Von Porno-Balken bis Negativ-Hitler: Die Trompete und der Bart

Was männliche Trompeter von weiblichen unterscheidet? Eigentlich nur der Bartwuchs. Auf den Lippen, auf die das Mundstück gesetzt wird, sprießen bei den Herren in aller Regel Haare. Diese können zu einem Problem werden – oder auch nicht. Ein (politisch inkorrekter) Erfahrungsbericht.

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Ein Oberlippenbart, jedoch im Vorhang-Design: Wo das Mundstück sitzt, ist haarfreie Zone. Foto: Pixabay.com

Der TrumpetScout ist sehr froh darüber, dass er extreme Formschwankungen – wie sie in ganz jungen Jahren bei ihm üblich waren – heute nicht mehr kennt. Obwohl, ganz stimmt das nicht. Es gibt nämlich periodische Abwärtstrends und sprunghafte Anstiege, nur sind diese absehbar und bei Bedarf wäre leicht gegenzusteuern. Die Rede ist nämlich von einem Konnex zwischen Ansatzverfassung und Bartlänge.

Jede Rasur bringt eine sprunghafte Verbesserung

Im Falle des Autors dieses Artikel gilt der Grundsatz: Je länger die Borsten, desto unklarer wird das Ansatzgefühl. Zur Präzisierung taugt womöglich die Analogie zu einem Auto mit ausgeschlagener Lenkung, ausgelutschtem Fahrwerk und luftarmen Reifen: die Beherrschbarkeit vermindert sich, die Rückmeldung leidet. Das ist natürlich auch plausibel, denn zwischen Mundstück und Lippe schiebt sich etwas Drittes, das den Kontakt der beiden Komponenten beeinträchtigt.

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Ist keine Zeit zum großflächigen Rasieren, wird nur dort gestutzt, wo das Mundstück hauptsächlich aufliegt – unter der Nase. Mrs. TrumpetScout hat dafür aus nachvollziehbaren Gründen den Begriff „Negativ-Hitler“ geprägt.

Als Rasiermuffel (nass geht einfach nicht, das Gesicht gleicht dann IMMER einem Schlachtfeld, und trocken schnitt auch ein neuer Rasierapparat noch nie gründlich in der Fläche) stutzt der TrumpetScout sein Gesichtshaar lediglich auf einen Millimeter und lässt dann wieder wachsen bis zur nächsten Probe oder zum nächsten Auftritt. Wenn zwischen letztem Schnitt und dem nächsten Auswärtsspiel mehrere Tage liegen, ist spätestens ab dem vierten Mal Aufwachen (also bereits bei ganz wenigen Millimetern oder anders: „5-Tage-Bart“) ein Unwohlsein zu verzeichnen, so als bräuchte man länger, um sich aufzuwärmen. Das Gefühl des einem entgleitenden Ansatzes verstärkt sich dann zunehmend. Attacks gelingen nicht so gut, die Flexibilität leidet, Höhe geht verloren und allgemein wird das Spiel unsicherer – bis wieder geschoren wird. Erst dann, nach der sofortigen Verbesserung, kommt einem wieder in den Sinn, woran es gelegen haben könnte.

Mieser Ansatz durch den Bart? Einbildung oder gute Gründe?

Kritische Leser werden sagen: Alles Einbildung! Die Lippen schwingen doch nicht anders (sofern nicht gerade ein Western-Sheriff- oder Hipstergewächs von Fuchsschwanzdimensionen das Gesicht regiert), und die machen schließlich den Ton. So weit, so richtig. Vielleicht liegt es an einer nicht schulbuchkonformen Spieltechnik. Eigentlich sollte man für Bindungen und gröbere Lageveränderungen nicht die Lippen aus dem Bereich des Mundstückinneren ziehen, sondern Regulierungen durch die Veränderung des Zungenrückens vornehmen. Viele machen es dennoch, ein Bart ist dabei hinderlich.

Jedoch alleine der Umstand, dass der direkte Kontakt zwischen Lippe und Mundstück unterbrochen ist, kann das empfindliche Zusammenspiel von Mensch und Metall stören. Wir alle präferieren einen bestimmten Rand, der uns einen guten Sitz verspricht. Dieses Grip-Gefühl (im Englischen wird gerne auch den Begriff ‚Bite‘ benutzt) beeinflusst unsere Zufriedenheit mit einem Mundstück und alleine dadurch (also doch psychisch?) die Leistung. Jedoch ist die Summe aller (natürlich subjektiven) Empfindungen als objektive Erkenntnis zu sehen. Ist der Rand eher schmal (mehr Bite), ist das artistische Potenzial höher, ist der Rand breiter, verbessert sich die Ausdauer, die Sicherheit leidet aber. Was der Bart auf jeden Fall macht: Er dämpft den Kontakt zwischen Lippe und Mundstückrand. Eine wissenschaftliche Beweisführung pro Rasur sieht zwar anders aus, aber ein logischer Dreisatz lässt sich durchaus aufstellen:

mehr Bite = besserer Ansatz

weniger Bart = mehr Bite

ergo:

weniger Bart = besserer Ansatz 

Klar ist auf jeden Fall: Der TrumpetScout vergisst den Bart immer wieder und wundert sich dann auch stets aufs Neue, warum nach die „kleine Formkurve“ nach unten zeigt. Erst der Blick in den Spiegel lässt dann wieder ein Licht aufgehen und ein Griff in die Schublade mit dem Haarschneider wirkt dann wie ein gezündeter Turbo. Das spricht gegen den Vorwurf der Einbildung.

Merkt er jedoch – wie nicht selten – kurz vor Aufbruch zu einer Probe, dass das Haar zu lange steht, wird nur punktuell rasiert. Das sieht für die Außenwelt natürlich sehr komisch aus. Einst die erste Assoziation der Freundin: „Hast du dir einen Negativ-Hitlerbart rasiert?“ ‚Negativ-Hitler‘ ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden, steht einem aber nur als politisches Statement wirklich gut – es sei denn der natürliche Bartwuchs begünstigt ihn, wie z.B. bei Leonardo DiCaprio.

Vizzutti, Gansch, Sandoval – der Bart und die großen Trompeter

Was aber ist mit Al Hirt, Doc Severinsen, Allen Vizzutti, früher (als der Pornobalken en vogue war, also in den 80ern, nicht in seiner Renaissance heute) Roger Ingram, Arturo Sandoval, Thorsten Benkenstein oder mit häfig wechselnder Bartfrisur Thomas Gansch? Sind die nicht alleine Beweis dafür, dass ein Bart nicht schadet, sondern im Gegenteil, die Leistung eventuell gar boostet? Nun, wer hoch wie Sandoval und sicher wie Vizzutti spielen will, sollte nicht beim der Pflege des Oberlippenbartes beginnen. Viel hängt von der Ansatztechnik und die wiederum von der individuellen Physis ab.

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Bei Al Hirt wirkt es, als werde kaum Rücksicht auf das Mundstück genommen, Doc Severinsen spielt unter der Rotzbremse hindurch und Walter Scholz hat lieber ganz auf eine behaarte Oberlippe verzichtet. Ob Thomas Gansch von einem Haarpuffer vielleicht sogar (und nicht nur optisch) profitiert, ist nicht bekannt.

Der TrumpetScout setzt zu mehr als 50% auf der Oberlippe an, ein Bart würde hier besonders stören. Außerdem hat sich der Winkel mittlerweile so entwickelt, dass das Mundstück relativ plan auf den oberen Schneidezähnen aufliegt. Wer weniger Oberlippe einbringt, rutsch dementsprechend weniger auf seinen Haaren aus und kann sie  – wie im Übrigen die meisten der oben genannten Meistertrompeter – so trimmen, dass der obere Mundstückrand unter der Bartkante liegt. Und wer wie Thomas Gansch tendenziell nach unten spielt, bringt eine ganz andere Auflagesituation mit, die weniger anfällig für „Gestrüpp“ macht.

Aneel Soomary, ein äußerst vielseitiger britischer Trompeter, der sowohl Klassik aber auch Big Band spielt, verriet im Gespräch, dass er den Bart sogar als Entlastung empfindet, da die Lippen geschützt würden. Zu lange dürfen die Borsten aber auch nicht sein – bis in den roten Bereich der Lippen sollen sie nicht ragen.

Kein Für und Wider des Bartes bei Trompetern

Hier geht es aber auch nicht darum, einen Tipp für das schnelle Ansatz-Tuning vor dem Badezimmerspiegel zu geben. Jeder spürt ohne Sensibilisierung, ob ihn der Bart behindert oder eben nicht. Den TrumpetScout würde aber interessieren, was andere Trompeter zu diesem Thema meinen – schließlich beschäftigt es ihn schon fast 20 Jahre, und zwar jede Woche aufs Neue.