MF Horn light: Über Holton und die LT302

Holton ist im kollektiven Gedächtnis diesseits des Atlantiks eine praktisch ausradierte Marke. Dabei gehörte sie einst zum Kreis der größten Instrumentenhersteller der USA und damit auch der ganzen Welt. Einzig die Chiffre „MF Horn“ sorgt über 120 Jahre nach Firmengründung bei manchen Trompetern noch für eine spontane Pupillenweitung. Ein solcher Trompetentyp geriet dem TrumpetScout in die Hände.

Auf den ersten Blick sieht die Holton LT302 aus wie eine Bach Stradivarius, der man eine Stütze herausgelötet hat.

Eine Marke kann jederzeit vom Markt verschwinden. So geschehen bei Holton nach der Eingliederung bei Conn-Selmer 2004 – zumindest was den Trompetenbereich anbelangt. Andere Namen im Portfolio des Konglomerats waren einfach zu stark. Geschichte hingegen kann nicht verschwinden, nur in Vergessenheit geraten. Deshalb hier einführend einige Informationen zu Holton.

Ein kurzer Abriss der langen Geschichte von Holton

Der 1858 (!) geborene Firmengründer Frank Holton war Posaunist – und zwar ein sehr guter. Er spielte die erste Posaune beim berühmten John Philip Sousa, dessen Märsche weltbekannt sind und bis heute das Repertoire vieler Blaskapellen bereichern. Holton war also kein Handwerker und wurde das später auch nie, sondern ein guter Musiker mit Geschäftssinn. 1896 begann er, in Chicago mit gebrauchten Instrumenten zu handeln und ein selbstentwickeltes Zugöl zu vertreiben. Zwei Jahre später konnte er den ersten Instrumentenmacher einstellen und die erste eigene Posaune vorstellen. Jahr der Geburt der Instrumentenmarke Holton ist also 1898. Das Geschäft wuchs schnell und es kamen weitere Instrumente hinzu. Nun schlugen Frank Holtons Kontakte innerhalb der erweiterten Chicagoer Musikszene voll zu Buche. Holton-Instrumente wurden bald in alle führenden Orchester des Landes getragen. Bessere Werbung gibt es nicht. Wohl berühmtester Endorser für uns Trompeter: Vincent Bach höchstselbst. Der spielte Holton bis er anfing, seine eigene Instrumente zu bauen.

Fast 90 Jahre lang war Holton in Elkhorn, Wisconsin zuhause.

1917 übersiedelte Holton von Chicago ins nordwestlich gelegene Elkhorn in Wisconsin (nicht Elkhart in Indiana!). Das Wachstum ging weiter, es wurde die Palette breiter und alsbald auch eine günstige Linie ins Leben gerufen. Holton stellte nun sogar Holzblasinstrumente her. 1939 verkaufte Frank Holton drei Jahre vor seinem Tod die Firma an einen Angestellten. Das Geschäft prosperierte auch nach dem Krieg. Dennoch wurde Holton 1964 vom Holzblasinstrumentenhersteller Leblanc übernommen, um eine noch stärkere Allianz mit eindeutigen Expertisen zu bilden: Leblanc Holz, Holton Blech. Anscheinend entwickelte sich Holton in jener Zeit zu einer sehr geschätzten Marke für das tiefe Blech und zu einem wahren Hornspezialisten. Quasi diametral entgegen steht dem die Gewinnung eines Endorsers an der Trompete in den 70er Jahren, der nun überhaupt nicht für das tiefe Register stehen will: Maynard Ferguson. Der blieb Holton bis zum Ende echter eigener Trompeten 2004 treu. In jenem Jahr folgte die Übernahme von Holton-Leblanc durch Conn-Selmer und dann die Einstellung der Trompetensparte.

Der TrumpetScout und die MF Hörner

Doch nun zum eigentlichen Gegenstand dieses Beitrags. Ein TrumpetScout-Leser bot an, für einen Vintage-Artikel sein Maynard Ferguson Horn zur Verfügung zu stellen. Dafür steht nämlich die seitliche Gravur auf dem Becher und nicht etwa für einen Hinweis auf eine dynamische Begrenzung. Gerechnet hat der TrumpetScout eigentlich mit einer ST302, also dem Modell, was genuin als Fergusons Schlachtaxt galt. Und da mit Holton noch so etwas wie eine Rechnung offen war, gab es aus Testersicht grünes Licht.

Diese Art der Gravur indiziert eine jüngere MF Horn-Generation, auch wenn der Name LT302 das gleiche Alter wie das der ST302 aus den 70ern vermuten lässt.

Doch warum eine Rechnung offen? Und warum gibt es gleich mehrere MF Hörner? Nun, Maynard Ferguson war auf dem Zenit seiner Post-Pure Jazz-Ära in den 70er und 80er Jahren natürlich ein starkes Zugpferd für die Marke. Nicht jeder (eher keiner…) konnte aber dessen Arbeitsgerät so bedienen wie der Meister selbst. Deshalb wurden (zumindest später) auch Modelle zu MF Hörnern getauft, die wahrscheinlich nicht den Segen des „Boss“ gehabt haben dürften. Einem solchen Etikettenschwindel ist der kleine TrumpetScout als Zehnjähriger in kindlichen Naivität („Was Maynard gut tut, kann mir nicht schaden!“), großer Begeisterungsfähigkeit („Boa, spielt der hoch!“) und tumber Verführbarkeit („Das will ich auch können, da fang‘ ich doch am besten mit der Trompete an!“) aufgesessen. Die zweite Trompete überhaupt war eine damals (um 1990) schon alte Holton, die dritte und erste ladenneue Trompete ebenfalls, und zwar ein MF Horn des Typs ST-306, jedoch mit Medium Large-Bohrung.


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Der neue Trompetenlehrer, ein Bayer, war mit dieser Wahl nicht zufrieden: „A ***-Trompeten!“ (Der politisch höchst inkorrekte Ausdruck der Abwertung würde in Zeiten des freiwilligen Ausscheidens einiger Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft aus der deutschen Nationalmannschaft unzensiert zu unnötiger Aufheizung der gesellschaftlichen Stimmung führen.) Die Maschine machte Probleme, das D2 war sehr tief und überhaupt wurde die Intonation damals als schwierig empfunden. Niemand konnte sich dazumal vorstellen, dass dieses Ding von Maynard Ferguson gutgeheißen werden konnte. Erst vor wenigen Jahren bekam ich wieder so ein Modell in die Hand. Die Erinnerung war ungetrübt wieder präsent. Kein gutes Omen also für diesen Test.

Die LT302 – ein richtiges MF Horn?

Was macht aber eigentlich ein echtes MF Horn aus? Anscheinend blies der tongewaltige Kanadier zwar auch eine zeitlang eine enggebohrte Connstellation 38B (doch dieses Instrument ist mit üblichen Maßstäben sowieso nicht zu kategorisieren), darüber hinaus aber eher Trompeten mit weiter Bohrung, wie eine Martin Committee L oder eine große Bach. Dementsprechend wurde bei Holton dann auf solche Maschinenstöcke zurückgegriffen. Sie sahen entweder so aus wie bei einer Committee (so eben bei der ST302) oder eben wie von einer Strad entnommen (so auch im Falle der hier behandelten LT302). Abgesehen von den ‚MF Hörnchen‘ ST306 ML und ST308 sind alle übrigen 30X-Modelle mit einer extragroßen Bohrung ausgestattet. So auch die LT302 mit 0,468 inch, also 11,89 mm (was bei Bach eher der Größe XL entspricht). Das ist so etwas eine conditio sine qua non. Ohne Big Bore kein echtes MF Horn. Dass das gut sein muss, ist aber deshalb noch lange nicht gesagt.

(Extra) Large Bore steht nirgendwo. 11,89 mm sind aber ein Faktum. Der Ring für den kleinen Finger ist MF Horn-typisch.

Detail am Rande und bei ausnahmslos allen MF Horns gleich: Der Haken für den kleinen Finger auf dem Mundrohr ist kein Haken, sondern ein Ring.

Die Unterschiede zwischen Holton ST302 und LT302

Auch ansonsten folgen die Komponenten von Maynards Lieblingen dem Credo ‚big is beautiful‘. Das Mundrohr dürfte weit sein, genauso wie der Eingang des Schallstücks (das konnte leider nicht gemessen werden) und auch der Umfang des Trichters mit 127 Millimetern. Die Glocke ist aus einem Stück Messing gemacht. Hinzu kommt keine Diät beim Blech. Das Standardmodell ST302 weist normale Blechstärken auf. Interessant: bei der Light-Variante LT302 ist das kaum anders. In einem amerikanischen Forum erklärt ein angeblich ehemaliger Designer von Holton, dass lediglich die Maschinenzüge aus dünnerem Material – Neusilber innen wie außen – gefertigt worden seien. Ansonsten glichen sich die Modelle bis auf das Aussehen: Mit Maschinenstock im Martin-Design hat die ST302 keinen überlappenden dritten Ventilzug, auf jenem einen verstellbaren Fingerring, einen runderen Stimmzug und an der Stütze jenes Stimmzugs eine ‚Münze‘ eingelötet. Die LT302 sieht dagegen aus wie eine Bach Stradivarius mit nur einer Stimmzugstrebe (auch hier gibt es aber seltene Fälle mit der ‚Holton-Coin‘) und anderem Receiver, wiegt jedoch – selbst versilbert – nur 1.052 Gramm und damit exakt so viel wie die TS-Referenztrompete, die 5335G von Yamaha. Selbst das Standardmodell könnte demnach noch unter der 1.100 Gramm-Marke bleiben. Beide also weder schwer noch ultraleicht.

Technisch gesehen ist hier der Unterschied zwischen der ST302 und der LT302 zu finden: in den Zügen der Maschine. Sie sind aus dünnerem Neusilber gemacht, wie es für Hörner von Holton verwendet wurde.

Der erste Eindruck…

Das erste Anspielen der Trompete war nicht von spontaner Freude begleitet. Zu wenig Widerstand, viel zu wenig Slotting, dadurch vermeintlich schlechte Stimmung, kein kerniger Ton, alles ein wenig lau. Okay, die gute Ansprache ließ aufhorchen. Aber einen Vorteil muss die Kombination aus leicht und groß natürlich haben. Weitere Punkte aber in der Negativspalte: Ein Ventil machte Sperenzchen. Die Hoffnung, dass diese Trompete das alte Bild von Holton korrigiert, schmolz also sofort dahin. Muss es vielleicht wirklich eine Holton mit Maschine à la Martin sein, die überzeugen kann, also eine ST301, eine ST302 oder eine ST304?

…und das langsame Anfreunden

Der Becher ist einteilig – für amerikanische Trompeten der Zeit war das nicht üblich. Aber auch hier hat man sich an Bach orientiert.

Das Ventil wurde geölt und ging besser. Irgendwann konnte nicht mehr festgestellt werden, ob die Maschine nur aussieht wie eine von Bach oder eben eine von Bach ist. Nach anfänglichen Problemen liefen die Pumpen in tadelloser Manier. Mit einem tieferen Mundstück schien die Trompete bläserisch besser zu funktionieren. Die technischen Voraussetzung sprechen der TrumpetScout-Erfahrung nach auch eher für ein luftiges und weiches Jazz-Horn, eines für die Klassik, aber bestimmt nicht für den High Note-Einsatz. Zum Glück wurde das von Ferguson und einigen seiner Bandmitglieder ausreichend widerlegt. Es hängt eben vom Spielertyp ab.

Es folgte ein Einsatz in einer Tanzkapelle – mit einem sehr kleinen, flachem und engen Mundstück und hohen Tönen. Das ging dann doch überraschend gut. Dennoch blieben Zweifel für den akkuraten und spitzen Einsatz in der oberen Lage, wenn Treffsicherheit oberstes Gebot ist. Im Video musste der TrumpetScout mit dem alten Warburton-Leadmundstück schon sehr in der hohen Lage kämpfen und hatte ständig das Gefühl, mehr und öfter Luft als üblich holen zu müssen. Die Luft enteilte wie durch ein zu großes Loch. Als unmikrofonierte Lead-Trompete würde man als Freund von Effizienz und Projektion wahrscheinlich anderen Kalibern den Vorzug geben. Der Sound ist eher breit, nicht pointiert. Aber auch das ist Geschmackssache.

Klang und Ansprache: die Holton LT302 im Kontrast zum Referenzmodell

Im Vergleich mit dem TrumpetScout-Vergleichsmodell ist die LT302 definitiv lauter, heller und auch – so das Urteil der ständigen Testhörerin – „brizzliger“. Sie hat ohne Zweifel Sizzle (den auch Maynard schon explizit bemerkt haben soll!). Die Yamaha ist runder, wärmer, aber auch insgesamt viel zurückhaltender, manchmal luftiger im Klang, wenn auch viel enger für den Bläser. Man müht sich dort mehr, wogegen die Holton wie bereits erwähnt schnell anspringt. Die Mühe kommt bei der weiteren LT302 wahrscheinlich erst mit der Zeit, nämlich dann, wenn man den Gegendruck bräuchte, um Kraft zu sparen. Bis dahin ist sie aber ein tolles Horn – und der zur gleichen Zeit gespielten 19043 von Bach gar nicht unähnlich. Die ist aber noch brachialer, heller, schreiender und lauter. So die ehrliche Einschätzung des TrumpetScout nach mittlerweile vier Monaten.

So lange blieb übrigens noch keine Testtrompete, so viel wurde noch kein fremdes Horn gespielt. Das soll nun nicht heißen, dass man sich mit genügend Zeit einfach an alles gewöhnen kann. Aber: Dass man manchem Experiment mit Geduld entgegen muss.

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What is she offering?,“good response, volume and sizzle“

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