Ab wann ist Üben Ruhestörung? Gedanken zum guten Miteinander

Das kürzlich gefällte Urteil des Bundesgerichtshof, das die Entscheidung eines Landgerichts in einem Nachbarschaftsstreit zugunsten eines Trompeters für nichtig erklärte, führte zu viel Beifall unter Musikern. Was in der Nachbesprechung leider oft unter den Tisch fiel: die Details der Causa – und das Thema Kompromissbereitschaft.

Nicht jeder wohnt so. Die meisten von uns haben direkte Nachbarn, die das Trompetenspiel oft zu hören bekommen.

Anscheinend gibt es ein ungarisches Sprichwort, das besagt: Kein Mensch ist so reich, dass er seinen Nachbarn nicht braucht. Oder mit etwas anderen Worten: Wenn man sich fürchten muss, dass man seinem Nachbarn über den Weg läuft, dann schlägt das auf den Magen, egal wie gut sonst alles läuft. Dieses Problem kennen sicher viele und aus den unterschiedlichsten Gründen. Wir Trompeter aber bieten oft einen guten Grund, uns zu hassen.

Trompeter unter Nicht-Trompetern – ein Balanceakt

Zumindest wurde das dem TrumpetScout ein Leben lang so mitgeteilt. Er ist zwar auf dem Land in einem Haus ohne fremde Parteien aufgewachsen, aber ein Nachbar war Bäcker (der ging immer früh zu Bett), ein anderer musste auch früh raus und beschwerte sich des Öfteren über spätes Trompetenspiel und ein dritter gestand zumindest im Rückblick, dass sich das Üben von Shakes und hohen Tönen immer so anhörte, als würde man „Katzen aufhängen“. Mit den Nachbarn, die gerne die Klingel betätigten, um kurzatmig und hysterisch über die Gegensprechanlage zu formulieren, dass es jetzt reiche, wurde eine Art Trumpeter’s Agreement getroffen: Bis 21 Uhr und dann ist Schluss.

„Das hört sich an, als würde jemand Katzen aufhängen!“

Viele Jahre später in Wien war die erste Begegnung mit einem aufgebrachten Nachbarn an der eigenen Wohnungstür auch nicht besser: Er hole sofort die Polizei, wenn das Musizieren nicht umgehend unterlassen werde. Auf die Frage, wann er denn nicht zuhause sei bzw. ob es Zeiten gebe, wo es weniger störe, reagierte er barsch: „Nie.“ Gut, das war nur eine Übergangsbleibe. Doch die Suche nach einer dauerhaften gestaltete sich schwierig: Über 35 Vorstellungsgespräche in Wohngemeinschaften führten nur zu Absagen. Verständlich, denn wenn man sein Hobby nicht verschweigt, weil man den großen Paukenschlag nach Einzug vermeiden möchte, und auf Ehrlichkeit setzt, bekommt ein Nicht-Trompeter immer den Vorzug. Fast immer. Denn geklappt hat es schließlich bei einem schrulligen Kunsthistoriker, bei dem offenbar sonst keiner einziehen wollte. Er musste sich entscheiden zwischen dem TrumpetScout und einer Chinesin, die mit dem eigenen Flügel eingezogen wäre und 10 Stunden am Tag geübt hätte. Da war das Blech noch das geringere Übel.

Spätere Wohnungen boten den Vorteil dicker Mauern, aber ganz sicher auch tolerante Nachbarn. Es klopfte und klingelte niemand mehr, wenngleich auch manche mitteilten, dass sie einen sehr wohl hörten. Die Frage ist eben auch, wann sie einen hören. Der TrumpetScout hat nie vor 10 Uhr gespielt und auch nie nach 21 Uhr. Das garantiert den Nachbarn ruhige Abend- und Morgenstunden und reduziert die Gefahr bösen Blutes massiv.

Der Fall in Augsburg – die Details

Doch kommen wir von der eigenen Vita zur Auseinandersetzung zwischen einem Berufstrompeter und seinem Nachbarn in Augsburg, die durch das Eingreifen des Bundesgerichtshofes für große mediale Aufmerksamkeit sorgte. Laut Pressemitteilung des BGH gab der Beklagte Trompeter an, pro Tag maximal drei Stunden zu üben, das aber auch nur zwei Tagen pro Woche (als Angestellter des Staatstheaters in Augsburg ist das plausibel, da ein Großteil der Spielzeit dort absolviert werden wird). Außerdem gibt er zwei Unterrichtsstunden pro Woche in der eigenen Wohnung.

Das Landgericht einen zu strengen Maßstab zugrunde gelegt, so die Richter des BGH.

Das klingt nun nicht nach besonders viel – in Summe kommt man auf acht Stunden pro Woche. Der Kläger, wohnhaft im Reihenhaus daneben, fühlt sich dennoch davon gestört, was ganz sicher an den baulichen Eigenheiten von (alten) Reihenhäusern liegen dürfte – man bekommt einfach sehr viel von den Nachbarn mit. (Einem Schulfreund des TrumpetScout wurde vor 25 Jahren von den Reihenhausnachbarn sogar das Klavierüben am Nachmittag untersagt!) So verbot das zuständige Landgericht das Unterrichten komplett, erlaubte das Spielen nur im Dachgeschoss und beschränkte die Spielzeit vornehmlich auf die Werktage. Lediglich an acht (!) Tagen im Jahr wäre demnach das Spielen an einem Wochenende erlaubt gewesen, jedoch auch dann nur zwischen 15 und 18 Uhr und nur eine Stunde. Die Maximalspielzeit pro Woche durfte dabei die 10 Stunden auch nicht überschreiten. Hier war man also äußerst restriktiv und sehr präzise: Ein solches Urteil verlangt eigentlich einen eigenen Protokollanten vor Ort.

Die Begründung des BGH zur Aufhebung des Gerichtsurteils

Der TrumpetScout ist – und das provoziert geradezu das bekannte Sprichwort mit dem Glashaus – ein Freund der Stille. Hunde in der Nachbarschaft, die schon vor 7 Uhr den Autos hinterkläffen, eine wummernde Bassbox am Abend oder lärmende Benzinrasenmäher und kreischende Kreissägen untertags – all das nervt ihn. Das süße Nichts-Hören wie in einer dicken Blockhütte im winterlichen Nordschweden wäre so etwas wie der Idealzustand. Doch der ist in der Zivilsation eine Illusion. So sagte auch die vorsitzende Richterin am BGH bei der Urteilsverkündung ganz richtig: „Einen Anspruch auf völlige Stille gibt es nicht.“ Das Spielen eines Instruments muss deshalb in einem gewissen Rahmen akzeptiert werden.

„Das Spielen eines Instruments muss in den eigenen vier Wänden grundsätzlich möglich sein und ist daher von den Nachbarn in gewissen Grenzen hinzunehmen.“

Die zweite Säule der Argumentation ist der Wert des Musizierens an sich: „Das häusliche Musizieren einschließlich des dazugehörigen Übens gehört zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung und ist aus der maßgeblichen Sicht eines ‚verständigen Durchschnittsmenschen‘ in gewissen Grenzen hinzunehmen, weil es einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bilden und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein kann; es gehört – wie viele andere übliche Freizeitbeschäftigungen – zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit.“ Musik ist demnach auch eine übliche Freizeitbeschäftigung – das Anfertigen von Kettensägenschnitzereien in der Einfahrt wäre es wohl nicht.

Auch wurden die Messungen, die bereits das Landgericht durchgeführt hatte, anders bewertet. Das BGH kam zum Ergebnis , dass die Belastungen zumutbar seien, auch weil das Trompetenspiel in manchen Räumen, die auch für den Aufenthalt geeignet sind, gar nicht zu hören ist.

Kein Unterschied zwischen Profi und Laie

Nicht Teil der Argumentation des BGH war der Umstand, dass es sich beim Beklagten um einen Berufsmusiker handelt. Das ist bei genauer Überlegung aber nur logisch: Ob eine Ruhestörung gegeben ist, muss natürlich unabhängig davon sein, ob der Ruhestörer einen finanziellen Nutzen davon hat (wenngleich das im großen Maßstab, z.B. bei der Genehmigung von Flugschneisen nicht immer genauso zu gelten scheint).

Entscheidend ist u.a. auch, wann und wie wie lange gespielt.

Eine Einschränkung der Lehrtätigkeit dürfte aber für viele Beobachter dennoch angemessen gewesen sein. Zwar handelte es sich in diesem Fall nur um zwei Schüler, was aber, wenn es zehn wären oder noch mehr und ein Großteil der Berufstätigkeit gar im Unterrichten zuhause bestünde? Ein Grenzziehung ist  schwierig – würde ein Schreiner aber sein Handwerk in der heimischen Garage in einem Wohngebiet ausführen, gäbe es wohl keine Diskussion darüber, ob das zulässig wäre.

Üben vs. Spielen

Der Kläger sagte bei Gericht, dass der benachbarte Trompeter nicht spiele, sondern übe, was bedeutet, dass jener über Stunden stets die gleichen Sequenzen blase. Das ist sicher weniger erfreulich fürs Ohr als sich (wenn auch nicht perfekt geblasene) ganze Musikstücke anhören zu müssen. Für den TrumpetScout ist deshalb die Argumentation auch heuchlerisch, nach der mit dem Finger auf Menschen gezeigt wird, die gerne gute Musik hören wollen, aber niemals übende Musiker. Das ist absolut plausibel. Man kann ein Freund berühmter Trompetenkonzerte sein oder sich Platten von Till Brönner kaufen und dennoch Stoß- und Bindeübungen, die für das Ergebnis notwendig sind, verabscheuen, wenn sie durch die eigene Wohnzimmerwand dringen.

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Auf der anderen Seite ist Üben eben fester Teil der Musikerexistenz, wenn es denn einen Fortschritt geben soll. Ist Musik der Job, ist man sowieso dazu gezwungen wie der Beamte zum Stempeln. Ein eigenes Probelokal für lediglich ein paar Stunden in der Woche anzumieten (Laien üben selten mehr, Profis haben oft Proben Gigs, zu denen sie sowieso auswärts spielen), wäre sicher zu viel verlangt. All den Nicht-Profis, die vielleicht mehr zuhause spielen als anderswo, sei geraten, ihr Üben musikalischer zu gestalten, wo es denn geht. Das freut nicht nur die Nachbarn (bei aller Schelte hat der TrumpetScout hin und wieder auch schon Worte des Lobes erhalten), sondern schult auch den Vortrag, schärft das Ohr für Klang und trainiert den ‚Musikmuskel‘ im Hirn.

Die Trompete und der gute Umgang mit den Mithörern

Auch wenn man schöne Melodien bläst – die Trompete bleibt das Instrument mit dem höchsten Schalldruck und (wenn man von hauserschütternden Tieftonfrequenzen absieht) der größten Durchdringung neben dem Schlagzeug. Das sollte man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen und dementsprechend bedacht zum Instrument greifen. Zwar ist das Beste Üben das verteilte über den Tag, aber vielleicht ist eine gewisse Konzentration doch möglich? Möglicherweise ist irgendjemand im Haus schwerkrank oder arbeitet Schicht. Wann sind deren Ruhezeiten? Statt zehn Mal am Tag fünf Minuten zu spielen, sollte man dann doch lieber nur vier Mal eine Viertelstunde zwischen 15 und 19 Uhr die Trompete in die Hände nehmen. Und muss ich wirklich das Fenster aufhaben? Oder muss ich die gesetzlichen Ruhezeiten bis zur Grenze ausreizen? (Im TrumpetScout-Elternhaus wohnt jetzt wieder ein Trompeter, der stets erst um halb Zehn abends zu üben anfängt – das ist nicht schön!)

Und falls es dennoch zu Beschwerden kommen sollte, sind freundliche Kommunikation und Kompromissbereitschaft das oberste Gebot. Der Verweis auf Gesetzestexte oder Präzedenzentscheidungen sollte nicht als erstes über die Lippen kommen. Auch wenn es manchmal nichts nützt (siehe oben), sollte man fragen, wann das Üben oder Spielen denn besonders stört und wann nicht. Ein solches Entgegenkommen kann erhitzte Gemüter schnell abkühlen.

The Peacemaker – kann es einen besseren Namen für einen Übedämpfer geben? Er regelt die Lautstärke massiv herunter und eliminiert damit sofort jegliche Beschwerdepunkte des Nachbarn.

Abseits solch koordinierender Maßnahmen kann einfach die Emission der Trompete gesenkt werden, konkret mit Übekabine oder Übedämpfer. Die Kabine ist vergleichsweise teuer und kostet auch Platz, der Übedämpfer ist dagegen günstig, verändert aber das Blasgefühl und den Klang (Cup- oder Harmon-Dämpfer fühlen sich besser an, sind aber nicht ganz so leise). Für Ausnahmefälle – langer Arbeitstag und die Nachbarskinder schlafen schon – ist ein solches Hilfsmittel aber gut geeignet.

My Home is my castle – and yours is yours!

In diesem Sinne: Es gibt selten nur den bösen Nachbarn und den guten Musiker, sondern – in unserem Fall – einen veritablen Schallemittenten mit Namen Trompeter und einen anderen Menschen, der sich in seinem Rückzugsort Zuhause bedrängt fühlt. Hier muss man sich einigen und sollte am besten offen darüber reden.