Am Anfang war das Mundrohr! Über ein vernachlässigtes Bauteil der Trompete

Das Mundrohr trägt seine Nähe zum Spieler bereits im Namen. Es ist das erste Bauteil der Trompete, durch das die Luft fließt, nachdem sie das Mundstück verlassen hat. Also fast. Diese Unschärfe ist bereits Teil des Mysteriums, das dieses höchst sonderbare Rohrstück umgibt. Ein Forschungsbericht.

Es gibt Komponenten der Trompete, über die spricht man lieber als über andere. Allen voran die Bohrung. Aber auch das Schallstück ist gerne Gegenstand von Fachsimpeleien. Wohl ganz hinten rangiert das Mundrohr. Warum das so ist? Zunächst einmal lässt es sich kaum vermessen, vor allem in eingebautem Zustand. Darüber hinaus kann man verschiedene Mundrohre auch spielerisch nur schwer miteinander vergleichen, da es von der Stange nur selten ‚leadpipe only‘-Variation bei einem Modell gibt (berühmtes historisches Beispiel sind die Schwestermodelle Calicchio 1s2 und 1s7) und Umbauten erstens immer viel Zeit und zweitens schier übermenschliche Akkuratesse bei Einsetzen erfordern. Da leidet die Vergleichbarkeit zwangsläufig. Mundrohrwechselsysteme können eine gute Hilfestellung sein, aber auch die haben ihre Tücken, wie wir später noch sehen werden. Nicht vergessen werden darf ein ganz anderer Grund: Auch die Hersteller machen in aller Regel ein Geheimnis aus den Spezifikationen ihrer verbauten Mundrohre.

Das Mundrohr – eine Einführung

Was wird eigentlich genau als Mundrohr bezeichnet? Das Mundrohr ist das Rohr zwischen der Mundstückaufnahme und dem zylindrischen Rohr, in das der obere Teil des Stimmbogens gesteckt wird bzw. über das sich der obere Teil des reversed-Stimmbogens stülpt. Es gibt auch Trompetenmodelle, die diese klare Trennung mit einem äußeren Rohr kaschieren, das Receiver und Leadpipe (oder auch ‚Mouthpipe‘, so die beiden englischen Bezeichnungen für das Mundrohr) ummantelt. Am eigentlichen Aufbau ändert das aber nichts. Das Mundrohr, unten farblich hervorgehoben, steckt auf der einen Seite in der Mundstückaufnahme und auf der anderen im Zugrohr. Interessant ist der Verlauf, den es von Anfang bis Ende oder im Bild: von links nach rechts nimmt.

Grün markiert das Mundrohr. Einzig der eingefärbte Teil der Trompete trägt diese Bezeichnung.

Auf den allerersten Blick handelt es sich einfach nur um ein Rohr wie alle anderen bei der Trompete. Auf den zweiten oder erst dritten Blick bemerkt man, dass es ein Anwachsen des Rohrdurchmessers gibt, das Mundrohr ist also nicht zylindrisch – zumindest nicht durchgehend. Denn bei vielen Modellen ist mit bloßem Auge zu erkennen, dass der ‚Start‘ besonders sprunghaft erfolgt. Hier legt die Leadpipe auf kurzer Strecke relativ stark an Umfang zu. Später steigt das Profil oft nur noch mäßig an. Aber gerade diese Profile bzw. Rohrverläufe sind Teil des Mysteriums Mundrohr. Das eine ist anfänglich konvex, das andere stellenweise konkav, wieder ein anderes annähernd konisch, ein viertes macht zwei Sprünge… Hier ist alles möglich. Eckpunkte sind ein Eingangsmaß von circa 8,4 mm und ein Ausgangsmaß zwischen 11,4 und 11,7 mm. Auf rund 20 cm Länge (bei der Perinettrompete) weitet sich das Rohr lediglich um rund 3 mm. Im Vergleich zu den Anstiegen beim Schallstück ist das nichts. Dieser enge Rahmen lässt erahnen, dass das Spezialfach Mundrohr als so etwas wie die Gefäßchirugie im Metallblasinstrumentenbau gelten kann.

Schematische Darstellung einiger Verlaufstypen. Gezeigt werden soll, dass die Größe eines Mundrohrs eindeutig nur über das Volumen auf einer genormten Strecke zu bestimmen wäre. Dieses würde jedoch wenig über die Spieleigenschaften aussagen und nach dieser Definition gleichgroße, aber unterschiedlich verlaufende Rohre dürften unterschiedlich funktionieren.

Ein befreundeter Instrumentenbauer aus Linz hat mit Mundrohren für Drehventiltrompeten experimentiert und dafür extreme Varianten angefertigt. Sie veranschaulichen wunderbar, wie unterschiedlich Verläufe sein können. Das obere Mundrohr öffnet sich sehr schnell und verläuft dann zylindrisch, das untere verläuft erst zylindrisch, öffnet dann über einen Konus und endet wieder zylindrisch. Und ja, in bisschen sieht es aus wie ein Fischtöter!

Hier zwei Mundrohrextreme aus dem Drehventiltrompetenkosmos.

Wie wird ein Mundrohr eigentlich hergestellt?

Ein Mundrohr kann auf mehrere Arten hergestellt werden. Üblicherweise wird ein Rohr

  • über einen Dorn, sprich eine Form, gezogen oder
  • mit einem Locheisen durch punktuelles Verkanten in Form gebracht oder
  • in seltenen Fällen aus dem Vollen gefräßt.

Der TrumpetScout konnte während eines Schulpraktikums beim Instrumentenbauer einmal die traditionellen Technik der punktuellen Verformung durch ein Eisen mit verschieden großen Löchern selbst ausprobieren. Es ist natürlich sehr viel zeitaufwändiger als das Ziehen über einen Dorn und könnte auch zu einer besonderen Materialverdichtung führen, die wiederum Ansprache und Klang beeinflusst. Die Großserienproduktion dürften aber wohl auf die schnellere Prozessvariante mit konstanteren Ergebnissen zurückgreifen. Ihre Einschränkung: Spezialverläufe mit Rohrweitung und einer erneuten Verjüngung sind nicht möglich.

Mundrohr: das Material und dessen Stärke

Natürlich spielt auch das Material eine große Rolle. Gängig sind wie beim Becher auch Messing, Goldmessing und Kupfer. Der große Vorteil von Goldmessing: Es korrodiert nicht so schnell. Denn je näher ein Bauteil dem Mundstück ist, desto stärker ist es dem Speichel und seinen Inhaltsstoffen ausgesetzt. Und die führen bei Messing bekanntlich zu roten Flecken, dem Zinkfraß, und bei Vollkupfer zu Grünspan. Wohl wegen dieser Anfälligkeit stieg z.B. Getzen irgendwann von Messing- auf Neusilbermundrohre um. Bliesen sich diese Trompeten noch wie ihre Vorgänger? Leider nicht. Daneben gibt es auch noch Mundrohre aus Sterlingsilber und wahrscheinlich auch noch exotischere Varianten.

Offensichtlich kein Messing. Bei dieser Getzen kommt Neusilber als Mundrohrmaterial zum Einsatz.

Entscheidend für das Schwingungsverhalten ist bekanntlich auch die Materialstärke. Im später beschriebenen Vergleichstest fiel bei der Montage auf: Ein Mundrohr hatte am Ausgang den größeren Außendurchmesser, jedoch den kleineren Innendurchmesser – es musste also aus dickerem Blech gefertigt sein.

Was bewirkt ein anderes Mundrohr? Ein Experiment

Nun aber zum bereits erwähnten Test. Um den Faktor Mundrohr möglichst isolieren zu können, ließ der TrumpetScout bei Musik Gillhaus in Freiburg an seiner Yamaha YTR-4335G ein zweites Mundrohr parallel zum standardmäßigen anbringen.

Für den Test wurden zwei Mundrohre aneinander geheftet.

Bei der Demontage zuvor wurde deutlich, dass die Standard-Leadpipe dem 25er Mundrohr einer Bach sehr ähnlich war, da ein entsprechender Dorn sehr fest saß. Ihr Ausgangsmaß: 11,44 mm. Als Kontrast diente ein als sehr weit geltendes Mundrohr aus einer Yamaha YTR-8335LA, dem Wayne Bergeron-Signature-Modell. Und in der Tat, derselbe Dorn hatte dort deutlich mehr Spiel. Gemessen wurden am Rohrende rund drei Zehntel mehr Innendurchmesser. Das LA-Mundrohr kam bereits mit eigenem Receiver von Yamaha und musste nur noch in ein Zugrohr eingelötet werden, wo es, wie oben bereits, erwähnt, etwas mehr Platz hatte als das Standardmundrohr. Nun konnte zwischen den Mundrohren gewechselt werden.

Spieleindrücke und Sound

Die Spannung soll nicht künstlich gesteigert werden. Der Unterschied beim ersten Spielen war kaum bemerkbar (die Anwendung einer variablen Stütze ist deutlich effektvoller). Und wenn man ihn beim ersten Probieren schon nicht stark wahrnimmt, dann ist da in der Regel auch nicht viel. Es folgten einige Wochen des Testens und auch der Testpause. Nach der Rückkehr von Bach und Flip Oakes war das Testinstrument an sich etwas vollkommen anderes. Beim Videodreh für die Klangbeispiele fiel dann wieder auf, wie das Standardmundrohr im Normalbereich (tiefe und mittlere Lage) besser funktionierte. D.h., die Töne ließen sich sauberer stoßen, rasteten besser und ließen sich trotz engerem Rohrverlauf etwas freier blasen. Hinter dem Horn klangen sie auch voller. Das ‚fremde‘ Mundrohr hingegen war flexibler, machte das Bending leichter und spielte sich in der oberen Lage freier.

Beim Hören der eigenen Aufnahmen konnten diese Eindrücke nur teilweise bestätigt werden. Auch in der Mittellage hinterließ das LA-Mundrohr den besseren Eindruck, klang ein wenig voller und reifer. Hierzu kann sich aber jeder selbst ein akustisches Bild machen. Für den TrumpetScout bleibt es dabei: Eine eklatante Veränderung ist nicht zu verzeichnen.

Was der Spezialist sagt

Aber kann es sein, das ein sich deutlich unterscheidendes Mundrohr nur so wenig Differenz in Spielverhalten und Klang bewirkt? Der TrumpetScout fragte nach bei Claus Popp, der für viele prominente Bläser des vornehmlich hohen Blechs aus Deutschland und darüber hinaus die erste Anlaufstelle ist, wenn es um die Modifikation sowie Reparatur ihrer Instrumente geht bzw. sie ein neues Kornett brauchen. Popp arbeitet hin und wieder auch für das Yamaha Atelier in Hamburg, kennt Mundrohrpapst Bob Malone persönlich und hat über Jahrzehnte auch viele alte Trompeten auf ihre baulichen Eigenheiten hin untersucht. Seiner Aussage nach passten die TrumpetScout-Spieleindrücke durchaus gut zu den Formunterschieden zwischen den beiden Mundrohren – eine allgemeine Formel ließe sich daraus aber nicht ableiten. Prinzipiell komme es auf das Zusammenspiel der Komponenten an und unterschiedliche Wege könnten beim Mundrohr zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Doch eigentlich seien andere Faktoren fast wichtiger als die Leadpipe selbst. Aber heißt das jetzt, dass dieses hier so ausführlich besprochene Rohr eigentlich zu Recht stiefmütterlich behandelt wird? Ein bisschen ja. Für Popp sind es die vielen Kanten im Rohrverlauf des Instrument, die über Offenheit und Ansprache entscheiden. „Klar, im Paket ist jede Bach ihrem Stall zuzuordnen. Aber dass eine viel besser spielt als eine andere, liegt weniger am Becher oder am Mundrohr, sondern an Zehnteln beim Zusammenlöten.“ Eine Kante ist besonders wichtig und bringt uns dann wieder zum Mundrohr – und das ist die Gap. Diese Kante zwischen Mundstückende und Mundrohr ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Und hier liegt enormes Potenzial verborgen – Potenzial für ein Spitzeninstrument und genauso für eine Gurke. Problem sei laut Popp der wirklich kleine Sweet Spot. Und jede kleine Abweichung vom Ideal summiert sich mit jeder Steckverbindung zu einer großen. „Man muss als Instrumentenbauer extrem gewissenhaft arbeiten und selbst dann wird keine Trompete wie die andere.“

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Die Gap ist mit beiden Yamaha-Mundrohren und ihren entsprechenden Mundstückaufnahmen gleich groß. Mit dem Lead-Mundstück wurde 5 mm ermittelt (was eher viel ist) und mit dem tieferen 3mm.

Nicht mehr Teil des Mundrohres, aber fest mit ihm verbunden ist der Receiver. Er bestimmt gemeinsam mit Mundrohr und Mundstück die Gap – eine effektvolle, wenn auch nicht vorhandene Komponente.

Und was ist mit der Intonation? „Das Mundrohr kann ursächlich für schlechte Intonation sein“, meint Claus Popp, aber auch bei diesem Thema ist das Zusammenspiel von Bauteilen und baulichen Eigenheiten entscheidend. Außerdem merkt er an, dass es Trompeten gebe, die gar keine Gap haben, wie viele ältere Benge-Modelle oder die ursprüngliche French Besson. Auch das funktioniert.

Die Gap als Heilige Dreifaltigkeit aus Mundrohr, Receiver und Mundstück

Abgesehen von diesen Ausnahmen ist aber kurz vor dem Mundrohr, also gewissermaßen bei der Introduktion der Luft, viel zu holen wie auch zu verlieren, und das sollte man sich auf jeden Fall behalten. Mit diesem Wissen müsste man allerdings die Semantik des Begriffs ‚Mundrohr‘ noch einmal überdenken: Größer gedacht, (wie im Testfall auch erworben) als Einheit  aus Leadpipe und Receiver, das wäre eigentlich sinnvoller – zumindest wenn man von spürbaren Unterschieden spricht.

Auch wenn der Unterschied zwischen den Mundrohren in Bezug auf die Spielbarkeit nicht gravierend ausfiel, so hat der TrumpetScout trotzdem das LA-Mundrohr am Ende des Tests auf der Trompete belassen. Aus der einstigen YTR-4335G ist also nach Schallbecher- und Mundrohrwechsel mittlerweile eine YTR-4335LA geworden. Vorerst wird das so bleiben. Aber man weiß ja nie.

Zur Transparenz: Das neue Mundrohr wurde zum üblichen Ersatzteilpreis erworben, jedoch kostenlos von Sigmar Fischer bei Musik Gillhaus eingebaut. Stefan Walenta hat das parallel eingelötete Standardmundrohr ebenfalls kostenlos wieder entfernt. Danke für die Unterstützung!