekt waren und ihnen nachher erklärt, dass sie gespielt hätten „wie a koider Zapfn“. Womit wir wieder bei der Musikalität wären. Mit beinahe jedem Nachwuchstrompeter müsse man aber an Grundlagen arbeiten: „Mit einem Ton fängt es an. So wie ein Haus aus Ziegeln besteht, besteht die Musik aus Tönen. Und wir brauchen halt zunächst einmal schöne Töne.“

„Schöne zweite Sätze waren meine Stärke.“ – Hans Gansch der Solist

Nach seinem Ausscheiden bei den Philharmonikern entwickelte sich Gansch zum gefragten Solisten – vielleicht gerade wegen seiner besonderen musikalischen Tongestaltung und ohne dass er es selbst wollte. Er wurde gefragt und spielte, mit Brass Bands und großen Orchestern. Vor allem in Japan war er sehr beliebt. Das plötzliche Stehen im Rampenlicht statt des Sitzens im Graben empfand Gansch überraschenderweise als Entlastung: „Solieren ist viel einfacher! Als Orchestermusiker kann man das ganze Ensemble in den Abgrund ziehen, also Solist hat man diese Verantwortung nicht – kann natürlich aber trotzdem abkacken!“



Apropos Abkacken: Dem Thema Lampenfieber entgegnete der spätberufene Solist mit bestimmten Techniken und einer ganz einfachen Einstellung: „Ich bin Musiker und kein Hirnchirurg. Wenn ich einen falschen Ton spiele, stirbt niemand. Das beruhigt ungemein.“ Ansonsten ist das vollständige Durchgehen eines Auftritts im Kopf vom Verlassen der Garderobe über das Warten hinter dem Vorgang, dem Händeschütteln bis zum Spielen Teil seiner Vorbereitung. Das minimiert die Wahrscheinlichkeit böser Überraschungen durch unbekannte Situation. Auch irgendwie angstbefreiend: „Beim Thema Perfektion waren ohnehin andere die Besseren“, behauptet Gansch heute mit der Understatement-Attitüde eines Menschen, der es keinem mehr beweisen muss. „Schöne zweite Sätze, die waren meine Stärke.“

„Gott sei Dank kam dann die Krise!“

So also erwarb sich Hans Gansch als Solist auch eine Reputation, die zu Leistung verpflichtete. Das wiederum erforderte auch vom Routinier viel Übeeinsatz. Diesem Stress wollte er sich nicht ewig aussetzen – auch wenn das Geld vergleichsweise leicht verdient war. „Gott sei Dank kam dann die Finanzkrise und überall wurde gespart.“ Die Entscheidung, mit 60 aufzuhören, stand aber schon lange fest, beteuert Gansch, der nicht wie ein Maurice André bis ins Greisenalter auf die Bühne gehen wollte, um damit mehr Traurigkeit als Freude zu bereiten. „Ich habe mir schon lange vorgenommen gehabt, rechtzeitig aufzuhören solange ich noch gut bin.“ Und so kam es dann auch, dass er alsbald nach dem Jubiläum das letzte Solo vor Publikum spielte, als Lehrer in den Ruhestand ging und tatsächlich auch zuhause der Instrumentenkoffer verschlossen blieb.

Full Stop – Hans Gansch spielt nicht mehr

Was, gar keinen Ton mehr? Naja, alle zwei Wochen spielt er mal wieder eine Melodie, ölt die Ventile und ist nach wenigen Minuten schon müde. Im Kroatienurlaub spielt der Hobbysegler auf dem Kornett hin und wieder ein Liedchen in einer einsamen Bucht, aber „das klingt natürlich auch öfter scheiße“. Man bekommt den Eindruck, dass ihm die Trennung von der Trompete ernstlich geglückt ist. Die Trennung von einer Begleiterin, mit der er fast 50 Jahre eine innige Liaison hatte. Eine andere Liebe wird ihn aber wohl nie verlassen – nämlich die zur Musik. „Mein Kopf ist voll davon, auch wenn ich mir nichts mehr anhöre. Und ein weinendes Auge, wenn man hie und da einer schöne Polka lauschen kann, das passt schon.“

Einige seiner Instrumente hat er aber noch im Haus. „Ich habe stets schwere Trompeten bevorzugt.“ Dogmatisch war er aber bei seinen Studenten keineswegs, weder in Bezug auf Hersteller noch Mundstücktypen. „So gehört es“ ist nicht seine Einstellung. „Man kann auch mit einem kleinen Mundstück einen großen Ton haben oder mit einem tiefen Kessel hoch spielen – nur halt nicht so laut!“

Begabung – eine Einbildung?

Kommen wir zum Schluss des Porträts zurück zu dem, was Hans Gansch vielleicht zu Beginn seines Lebens mitgegeben wurde. „Sicher gibt es Talent, das darf man nicht bestreiten. Die richtigen Lead-Hämmer wie Thorsten Benkenstein haben z.B. einfach die Veranlagung für eine starke Höhe.“ Anschaulicher macht Gansch das mit einer persönlichen Erfahrung. Als ihm einmal ein Bariton erklären wollte, dass er nur aufgrund seiner Technik so gut singe, entgegnete der Trompeter spitzfindig: „Wenn ich also deine Technik beherrschen würde, dann würde ich klingen wie du?“ Weniger kleinlaut als vielmehr hochmütig antwortete der Sänger: „Nein, das natürlich nicht.“ Quod erat demonstrandum.

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Fazit? Fleißig sein, sich nicht beschweren und vielleicht auch gar nicht so viel darüber nachdenken, was man da tut. Musik ist ja auch keine Hirnchirurgie.

Aber was machte nun den „Trompeter im Ruhestand“ so besonders? Er glaubt, am ehesten seine Einstellung: „Ich habe nie gemault, war ein ‚Aunzara‘ [sinngemäß übersetzt: jemand, der die Dinge anpackt].“ Dem Mann, der sein Studium neben Bierzelt und Theater statt in sechs in nur drei Jahren absolvierte, war schlicht „nichts zu anstrengend oder zu blöd.“ Das kann natürlich nicht alles gewesen sein. Aber lassen wir es so stehen – als Motivation für kommende Generationen und als Zeugnis für einen Typen, dem der Erfolg nicht zu Kopfe gestiegen ist.

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