Selina Ott – Am besten unter Druck

Die junge Klassiktrompeterin aus Österreich ist alles andere als schrill, auch wenn sie die Trompete ursprünglich zu ihrem Instrument machte, weil diese „laut ist und schön glänzt“. Hervorstechen ist dennoch ihre Paradedisziplin, vor allem dort, wo die meisten anderen Schwäche zeigen: auf dem Präsentierteller.

Hat gut lachen: Selina Ott ist in ihren jungen Jahren bereits sehr erfolgreich – und hat alle Anlagen für Stabilität. Foto: Philipp Greindl

In den Wochen des Spätsommers 2018, als Selina Ott am 67. Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München teilnahm, lag auf dem TrumpetScout-Nachttischchen die Autobiografie von Arnold Schwarzenegger. Bei der Lektüre dachte ich kein einziges Mal an die berühmten Trompetenkonzerte von Haydn, Hummel oder Tomasi. Nachdem mir die junge Frau einige Wochen nach ihrem Sieg in der bayrischen Hauptstadt zum Gespräch in Wien mit ihrem Professor Roman Rindberger gegenüber saß, liegen die Welten jedoch plötzlich dicht beieinander. Woran liegt das? Was hat Selina Ott mit Arnold Schwarzenegger gemein?

Ott und Schwarzenegger

Auf den ersten Blick nicht allzu viel: Sie spielt Trompete, er den Action-Helden. Sie ist eine zierliche Frau, er ein echter Brocken von einem Alpha-Mann. Ihr Hobby: Pferde. Sein Hobby: Hummer (und andere auffallende Geländewagen). Sie ist gerade mal 20, er über 70. Klar, beide sind geborene Österreicher. Viel substantieller ist aber diese Gemeinsamkeit: Sowohl Selina Ott als auch die steirische Eiche sind mehrfache Gewinner von renommierten Wettbewerben. Arnie errang vielfach die wichtigsten Bodybuilder-Titel der Welt, Selina Ott gewann bereits acht Mal den „prima la musica“-Wettbewerb (ein österreichischer Jugendmusikwettstreit auf sehr hohem Niveau) und in diesem Jahr eben den größten und auch wichtigsten Musikwettbewerb der Klassik – wohlgemerkt als Bachelor-Studentin (!) und überhaupt erste Frau im Fach Trompete.

In einem ihrer ‚Wohnzimmer‘, das kein Konzerthaus ist. Selina Ott in einem Proberaum der MUK Privatuniversität in Wien.

Wer so oft und beständig ganz oben steht, muss entweder ein Übertalent sein oder eine Formel dafür gefunden haben, wie man die schwierige Wettkampfsituation meistern und auf den Punkt seine beste Leistung dann abrufen kann, wenn es zählt. Schwarzeneggers Erfolgsrezepte lauten „reps, reps, reps“, also was auch immer solange wiederholen, bis es einem leichtfällt wie Atmen, und durch eine absolut erschöpfende Vorbereitung mit dem guten Gefühl vor die Jury zu treten, dass man einfach alles gemacht hat, was möglich war. Wer dann verliert, kann sich nichts vorwerfen – und das entspannt ungemein. Wie sieht Otts Erfolgsgeheimnis aus?

Ruhe durch Routine

„Ich bin grundsätzlich immer ruhig gewesen“, antwortet sie auf die Frage, wie sie mit der Anspannung bei einem so großen Wettbewerb umgegangen sei. „Aber ich bin es auch von klein auf gewohnt, vor Publikum zu spielen.“ Da sind schon einmal zwei Komponenten: ein Charakter ohne Hang zur Nervosität und schlicht Routine. Es sei auch Ziel der Ausbildung, stressige Situationen durch Routine zu meistern. So zumindest sieht es Roman Rindberger, der an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien eine Klasse von vier Studenten unterrichtet. „Jede Woche bieten wir stressige Auftrittsgelegenheiten an, bei denen es um etwas geht. Das kann ein Vorspiel vor Kollegen sein oder ein simulierter Wettbewerb mit einer vorher fest vereinbarten Zeit. Je unangenehmer die Situation, desto wirkungsvoller ist die Übung.“ Für Selina Ott musste Rindberger sich etwas Besonderes ausdenken, da sie nicht sehr leicht aus der Ruhe zu bringen ist. Er lud Personen als Publikum ein, von denen er wusste, dass sie seiner Schülerin noch am ehesten Bauchschmerzen verursachen konnten, arrangierte eine Vorspielsituation mit unüblicher Nähe zu den Zuhörern, schuf einen Wartebereich hinter der Bühne, der bei vielen wohl Klaustrophobie auslösen würde und ließ die Probandin dann noch ein wenig schmoren, bevor sie auftreten und abliefern musste. Nicht ohne Stolz erzählt Rindberger, dass er Ott dadurch zumindest einmal ein wenig aus dem Konzept bringen konnte. Was nach Navy Seals-Drill klingt, hat auch etwas davon. Dabei geht es aber nicht um Perfidie oder Sadismus, sondern um die bestmögliche Vorbereitung. „Wenn ich in einem halben Jahr einen großen Auftritt habe, muss ich den bis dahin schon 20 Mal quasi durchlebt haben. Dann ist er auch nicht mehr überwältigend, wenn der Tag gekommen ist.“ Reps, reps, reps. Rindbergers Ansatz leuchtet genauso ein wie der von Schwarzenegger. Der Erfolg seiner Schülerin gibt ihm Recht.

Der Vorbereiter. Roman Rindberger erklärt seine Konditionierungsmaßnahmen. Foto: Philipp Greindl

Eine Schwäche zur Stärke machen

Dennoch war Lampenfieber bei der jungen Frau aus Niederösterreich nie das große Thema, eher die Ausstrahlung auf der Bühne. „Wenn ich konzentriert bin, wirkt es zuweilen so, als hätte ich keine Freude an der Musik“, beschreibt Ott ihre wenig dramatische und introvertierte Art. Um hier Fortschritte zu erzielen, ordnete Rindberger Gesangsstunden an. „Roman weiß, wie sehr ich das Singen liebe und hat mich dann zum Gesangsunterricht verdonnert, damit ich ein bisschen mehr aus mir herausgehe.“ Ott blickt dabei gespielt angesäuert zu Ihrem Lehrer. Der grinst schelmisch zurück.  Die beiden haben spürbar ein hervorragendes Lehrer-Schüler-Verhältnis. Gegenseitiger Respekt statt einseitiger Ehrfurcht ist offensichtlich. Rindberger und Ott fordern einander, können aber auch miteinander und vor allem übereinander lachen.

Doch hat der Gesangsunterricht nun auch gefruchtet? Ein wenig schon. Rindberger räumt aber auch ein, dass der Jury in München gerade gefiel, wie unprätentiös sein Schützling wirkte. „Jeder hat Defizite. Aber wenn man es schafft, aus seinen Defiziten einen Wert zu machen, dann ist das natürlich ein großer Vorteil“, verallgemeinert er das Thema. Arnold ‚Austrian Accent‘ Schwarzenegger würde das nicht anders sehen.

Die Vorbereitung auf München

Betrachten wir noch den Aspekt der musikalischen Vorbereitung auf einen solchen Mammutwettbewerb. „Leave no stone unturned“, bringt es Schwarzenegger auf den Punkt, der es okay findet, eine Niederlage einzustecken, solange man nur alles dafür getan hat, um zu gewinnen. Genau jene vielgepriesene akribische Vorbereitung gestaltete sich im Fall des ARD-Wettbewerbs als eigentlich unmöglich: Nachdem um den Jahreswechsel eine Repertoireliste veröffentlicht wurde, mussten die Kandidaten eine Bewerbung mit Aufnahmen des ersten Haydn-Satzes und der „Intrada“ von Honegger bis Ende März einsenden und sogleich die Stücke angegeben, die später im Wettbewerb gespielt wurden. Erst im Mai jedoch erfuhren die Bewerber, ob sie überhaupt nach München eingeladen werden. Diese Wartezeit sollten potenzielle Teilnehmer unbedingt nutzen, denn es müssen jedes Jahr extrem viele und natürlich auch schwierige Stücke einstudiert werden. Es scheint fast, als wäre gezielte Überforderung die Absicht hinter dem verlangten Pensum.

Selina Ott spricht schnell. Man muss also schnell mitschreiben oder viel Aufnahmematerial auswerten.

Welche Strategie fährt man dann am besten? Mehr Zeit für die Literatur der ersten Runden aufwenden, weil man zumindest nicht sofort aus dem Wettbewerb ausscheiden möchte? Oder eher nur die schwereren Stücke üben, da man sehr erfolgsgewiss ist? „Mein Ziel war, über die erste Runde zu kommen. Denn dann bin ich nicht umsonst hingefahren. Der Stress ist dann Runde für Runde weniger geworden und ich hab‘ mich einfach nur gefreut, dass ich weiter gekommen bin. Dennoch hab‘ ich mir gedacht, dass ich die Literatur für die späteren Runden besser hätte üben sollen.“

Keine Zeit für die Reifung schwerer Stücke

Die buchstäblich perfekte Vorbereitung gebe es laut Ott aber sowieso nicht: „Ich schaue, dass ich das Stück drauf habe, dass ich weiß, dass ich’s kann.“ ‚Draufhaben‘ heißt dabei nicht, es hin und wieder zufriedenstellend spielen zu können. Man muss es mit so viel Reserve beherrschen, dass es auch an einem schlechten Tag funktioniert. „Das gibt Sicherheit.“ Um diese Sicherheit zu erlangen, war die Zeit für all die Solokonzerte vor München definitiv zu eng bemessen. „Wir haben uns zu 85% nur mit Musikmachen beschäftigt. Aber für die eigentlich wichtige Reifung der Stücke war im Vorfeld des Wettbewerbs kaum Zeit“, erklärt Rindberger quasi im Vorbeigehen den üblichen Prozess der umfassenden Erarbeitung eines Musikstücks auf höchstem Niveau. Die technischen Herausforderungen sind dabei normalerweise schon gemeistert. Die Gewinnerin des ARD-Preises selbst drückt sich etwas drastischer aus. Sie hatte mehr als leise Zweifel daran, dass sie gut abschneiden wird: „Im Sommer war ich nicht sicher, ob das bis München klappt, aber hab mir dann selbst gesagt: Naja, im Stress funktioniert’s ja dann doch immer!“

Der Selina-Boost

Ein solcher Satz lässt aufhorchen. Man hört ihn nicht oft von Menschen, die auf der Bühne stehen (obwohl eine solche Kondition da gerade besonders nützlich wäre!) und von Klassiktrompetern sicher noch seltener. Zwar gibt es geborene Rampensäue, die meisten Musiker kennen von sich aber den gegenteiligen Effekt und haben mit den nervlichen Einbußen oft mehr zu kämpfen als mit allen anderen Hürden. Am schwersten betroffen sind die, deren eigener Körper als Instrument dient, denn der verweigert unter Stress so gerne seinen Regeldienst: Und das sind die Blechbläser. „Die Selina hat den unglaublichen Bonus, dass sie, wenn es um die Wurscht geht, noch besser spielt. Wo andere 20 Prozent einbüßen, setzt sie nochmal 20 Prozent drauf“, würdigt Roman Rindberger diese faszinierende Eigenschaft seiner Schülerin. Ohne Frage, das ist buchstäblich ein Wettbewerbsvorteil, um den die junge Frau viele Spitzenmusiker rund um den Globus beneiden werden. Außerdem „spiel ich Wettbewerbe ja gerne, mir macht das Spaß.“ So, das versetzt so manchem Kollegen, der alleine schon beim Gedanken an das nächste Probespiel die Nahrungsaufnahme für Tage einstellt, endgültig den moralischen Todesstoß. Bessere psychische Voraussetzungen kann man sich für den Beruf als Trompeter nicht vorstellen.

Foto: Philipp Greindl

Ott baut auf diese Stärke und kalkuliert den Selina-Boost wirklich mit ein – wenn es, wie in München, sein muss. Lieber ist es ihr aber schon, mit solider Vorbereitung auf die Bühne zu gehen. Dann spätestens macht sie sich aber komplett frei von schädlichen Gedanken: „Ich hab‘ alles so gut vorbereitet wie es mir möglich war. Wenn es nicht so funktioniert, funktioniert’s halt nicht so. Es ist die Trompete und nicht das Klavier.“

Main Asset: Positives Denken

Eine positive Grundeinstellung ist eine weitere Komponente im ‚System Selina Ott‘. Wer sie in der 3sat-Fernsehdokumentation über den Wettbewerb in München beobachten konnte, sieht nicht nur, wie unheimlich ruhig und beinahe gelassen die Studentin vor den Auftritten war, sondern auch, wie erwachsen sie ihre Leistung danach kommentierte. Die Kontrahenten ließen beim Verlassen der Bühne den Kopf hängen oder antworteten nur mit einem eher zerknirschten „okay“ auf die Frage der Redakteurin, wie es denn gelaufen sei. Ganz anders bei Ott, die trotz kleiner Fehler freudig an der Kamera vorbeihuscht: „Es sind ein paar Sachen passiert, aber ich hab‘ versucht zu musizieren und schön zu spielen.“ Gerade von solch ganz jungen Menschen, die ja fast noch in der Pubertät stecken, ist man das nicht gewohnt.

Positives Denken zeichnet Selina Ott aus. Foto: Philipp Greindl

Ist das eine antrainierte Attitüde? In der ihr eigenen Manier antwortet die 20-Jährige blitzartig, noch bevor die Frage komplett ausgesprochen ist: „Antrainiert ist bei mir gar nichts.“ Wer so schnell spricht wie Selina Ott, kann eigentlich nur die Wahrheit sagen. Man glaubt ihr auch, wenn sie ergänzt, dass sie statt Angst vor dem Versagen Lust aufs Musizieren auf der Bühne verspürte: „Ich habe mich darüber gefreut, dass ich mit dem Münchner Kammerorchester spielen darf!“

Die Eltern sind Musiklehrer

Wo kommt eine Selina Ott her, die mit ihren 20 Lebensjahren bereits so weit gediehen ist? Dazu blicken wir einmal 14 Jahre zurück. Nachdem sie sich zuhause an Klavier und Blockflöte versuchte, begann sie im Grundschulalter mit der Trompete. Anscheinend weil diese „so laut ist und so schön glänzt“. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie einfach dem Vater nacheiferte, der Trompete an einer Musikschule im heimatlichen Niederösterreich unterrichtete. So wurde der Papa auch zugleich der erste Lehrer. Öfter zuhause war aber die Mutter, eine professionelle Querflötistin. Während der Vater also nur hin und wieder nach dem Rechten schaute, was Ansatz und Zungenstoß anbelangte, war die Mutter die eigentlich ausführende Pädagogin und tägliche Kontrollinstanz. „Flötisten sind viel strenger als Trompeter, das ist furchtbar“, sagt die Tochter und rollt dabei mit den Augen. „Sie hat nie verstanden, warum Trompeter so viel gieksen und war immer drauf bedacht, dass ich ohne Fehler spiele. Ich habe deswegen wohl auch immer die Kontrolle über mein Instrument gehabt.“

Roman Rindberger ist wohl (nur) fast so streng wie Otts eigene Mutter. Foto: Philipp Greindl

Das dürfte auch erklären, warum die Lernkurve so früh so steil war. „Andere Kinder gehen einmal pro Woche in den Unterricht und machen dazwischen nur Blödsinn. Ich wurde musikalisch quasi immer überwacht.“ Als Kind mag man Musiklehrereltern, die mit einem üben und einen zu Vorspielabenden überreden, vielleicht als Geißel empfinden. Solange man nicht die Lust verliert, profitiert man davon aber sicher enorm.

Unterricht bei Martin Mühlfellner…

Mit 13 Jahren wechselte die noch immer sehr junge Selina vom Elternhaus direkt an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, wo sie dann bei Martin  Mühlfellner, seines Zeichens Solotrompeter der Wiener Philharmoniker, ein Vorstudium begann. Spätestens jetzt erübrigt sich die nicht gestellte Frage, ab wann es für Ott klar war, dass sie Trompeterin werden will. Sie beantwortet sie trotzdem en passant: „Seit ich denken kann, spiel ich Trompete und jetzt studier‘ ich das halt.“ Neben der wöchentlichen Stunde und der Korrepetition besuchte der Teenager so viele Master Classes wie möglich, „um andere Trompeter kennenzulernen“. Auch dieser Wunsch nach mehr Wissen zeugt von einer besonderen Reife.

…und Reinhold Friedrich

Auf einem jener Meisterkurse lernte sie mit 14 Jahren Reinhold Friedrich kennen. „Der sprüht vor Lebensfreude! Ich habe im Unterricht mit ihm um die Hälfte besser gespielt, weil er so viel Energie hatte. Und er wusste genau, was er sagen musste, damit ich sofort viel musikalischer spielte.“ Mit 15 Jahren nimmt sie dann als reguläre Jungstudentin in Karlsruhe bei Friedrich Unterricht – wohlgemerkt geblockt, denn zwischen der Heimat St. Pölten und der badischen Hauptstadt liegt eine volle Tagesreise, und zusätzlich zu den Stunden in Wien.

Roman Rindberger und das Pferd

Bereits mehrfach hatte Selina Ott zu diesem Zeitpunkt den prima la musica-Wettbewerb gewonnen, in dem sich Österreichs Musiknachwuchs einer hochkarätig besetzten Jury stellt. 2016 heimste sie zum achten Mal einen ersten Preis ein und gewann dadurch eine Probestunde – wahlweise bei Peter Fliecher, Trompeter des Wiener Radio-Sinfonieorchesters, oder Roman Rindberger, dem großgewachsenen Trompeter von Mnozil Brass. Sie entschied sich für Rindberger, den sie als Jury-Mitglied ihres letzten prima la musica-Wettbewerbs kennenlernte. Eigentlich wollte die damals fast volljährige Ott für weitere Studien nach Deutschland gehen, doch ihre zweite große Leidenschaft, das eigene Pferd, machte diesen Plan hinfällig. „Da muss ich am Ende noch deinem Pferd danken“, scherzt Rindberger und macht damit deutlich, wie froh auch er ist, diese Schülerin zu haben.

Auch wenn es hier ein bisschen anders aussieht: Im Gespann Rindberger-Ott kommt die Freude an der Zusammenarbeit definitiv nicht zu kurz. Foto: Philipp Greindl

Ungekannte Genauigkeit

Dankbar für die folgenreiche Begegnung ist aber vor allem Selina Ott. Die Probestunde bei Rindberger und die Folgen resümiert sie so: „Ich hatte ein Stück vorbereitet und war eigentlich recht zufrieden. Der Roman hat aber sofort alles zerlegt. Rhythmus passt nicht, Stimmung passt nicht, alles passt nicht. Nach der Stunde war ich total fertig und habe nicht mehr denken können. Er ist extrem genau, aber das habe ich gebraucht. Es ist danach viel weitergegangen.“ Rindberger ergänzt: „Bevor man auf einem Top-Level musizieren kann, gibt es gewisse Grundregeln zu beachten. Dabei geht es um banale Dinge wie Rhythmus, Intonation und Artikulation. Ignoriert man das, baut man eine Pyramide auf, die nach oben hin immer wackeliger wird. Stellt man dann die Musik noch obendrauf, ist es ganz nett, aber nicht mehr. Die Selina hat im Vergleich mit anderen aber relativ wenige Stolpersteine zu bewältigen. Deswegen hat sie auch den ARD-Wettbewerb gewonnen. Ihre musikalische Darbietung wurde nicht beeinträchtigt durch technische Unzulänglichkeiten. Das haben alle bestätigt.“

„Die Selina könnte schon jetzt eine gewaltige Master-Prüfung spielen.“ Foto: Philipp Greindl

Erst im fünften Semester

Die Lobesworte finden kein Ende, was bei Rindberger aber nicht bedeutet, dass er seinen Schützling schon an irgendeinem Ziel wähnt: „Die Selina könnte morgen eine Master-Prüfung spielen ohne mit der Wimper zu zucken, und zwar eine gewaltige.“ (Wohlgemerkt am Anfang des fünften von achten Semestern des Bachelor-Studiums!) Vielmehr sieht er sie in einer komfortablen Situation, jetzt erst recht die große Erfahrung sammeln zu können und daran weiter zu wachsen. Die Offerten nach München sind zahlreich. Welche Angebote als Solistin sie annimmt, steht noch nicht fest. Sicher ist nur, dass Selina Ott sich bietende Chancen nutzen wird. Was in fünf Jahren ist – ob neue Alison Balsom oder Inhaberin einer Orchesterstelle –, weiß niemand.

2-3 Stunden smartes Üben

Sie scheint auf jeden Fall ein Gespür dafür zu haben, was ihr guttut. Das zeigt sich u.a. auch beim täglichen Übepensum. Als Kind war zunächst nach einer Stunde Schluss, weil der Körper nicht mehr hergab. Mit dem physischen Wachstum steigerte sich auch die Ausdauer, ganz organisch wurde auch die Höhe besser. Disziplinexzesse seien an dieser Stelle und überhaupt kontraproduktiv oder mit den Worten Rindbergers: „Viel üben ist sinnfrei, gut üben ist wichtig. Die Devise lautet: in kurzer Zeit möglichst viel erreichen.“ Nur einmal habe Ott vor einem Probespiel sieben Stunden am Tag geübt und dann aber vier Tage Auszeit gebraucht. „Weniger ist mehr. Ich übe, wenn ich Zeit habe. Wenn mir die Kraft ausgeht, fahr ich zu meinem Pferd und am Abend geht’s dann wieder. Zwei bis drei Stunden passen, mehr als vier sind für mich ungesund.“

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Und da sind wir wieder bei Schwarzenegger. Auch der hat smart trainiert – und mit 20 Jahren seinen ersten internationalen Wettbewerb gewonnen. Was danach kam, ist (Erfolgs-)Geschichte. Dass Selina Ott auch auf Erfolgskurs ist, daran gibt es keinen Zweifel.

Post Scriptum: Selina Otts Equipment

Selina Ott wuchs unweit des österreichischen Herstellers Schagerl auf. Aus dieser natürlichen Beziehung entwickelte sich eine langfristige und professionelle und so spielt die junge Frau auch heute überwiegend Instrumente aus dem niederösterreichischen Mank: Aus dem Drehventilregal greift sie auf eine Berlin Heavy zurück (C-Trompete) bzw. in B-Stimmung auf eine W 2001. Little known fact: Ihr Exemplar dieser B-Trompete ist genau jenes, das ursprünglich für Wolfgang Sohm – Vorgänger von Roman Rindberger bei Mnozil Brass – gemacht wurde.

Auf Perinetseite sind eine Charis (C) und eine Dione (B) in Verwendung, als Piccolotrompete dient ein dreiventiliges Custom-Modell von Yamaha. Bei den Drehventilinstrumenten kommt ein Yamaha 15E4 zum Einsatz, bei den Pumpventilern ein Yamaha 14E4.