2016 – It was a very good year: Rückblick auf das zweite Jahr TrumpetScout

Jahr Nummer Zwei des TrumpetScout-Magazins neigt sich dem Ende. Das ist eine gute Gelegenheit, um zu resümieren, was die beiden Halbzeiten 2016 bewirkt haben – sowohl auf Leser- als auch auf Autorenseite. Ein Rückblick.

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2016 war lehrreich. Das wird sich – hoffentlich – auch im neuen Jahr nicht ändern. Die Trompete sollte deshalb auch künftig nicht zu kurz treten.

2016 ist viel passiert. Auf die Sterbewelle, die viele prominente Kulturschaffende mitgerissen hat, geht der TrumpetScout nicht ein. Stattdessen rekapituliert er die Wissensströmungen aus der Trompetenwelt, die für ihn das letzte Jahr zu einem besonders ergiebigen machten.

2016: Ein Jahr unter dem Motto „Play as written“?

Betrachtet man die Porträts, die 2016 auf TrumpetScout.de veröffentlicht wurden, fällt retrospektiv auf: Die fünf Herren sind nicht in erster Linie als Improvisations-Kapazitäten bekannt. Bei Augie Haas und Bryan Davis handelt es sich zwar um Jazz-Trompeter, die in der Lage sind, über jeden Chart anständig zu solieren. Gefragt sind sie aber vorwiegend wegen ihrer Fähigkeiten als Lead-Player und ihrer Sicherheit im obersten Register. Aneel Soomary wird für zwar allerlei Musikrichtungen verpflichtet. Was er zu spielen hat, ist jedoch meistens ausnotiert. Das gleiche gilt und galt für Roman Rindberger und Hans Gansch. Wenn auch „nach Gehör“ großgeworden und auch ohne Noten vor Publikum nicht unsicher (für Rindberger bei Mnozil Brass die Norm), würde man beide nicht als typischer Vertreter der Improvisationskunst ansehen. Gab es also eine größere Idee? „2016: Play as written“? Natürlich nicht.

Die Geheimnisse der Highnoter zu ergründen sind ein ewiges Thema. Davis und Haas standen schon lange auf der Wunschliste. Im Frühjahr hat es dann endlich geklappt. Das Ergebnis der Befragung in zwei Punkten verdichtet: Leise üben und mit Musik. Gerade unter diesem letzten Aspekt war Augie Haas‘ eigene Schule mit Playalong-MP3s eine echte Offenbarung. Sie holt Ansatzübungen aus ihrer sehr einsamen, tristen und staubigen Ecke.

Der Einblick in die Welt der Klassiker war folgenreich

Die Klassiker waren deshalb reizvoll, weil sie den Zugang zu einem persönlich viel weniger bekannten Feld boten. Bei Hans Gansch konnte sogar auf eine abgeschlossene Karriere (und zwar einer – wie das Echo belegt – wahren Lichtgestalt!) zurückgeblickt werden. Auch das war ein Novum. Die Beschäftigung im Vor- und Nachfeld mit klassischer Trompetenliteratur zeigte darüber hinaus große Wirkung. Es kamen Erinnerungen an die eigene Anfangszeit mit stupidem Proben nach der Stechuhr und Magenkrämpfen vor Übungen aus der Arban-Schule ins Bewusstsein zurück. Doch es offenbarte sich auch die Schönheit eines feinen Trompetentons, einer gelungenen Bindung, eines stufenlosen Decrescendos, einer harmonischen Agogik und einer überzeugend geblasenen Melodie. Nach vielen Jahren wandte sich der TrumpetScout wieder Trompetenkonzerten zu, jetzt aber mit einem ganz anderen Zugang – und, nach eigenem Ermessen, auch erfolgreicher als je zuvor.

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Erfolg und sein naher Verwandter, das Scheitern, rückten auch in den Fokus: Vor allem Rindbergers Biografie schien vielen Lesern Mut zu machen, die mit ihrem Spiel hadern. Ansatzprobleme plagen viele Trompeter. In erster Linie aber eine Blockade im Kopf in Folge einer verkrampften Herangehensweise kann eine Schwäche in ein Martyrium verwandeln – so erscheint es zumindest dem TrumpetScout. Hier sollte man mit richtigen Lehrern und gegebenenfalls sogar mit Psychologen gegensteuern, wenn man allen Widrigkeiten zum Trotz beruflich Trompete spielen möchte. Hängen blieb in diesem Zusammenhang aber ganz sicher der Satz von Hans Gansch, der jegliches Streben rund um unser Instrument relativiert und einige Leser erheiterte: „Ich bin Musiker und kein Hirnchirurg.“ Will sagen: Es gibt Schlimmeres als einen falschen Ton.

Was Rindberger, Gansch und neben ihnen auch andere große Lehrer wie Barbara Butler vor allem klar machten, ist aber, zu erkennen, dass die Musik im Mittelpunkt zu stehen hat und diese vorgetragen werden muss wie eine gute Rede: mit Dynamik, Abwechslungsreichtum, Verve und Leidenschaft. Conclusio: Nur die Noten akkurat herunterzublasen, das reicht nicht. Wer nichts erzählt, dem hört keiner zu.

Das TrumpetScout-Kapital und alte Herausforderungen

Das könnte übrigens auch das Credo aller TrumpetScout-Artikel sein. Die reine Aneinanderreihung von Informationen ist wenig sexy. Texte müssen unterhalten. Auch hier gab es 2016 einen neuen Vorstoß, der zum eigenen Erstaunen alle Erwartungen übertraf: Das satirische Interview mit Karina R., der Freundin eines prototypischen TrumpetScout-Lesers, schoss auf Anhieb auf den zweiten Platz der TS-Leserbestenliste. Was an den Beschreibungen wahr ist? In Teilen alles, nur eben in eine Figur gepfercht.

Leider ebenfalls wahr ist, dass die Arbeit hinter TrumpetScout enorm ist. In 2016 gab es deshalb zwei Vorstöße, Unterstützer zu einer Spende zu motivieren. Gegen einen kleinen Obolus gab es ein T-Shirt. Der Aufwand hinter so einer Aktion ist jedoch auch enorm und das Automatisierungspotenzial nur theoretisch vorhanden. Eine Lösung für das Problem der Finanzierung bleibt also auch 2017 auf der Agenda.

Ein persönlicher Durchbruch

Was definitiv auch künftig auf der To do-Liste stehen wird, aber gerade im abgelaufenen Jahr so präsent wie nie zuvor war, ist etwas, was vor dem Hintergrund der erwähnten Interview-Partner geradezu wie die vielzitierte Ironie des Schicksals wirkt: Improvisation im besten Sinne des Jazz. Der TrumpetScout hat zwar schon lange frei zu Musik gespielt, sich um das Thema notierte Harmonie jedoch stets herumgemogelt; also verlegen-galant anderen den Vortritt gelassen, wenn es ums Solieren in der Big Band ging. 2016 hat das geändert. Es gab die erste Session, einige gelungene Solo-Einlagen und dadurch bedingt keine Angst mehr vor den Akkordsymbolen. Das ist wiederum der Grundstein für Freude an der Musik, und die braucht es für die meisten zur Schöpfung von etwas Neuem. Natürlich ist der TrumpetScout deshalb noch lange kein Beboper. Aber am Ziel ist man im kreativen Fach ohnehin nie. Da ist der wichtigste Schritt eigentlich der erste, der einen auf den Weg bringt – und dann natürlich immer der nächste!



Was aber war der Katalysator für diesen ersten Schritt? Zum einen der sanfte Druck des Engagements: Wenn man in einer Big Band spielt, in der jede Stimme ihre Soli hat, kann man sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Zum anderen gibt es den Ansporn durch Vorbilder: In diesem Jahr gab es einige Gelegenheiten, mit herausragenden Kollegen zu spielen, sei es an der Trompete als auch an anderen Instrumenten. Wenn einen das improvisierte Solo eines Bühnenkompagnons nicht vor Neid erblassen lässt, sondern unwiderstehlich mit Glücksgefühlen infiziert, dann wird einem die Magie gewahr, die Musik aus dem Moment hat. Dank Youtube kann man auch später Zeuge solcher Zaubermomente werden und davon lernen bzw. euphorisiert werden. An Wynton Marsalis kommt man dabei kaum herum. Wenn er im Video oben ab Minute 2:20 über „All of me“ soliert, verschmelzen die Pole Komposition und Interpretation an Ort und Stelle und das „Will ich auch!“ aus dem Inneren wird plötzlich sehr laut.

In diesem Sinne: Neue Baustellen sind eröffnet, alte nicht verschlossen, Aufgaben gibt es also auch im neuen Jahr genug. Stoff für interessante TrumpetScout-Artikel natürlich auch. Auf Wiederlesen im März!