50 Jahre Nachfolger der Martin Committee: Large Bore-Ikone Schilke X3

Die X3 von Schilke ist eines dieser Modelle, das aus dem Produktportfolio seines Herstellers hervorsticht wie die Stradivarius 37 bei Bach, die Connstellation einst bei Conn – oder früher der Käfer bei Volkswagen. Was aber macht diese Trompete so besonders? Ein Ausflug in die Geschichte von und mit Schilke.

Die Assoziationen mit Schilke sind beim TrumpetScout divers. Divers und kontrovers. Der Trompetenlehrer eines alten Bekannten spielte (und spielt wohl noch immer) eine X3. Die fand nie den Weg in die eigenen Hände, geschweige denn an die eigenen Lippen, doch ihr Klang fand den Weg mehrere Mal an die eigenen Ohren – und betörte dabei. Noch dazu sah sie damals ganz anders aus als all die anderen Trompeten, die in den Probelokalen der Blaskapellen allwöchentlich aus ihren Koffern genommen wurden: ohne Stützen und mit einem „verkehrten“ Stimmzug.

Sehr viel später dann bot ein Händler eine S42L an. Dieses Erlebnis war eher desaströs. Eine S22 eines Kollegen in Wien war dann schon wieder sehr versöhnlich, eine über das Internet gekaufte B7 wurde alsbald wieder verscherbelt. Eine weitere S42L konnte die erste nicht rehabilitieren, eine S42 (also ohne Tuningbell) hingegen gefiel sowohl vom Sound als auch vom Spielgefühl so sehr, dass nur der Preis eine Anschaffung verhindern konnte. Wäre das nicht so gekommen, hätte man schon fast herauslesen können, dass die Large Bore-Modelle also die subjektiv besseren wären: X3, B3 und S22 sind bei Schilke nämlich die Standard-Hörner (mittlerweile gibt es ein paar neue „Handcrafted“-Modelle, aber als Sonderbestellung dürfte man bei dem kleinen Unternehmen sowieso noch alles bekommen) mit der großen Ventilbohrung (11,75 mm), B1B5 (B2 und B4 befinden sich nicht mehr im aktuellen Katalog) und S32 die Instrumente mit ML-Bohrung (11,68 mm) und B6, B7 und S42 die mit dem engsten Durchsatz (M = 11,42 mm). Eine erst vor ein paar Tagen angespielte X4 (mittlerweile nicht mehr gelistet bzw. ersetzt durch die HC1) war weder so offen, dass man sich auf ihr im mittleren Register besonders wohl gefühlt hätte, noch so frei, dass ihr Ansprechverhalten zumindest für kurze Zeit große, fette Töne verheißen hätte. Natürlich auch das: nur subjektiv. Die erste ML-Schilke bot sich vor wenigen Wochen für einen Test an. Es handelte sich dabei um eine B5. Sie hatte Kern, aber auch Sizzle, projizierte (laut den anwesenden Testkollegen) sehr gut und gefiel auch vom Widerstand außerordentlich. ML-Bohrung plus ML-Becher – eben ein guter Mittelweg.

Wo in dieser Erfahrungshierarchie ordnet sich nun aber die Schilke X3 ein?

Das Spielgefühl der Schilke X3 und die Gründe dafür

Im Kopf und auch im Körper abgespeichert war noch die B5. Dagegen blies sich die X3 deutlich weniger kompakt. Das heißt, der Widerstand war geringer und anders gelagert. Das Blasgefühl war weniger satt. Es gibt offene Trompeten, deren tolle Ansprache einem sofort gefällt, man aber ahnt, dass diese einen hohen Preis hat. Anders war das in diesem Fall: Es war – hier muss nun wie schon öfter ein Vergleich aus der Automobilwelt herhalten – als würde der Gegendruck im Abgasstrom fehlen, den ein Motor braucht, um seine volle Leistung bei der gewohnten Kalibrierung zu bringen. Der Motor heißt aber TrumpetScout – mit einem anderen Motor kann das aber ganz anders aussehen. Mit einer anderen Downpipe (Achtung: wieder Motorwelt!), d.h. einem anderen Mundstück, auch. Schilke hat speziell mit seinen populären a-Backbores hier eine passende Komponente im Programm, die den Widerstand gleich zu Beginn der extrakorporal strömenden Luft erhöht.

Die Kombination aus extrem geringen Gewicht (nur 956 Gramm!), großer Bohrung, dem sogenannten Step Bore-Design (der Rohrdurchmesser wächst nicht schrittweise, sondern verlaufend im Mundrohr und sogar im Stimmzugbogen an), wenig Stützwerk, einer reversed leadpipe-Bauweise, einem sehr runden Stimmzug und einem weiten Becherverlauf führt für den Autor dieses Berichts nachvollziehbarerweise zu diesem als diffus zu bezeichnenden Spielgefühl. Nachvollziehbar dann, wenn man eine Präferenz für knackigen Widerstand hat.

Dir gefallen die TrumpetScout-Reviews? Sie sind sehr aufwendig und werden nicht von Herstellern oder Händlern gesponsert. Bitte unterstütze die Arbeit mit einer Spende: paypal.me/trumpetscout Vielen Dank!

Dennoch: Die Intonation ist erstklassig. Gerade bei „großen“  Instrumenten ist das keine Selbstverständlichkeit. Aber gerade hierfür ist Schilke besonders berühmt.

Die Schilke X3 und ihr Klang

Man sich eingestehen, dass das Spielgefühl für einen Trompeter wichtiger ist als der Klang und weiter gedacht, dieses Gefühl dann möglicherweise den Eindruck des Klanges trübt. Die Schilke X3 weiß aber trotz dieser mentalen Hürde zu überzeugen: Der Ton ist lebendig, aber nicht grell oder gar instabil, wie es hin und wieder bei den extrem leichten Trompeten zu bemerken ist, und kann im Forte sogar kernig sein. Und man merkt, dass sie von einem Klassiktrompeter amerikanischer Provenienz (wie Firmengründer Renold Schilke einer war) konzipiert wurde. Sie könnte im Orchestergraben zum Einsatz kommen wie auch im Jazz-Club und – wer es spielen kann – auch in der Big Band. Insofern knüpft die 2017 getestete X3 in der Erinnerung an die vor 20 Jahren zum ersten Mal gehörte an. Beinahe klanglich kühl wurde die zwischenzeitlich besessene B7 im Kopf archiviert, was aber auch damit zu tun haben könnte, dass sie damals nur gespielt und nicht als Zuhörer getestet wurde. Dieses Etikett wird aber allgemein den Schilke-Trompeten angehängt, die alle besonders gut stimmen sollen, aber eher steril strahlen. Das dürfte ein Trugschluss sein, der auch mit dem schnörkellosen Design und dem zumeist strahlenden Silber-Finish zusammenhängen dürfte. Da hört das Auge meist mehr als die Ohren. Der TrumpetScout bewertet das Timbre dieser Trompete aber als sehr gelungen, da frequenzreich.

Das macht Schilke-Trompeten technisch aus

Was sich unter dem zumeist Silber- oder manchmal auch Goldkleid (lackiert sind die Standard-Trompeten nicht erhältlich) der Schilke-Hörner verbirgt, wird nicht gerade breitgetreten. Lediglich das Material beim Becher ist neben jedem Modell angegeben. Die Schallstücke aus Kupfer werden per Elektrolyse-Verfahren hergestellt, sind also nahtlos und haben nie einen Hammer gespürt. Dazu zählen auch die ultradünnen Beryllium-Becher. Die aus Gelbmessing gefertigten Glocken (wie bei der Standard-X3) sollen aus einem Rohr gezogen (also nicht traditionell aus Blattzuschnitt gelötet und gehämmert) werden. Dennoch gibt es laut dem Verkaufsverantwortlichen in Chicago, Michael Ziellinski, auch Schallstücke mit seitlicher Naht (die also traditionell hergestellt werden). Vielleicht bei der neuen Handcraft-Serie? Die Mundrohre sind laut Zielinski entweder aus Gold- oder aus Gelbmessing gemacht. Genaueres wird aber nicht verraten. Stoff für weitere Spekulationen gefällig? Ein befreundeter Instrumentbauer erinnert sich an die Reparatur einer Schilke, die eine Verkupferung über dem Messing zu Tage beförderte. Manche Stimmen im Netz sprechen außerdem von einer extrem dicken Silberschicht.

Die Bleche der S-Linie sollen übrigens laut der hier geretteten Schilke Loyalist-Seite etwas stärker gewesen zu sein. Diese Trompeten haben ja auch eine Stütze im Stimmzug und dürften einem etwas dunkleren Ideal gerecht werden sollen.

Ganz typisch Schilke: der überlappende Stimmzugbogen. Noch nie ward eine Schilke-Trompete ohne dieses Merkmal gebaut. Und das ist eine echte Singularität unter den traditionellen Herstellern.

Die Mundrohre scheinen alle gleich zu sein – oder passen sie sich dem Ventilstock an, zu dessen Rohrdurchmesser sie zumindest zu Beginn hinführen? Es bleibt unklar. Renold Schilke schien auf jeden Fall nicht im Trüben gefischt zu haben, sondern durch systematisches Testen den für ihn richtigen Weg gefunden zu haben.

Renold Schilke, der Tüftler

An der Stelle muss auf den Gründer von Schilke eingegangen werden. Renold Schilke war, wie auch Vincent Bach, selbst ein professioneller Klassiktrompeter. Er wurde 1910 geboren und nach Studium in Brüssel und Chicago mit 26 Jahren Mitglied des Chicago Symphony Orchestra. Früh schon beschäftigte er sich mit den physikalischen Grundprinzipien von Blechblasinstrumenten, tüftelte bereits während seiner Teenager-Zeit mit Rohrlängen und Materialien und arbeite sogar schon als Twen beratend in der Instrumentenbranche. Partner waren Holton und später Elden Benge. Ende der 1930er Jahre wurde dann die legendäre Martin Committee aus der Taufe gehoben – eine Trompete, wie es sie bis dato noch nie gab, alsbald zu einem Höhenflug in der Trompetenwelt abhob und die extreme Ähnlichkeit mit Schilke-Modellen aufweist. Anscheinend war Renold Schilke Teil eines buchstäblichen Komitees, das mit der Entwicklung dieser neuen Trompete betraut wurde. Anscheinend sah sich Schilke selbst als der Schöpfer der Committee. Etwas zu viel ‚anscheinend‘, doch Beweise sind Mangelware, Gegenstimmen sind vorhanden. Fakt ist, dass Schilke-Trompeten die wesentlichen Merkmale der Martin Committee aufweisen: reversed leadpipe und sparsamer Materialeinsatz (also wenig Stützwerk). Unbestritten ist auch, dass es die Martins vor den Schilkes gab. Ob die Committee eben von Schilke selbst ersonnen oder abgekupfert wurde, das lässt sich nicht sagen. Es scheint aber außer Frage zu stehen, dass Renold Schilke einen sehr wissenschaftlichen Zugang bei der Erforschung der Auswirkungen von Material und Rohrverläufen hatte. Ein von ihm verfasster Text zeugt davon.

Schilke, Made in the Windy City Chicago – und das seit 60 Jahren.

In den frühen 50ern gründete Schilke mit dem ersten Hornisten des CSO eine Vertriebsfirma für Musikalien, kaufte jenem 1956 dessen Anteil an der Firma ab und erwarb alsbald Werkzeug, um selbst Trompeten bauen zu können – nach seinen Plänen und Qualitätsvorgaben wollte das innerhalb der Branche aus Kostengründen nämlich keiner für ihn tun. Kurz darauf wurde die erste Schilke-Trompete marktreif, die B1. Erst 1967, also eine Dekade darauf, erblickte die heute so typische X3 als 13. Schilke-Modell (das Licht der Verkaufsräume – just in dem Jahr, als die Produktion der „guten, alten“ Martin Committees gestoppt wurde. Die X3 sprang also in die Presche und verkörperte ab dann exklusiv das leichte, große Horn, das von einigen Legenden wie Arturo Sandoval gespielt wurde. Das X (das auf älteren Modellen auch die mittlere Ventilbüchse ziert) leitet sich übrigens von der Fortführung der B-Reihe ab. Einer einstmaligen B9 folgte die römische Zehn (X1, die aber wie die auch X2 nie in Serie ging). Diese „X-Horns“ zeichneten sich durch eine weite Bohrung in Verbindung mit einem weiten Schallstück aus (Large-Large). Und das ist ja bis heute beeindruckend, wenn auch nicht für jedes Spieler und jeden Spieler geeignet.

Schilkes Erbe bis heute und die (un)veränderte X3

Dieser Exkurs in die Herkunft von Schilke und der X3 soll erklären helfen, warum gerade dieses Modell eine besonderen Aura umgibt. Die Schilke-Trompeten sind die nähesten Verwandten der sagenumwobenen Martin Committee, die in den 1940ern von praktisch jedem namhaften Jazzer zwischen Maynard Ferguson, Cat Anderson (hier eher in der Medium Bore-Variante?) und natürlich Miles Davis gespielt wurde. Letzterer machte natürlich die Large Bore-Ausführung so begehrt, dass heute 10.000 Dollar oder mehr für ein frühes Baujahr bezahlt werden. Die Schilke X3 ist eben das Äquivalent zu diesem heiligen Horn.

Weiteres Markenzeichen sind die sechs Kanten bei den Ventildeckeln aber auch an diversen anderen Stellen.

Schilke kooperierte bereits in den 60er Jahren mit Yamaha und prägte damit das Bild der Trompeten des japanischen Weltkonzerns bis heute. Die Bobby Shew-Modelle 6310Z und 8310Z tragen sichtbar viele Schilke-Gene in sich, wie aber auch viele Trompeten, die aktuell zwischen Deutschland und China produziert werden. Der Begriff ‚Role Model‘ lässt sich deshalb selbst nach 60 Jahren noch auf Schilke anwenden. Und das Flaggschiff X3 (bei Thomann rangiert die X3 deutlich vor der B1) ist auch noch immer dasselbe wie vor einem halben Jahrhundert? Wahrscheinlich gab es kleinere Anpassungen, von denen man aber nichts weiß. Ein Bekannter wog eine X3 vor Jahren und war verwundert, warum man überhaupt von Lightweight sprach. Mehr als 1.000 Gramm wurden angezeigt. Jetzt sind es eben deutlich darunter. Der Becher einer Beryllium-X3 wurde früher tatsächlich aus einer Legierung mit radioaktivem Beryllium gefertigt und konnte deshalb noch leichter sein als ein heutiger. Aber am Ende ist kaum eine Trompete wie die andere, auch wenn diese die gleiche Modellbezeichnung trägt.

Für wen ist die Schilke X3 geeignet?

Fest steht, dass eine Schilke X3 noch immer großes Renommee genießt, sich damit durch eine vergleichsweise hohe Preisstabilität auszeichnet, noch immer ohne Koffer ausgeliefert wird (!), ungemein gut klingt und stimmt. Für den TrumpetScout ist aber Ihre Auslegung zu speziell, um sie für alle Spielsituationen und vor allem für viele Spielertypen zu empfehlen. Wer Widerstand liebt, dem fehlt hier der Biss – er oder sie möge bei Schilke dann eher nach einer B1, B3 oder B7 greifen. Für alle Chet Baker- und Miles Davis-Verehrer, aber auch für Klassiker könnte dieses Horn jedoch schon die richtige Wahl sein.

[table caption=“TrumpetScout dares an educated guess“ width=“900″ colwidth=“400|900″ colalign=“left|left|center|left|right“]
What is she offering?,“Large and large“

Your new girl friend?,“Wenn ‚large is beautiful‘ dir gefällt“ 

Preis?,Schilke X3
Dauerbeziehung?,“Zumindest der Wert ist von großer Dauer!“
[/table]