Martin Hutter. Das ist kein Name wie Musik, das ist ein Name der Musik. Denn Vater Ernst Hutter erwarb nicht einfach nur professionelle Meriten im Big Band- und traditionellen Blasmusikfach, sondern ist eine echte Musikikone. Um aus diesem großen Schatten herauszuragen, muss man sich ziemlich lang machen. Körperlich hat das beim Fast-2-Meter-Mann bereits geklappt. Und sonst?
Mit 1,98 Meter Körpergröße ist Martin Hutter der am höchsten aufgeschossene aller bisher auf dieser Seite porträtierten Trompeter. Jörg Brohm, Benny Brown und Roman Rindberger überragt er um ein sichtbares Stückchen. Zu den allermeisten Menschen spricht er somit naturgemäß von oben herab. Das tut er aber definitiv nicht im übertragenen Sinne. So erklärt der lange Mann mit Bubencharme seinen zum Teil mehrere Köpfe kürzeren Fans nach einem Moop Mama-Konzert, wie lange er am Tanzstil gefeilt habe, der als „Hutter-Move“ wohl in die Geschichtsbücher der zur Schau gestellten Tanzlegasthenie eingehen dürfte. Ganz frei von Ironie spricht er aber im Interview von Themen, über die viele gerne schweigen: Ängste, Blockaden, Hemmungen. Ebenso auffallend: Martin Hutter verstellt sich sprachlich nicht, parliert also wie ihm der Allgäuer Schnabel gewachsen ist, und schafft immer wieder Bezüge, die die gleiche Augenhöhe suggerieren: „Des kennsch ja selber.“
Martin Hutter – Spagat zwischen Kniestrümpfen und Sneakers
Für alle, die Martin Hutter nicht kennen sollten: Er spielt die 1. Trompete bei Moop Mama, einer Münchner Hip Hop-Band, die statt auf Plattenspieler und Keyboard auf 9 Bläser und Perkussionisten setzt. Zugleich ist er aber auch die Allzweckwaffe im unglaublich erfolgreichen Egerländer-Orchester seines Vaters, spielt dort entweder Flügelhorn oder die gefürchtete Trompetenstimme. Größer könnten die Unterschiede nicht sein, oder?
Nun, besonders groß ist Kluft anscheinend bei den Fans. „Was, du machst auch Volksmusik??“, entrüsten sich immer wieder mal Moop Mama-Anhänger über Instagram und Facebook, wenn sie erfahren, dass der Trompeter ‚ihrer‘ Band in Janker und Kniestrümpfen auch Polkas und Märsche zum Besten gibt. Wahrscheinlich hüpfen auch nicht allzu viele Blasmusiktraditionalisten zu Bass und Beat in Hallen ohne Sitzplätze. Hutter selbst muss sich bei diesem Spagat aber nicht verrenken. Er ist gleichzeitig in verschiedenen Winkeln – Blasmusik, Jazz, Klassik, Pop – ein und derselben Welt aufgewachsen: und zwar der Welt der Musik.
Klar, die Anforderungen sind unterschiedlich. Bei Moop Mama spielen die Trompeten viel, lang, laut und hoch. Bei den Egerländern hingegen hat der Obligat-Bläser keinen Ausdauer-Job (den machen Flügelhornisten!) und ist auch technisch nicht allzu sehr gefordert. Dafür muss er um jeden Preis liefern. „Wenn ich‘s lang nicht gmacht hab, dann zitter ich vor dem Auftritt“, gibt der Hüne unumwunden zu. Woran das liegt? Beim Hip Hop-Konzert interessiert die Fans die Show im Ganzen, das einzelne (Blas-)Instrument und eine schwierige Passage wird nur marginal wahrgenommen. Bei den Egerländern hingegen sitzt gewissermaßen ausschließlich bläserisches Fachpublikum im Saal, eingefleischte Fans, die die Stücke schon 100 Mal gehört haben, jedes Ritardando kennen und die Phrasierung in jedem Takt. Geht da etwas daneben, dann bekommt es jeder mit. Dieser Druck ist enorm.
Auch wenn Martin Hutter versucht, das unbeschwerte Gefühl eines Moop Mama-Gigs auf die Egerländer-Bühne mitzunehmen, und ihm das, wie er selbst sagt, nach mittlerweile 10 Jahren immer besser gelingt, wird die Last der Verantwortung an einer Episode deutlich: Vor acht Jahren, erinnert sich der Sohn des Bandleaders ganz genau, sei einmal ein Signal auf dem F3 misslungen und seither bereite ihm diese Stelle Bauchschmerzen. „Nachdenken darf man nicht, sonst ist ein Einwurf auf dem G1 schon schwierig!“
So hat alles angefangen – SWR-Big Band, Fußball und Sammy Nestico
1986, ein Jahr nachdem Papa Ernst Hutter Mitglied von Ernst Moschs legendären Original Egerländer Musikanten geworden war, kam Martin Hutter zur Welt. Der Vater nahm den Sprössling schon früh zu Proben und Konzerten mit – nicht nur zu Mosch, sondern auch zur heutigen SWR-Big Band, bei der Hutter Senior seit 1987 (damals hieß die Band noch Südfunk-Tanzorchester und wurde vom legendären Erwin Lehn geleitet) als Lead-Posaunist tätig ist und damit ebenfalls zwei vermeintliche Gegensätze höchst erfolgreich verbindet. Zwar wollte er doch tatsächlich einmal Klarinette lernen, krabbelte aber dennoch als Kleinkind schon immer zu den Trompeten, konkret in Richtung Thomas Vogel. Nicht von ungefähr empfindet er dessen Klang und Spielweise bis heute als ideal in puncto Lead-Trompete.
Später traf er dort sogar Sammy Nestico, der ihm aus den USA die Lead-Stimmen zukommen ließ, die der junge Hutter daraufhin wie besessen zu all den berühmten Aufnahmen spielte. „Ich hab nie wirklich geübt, sondern nur zur Musik rumgeballert. Wenn es hochkommt, aber auch nur eine halbe Stunde am Tag. Ich war halt gern draußen und Fußball war cooler.“
Zum Üben gezwungen habe ihn der Vater jedenfalls nie und auch nie in eine Richtung gedrängt. Aber natürlich konnte jener auch nicht verbergen, dass er sich auskennt mit Musik und Blasinstrumenten. Die Tipps von Papa konnte der ‚kleine Hutter‘ sich jedoch nicht anhören. „Er ist in den Proberaum gekommen und wir haben schon gestritten.“ Aber so ist das natürlich oft mit den Eltern, und da Martin Hutter am 13. September 1995 (so genau weiß er das!) „erst“ mit 9 Jahren begann, Trompete zu lernen, ließen Pubertät und damit einhergehende ‚Standardtrotzigkeit‘ nicht mehr allzu lange auf sich warten.
Der erste Lehrer an der Musikschule war aber auch bald mit seinem pädagogischen Latein am Ende und überwies den jungen Hutter zu einem neuen Kollegen. Richtig glücklich wurde der aber auch nicht mit ihm. Dennoch war eine Begabung unübersichtlich, schließlich oktavierte der Heranwachsende im Musikverein, was das Zeug hielt und überzeugte vor allem immer bei Auftritten. Im Unterricht dagegen schmierte die Leistungskurve ab. Besonders krass sichtbar wurde dieses Phänomen, als Martin Hutter mit 16 Jahren Unterricht bei einem Klassiktrompeter in Stuttgart nahm. „Auf der Fahrt im Zug hab ich drei Stunden lang gezittert und dann in der Stunde versagt.“ Das setzte sich sogar bis ins Studium in Köln fort: „Andy [Haderer] fragte mich nach den ersten Stunden, was denn mit mir los ist. Er hört über Kollegen so viel Gutes von mir, merkt davon aber nichts.“ Wie auch Benny Brown, wahrscheinlich nur noch ausgeprägter, braucht Hutter die richtige Atmosphäre für gute Leistungen: „Das Gefühl ist für mich wichtig.“
Ein zu großes Mundstück und zu wenige Credits
Aber eines nach dem anderen. Wann und wie reifte überhaupt die Entscheidung, Profi zu werden? Bei Jugend musiziert fuhr Martin Hutter erste Erfolge ein und wollte, wenn überhaupt, dann den Weg als klassischer Solotrompeter einschlagen. Irgendwie kreuzten aber die üblichen Verdächtigen den Weg des jungen Mannes: Maynard Ferguson, Derek Watkins, Wayne Bergeron. Zwar hörte er beim Vater schon immer Jazz, hatte aber noch nicht das Interesse an den großen Improvisierern entwickelt. So formte sich der Wunsch, Lead-Trompeter zu werden. Seine Veranlagung hat ihm dabei keine Strich durch die Rechnung gemacht. „Ich hab einfach Kraft.“ Heute weiß Hutter das, als Teenager war ihm diese Begabung aber keineswegs so klar. So fuhr er zum Vorspiel des LaJazzO Bayern nach München in der Annahme, dass dort alle (auch in puncto Höhe) viel besser seien. Der damalige Band-Leiter Peter Tuscher kommandierte den Neuling dann sofort in die A-Big Band, wo der ‚Zwangsversetzte‘ jedoch rücksichtsvoll anbot, eine Unterstimme zu spielen. „Das Gefühl, jemandem etwas wegzunehmen, mag ich gar nicht.“ Es kam natürlich anders und nach einer erfolgreichen ersten Probephase mit harter Lead-Literatur konnte der junge Allgäuer erst einmal eine Woche lang nicht mehr spielen. „Ich bin bis heute kein Equipment-Checker und hab mich mit dem Bach 1 1/2C einfach überanstrengt.“ Heute spielt er fast ausschließlich auf einem Bob Reeves 43ES, das ihm Jörg Brohm ans Herz legte. Für Empfehlungen von guten Leuten ist Martin Hutter sowieso empfänglich. Er respektiert Erfahrung, beim Equipment genauso wie beim Phrasing in der Big Band oder im Egerländer-Orchester: „Anders als manche Kollegen hinterfrage ich nicht, was mir Cracks raten.“
Trotz starker Faszination von der Spielweise besagter Vorbilder habe sich das Berufsziel ‚Trompeter‘ dennoch erst während der Zeit beim Musikkorps in München, mit 18, 19 Jahren, zweifelsfrei herausgestellt. Der fehlende Baustein im Repertoire war die Improvisation, auch wenn diese den jungen Mann bis dato eher wenig interessiert hatte. „Am Anfang war Jazzmusik für mich langweilig.“ Doch mit den Jahren rückten Namen wie Freddie Hubbard und Chet Baker auf der Präferenzliste immer weiter nach oben. Auf die sich dann stellende Frage nach dem geeigneten Professor – zur Wahl standen Andy Haderer in Köln und Ingolf Burkhardt in Hamburg – gab der Vater eine klare Antwort: „Er sagte: ‚Geh nach Köln!‘ Der Papa sah bei der musikalischen Herkunft Parallelen zwischen Andy und sich selbst.“ Vielleicht bereitete aber auch nur die große Entfernung zwischen Allgäu und Waterkant Ernst Hutter Sorgen.
Zunächst zog Hutter Junior dann also in die Musik- und Medienmetropole am Niederrhein, knüpfte dort wie alle Studenten Kontakte und sammelte Spielerfahrung. Aufgrund vieler Engagements verbrachte er aber alsbald gar nicht mehr so viel Zeit in Köln und verlagerte seinen Heimathafen wieder zurück an den Bodensee. Mit dem Studium war er aber noch nicht fertig und fuhr deshalb für einzelne Pflichtveranstaltungen immer wieder in die Domstadt – solange bis er alle nötigen Punkte für einen positiven Studienabschluss beisammen hatte. Als auch die praktische Abschlussprüfung geschafft war und Hutter sich das Zeugnis abholen wollte, kam dann die ganz dicke Überraschung: Wegen der Umstellung von Diplom- auf Bachelor-Studium und einer Verkettung von administrativen Fehlleistungen fehlten dem Allgäu-Pendler anscheinend noch immer 17 Credits! Da riss ihm der Geduldsfaden, aber zugleich tröstete ihn die Gewissheit: Viele großartige Trompeter (wie Thomas Gansch oder eben Andy Haderer) haben keinen Abschluss. Mit viel Trotz und einem Schmunzler sagte er sich deshalb: „Dann gehör‘ ich jetzt halt auch dazu!“
„Ich spiel‘ nur mit Antennen!“
Trotz theoretischer Ausbildung im Studium bekennt Hutter, dass er sich harmonisch nicht besonders gut auskenne. „Ich spiel nur mit Antennen!“ Ähnlich verhält es sich im Bezug auf die Spieltechnik. Die möchte der heute 32-Jährige noch immer nicht bewusst ergründen, sondern erfühlen. So kann er seinem Kollegen Jörg Brohm auch keine akkurate Antwort geben, wenn der z.B. fragt, wie Hutter denn stoße. Auch ansonsten ist der lange Blonde sehr emotional, um nicht sogar zu sagen gefühlsgetrieben. „Wenn ich total aggro bin oder verliebt, dann muss ich nicht üben!“ Dass er impulsiv ist, unterstreicht seine ausladende und ununterbrochene Gestik im Gespräch. Wahrscheinlich deshalb hat Hutter Angebote für Festanstellungen bislang auch ausgeschlagen und sich stattdessen seinerzeit für das einstige Start-up Moop Mama entschieden.
Er mag auch nicht von „Diensten“ sprechen, wenn es um seine Liebe, die Musik, geht und noch weniger in Diensten denken. Freude am Spielen ist das, was ihm Höchstleistungen erst ermöglicht. Sein Credo: Energie senden und sich so gegenseitig anstacheln! Wie Hutter erzählt, passiere genau das auf der Egerländer Bühne. „Wenn vorne einer soliert, pushen wir ihn aus der Section und freuen uns genau so, wenn alles gut geklappt hat, als wären wir selbst vorne gestanden.“ Und auch von seinem Moop Mama-Kollegen Menzel Mutzke fühlt er sich motiviert und berührt zugleich: „Sein Soul beeindruckt mich brutal.“
Martin Hutter über die Fallstricke der Psyche
Versagensangst und eine zu hohe Erwartungshaltung verhindern gute Leistungen zuverlässig. Bei Martin Hutter ist das nicht anders. „Am besten ist, man denkt gar nicht erst drüber nach, was passieren kann, dann passiert auch nichts!“ Das ist so simpel wie schwierig. Nichtsdestotrotz ist die Kunst der Ausblendung von Bad Case-Szenarios ein Schlüssel zum Erfolg. Gute Vorbereitung natürlich, doch eben auch positive Gedanken. Der Fokus auf das Wesentliche spielt aber ebenso eine gewichtige Rolle. So erinnert sich Hutter an einen Workshop mit Bob Findley. Der sagte während der Probe zum jungen Deutschen: „Denk nicht an den hohen Ton am Schluss, sondern Takt für Takt.“ Sein damaliges Fehlverhalten dürfte Einigen unserer Zunft bekannt vorkommen.
Nur in wenigen Fällen ein Treibstoff, sondern meist der Anfang vom Ende ist Druck von außen – und sei er nur virtuell. Deutlich wird das an einem Egerländer-Auftritt, bei dem Martin Hutter sich während des Einblasens einen Hexenschuss zuzog. Er wusste, dass mit den Schmerzen an jenem Tag keine Höchstleistung möglich sei, kannte aber zumindest im Vorhinein den Grund dafür. Fast überflüssig zu sagen, dass an diesem Abend alles passte, jedes Signal saß und jeder hohe Ton sauber einrastete. Die Einschränkung hatte sich als Schutzschild erwiesen – weil sie entlastete. Mitspieler und Freund Menzel Mutzke habe, so Hutter, ihm sogar von einem Trompeter erzählt, der mit Absicht mit Gips zum Konzert kam, um die anderen Musiker – in Wahrheit aber nur sich selbst – zu überlisten. Und ja, auch der TrumpetScout machte schon solche Erfahrungen. Wer nichts erwartet, kann fast nur gewinnen. Selbst Wayne Bergeron sieht das ähnlich, weiß sein deutscher Fan und Berufskollege: „Der sagt, ich geb‘ immer nur 80%, denn dann kann ich über mich hinauswachsen.“
Mit diesen Themen hat Martin Hutter sich offensichtlich eingehend befasst. Vielleicht nicht von ungefähr. So erzählt er im Interview von Platzangst in der U-Bahn, Schwindel- und Panikanfällen sowie Phasen in seinem Leben, die ihn buchstäblich den Schlaf gekostet haben. Diese Symptome sind mittlerweile Geschichte und mit Gelassenheit meistert er heute Anstrengungen wie eine parallele Moop Mama– und Egerländer-Tour wie im vergangenen Winter. „Ich war noch nie so fit.“ Zehn Minuten Meditation „oder einfach das Checken meiner Atmung“ hälfen gegen Unruhe vor dem Auftritt. Trotzdem ist das Thema ‚Kopf‘ für ihn wohl nie ganz gegessen. „Kommt das F3 bei einer Tour schon früh im Programm, hat man eine ganz andere Sicherheit als wenn es erst zum Schluss das erste Mal zu spielen ist.“ Auch mit dieser Erfahrung dürfte der Springer bei den Egerländern nicht alleine dastehen.
Wir rufen uns aber in Erinnerung: Auf der Bühne kann Martin Hutter sowieso am allerbesten seine beste Leistung abrufen (auch wenn vorher der Darm streikt und die Hände zittern). Eine schöne Anekdote dazu: Vor vielen Jahren saß der lange Mann neben Felice Civitareale, dem Lead-Trompeter der SWR-Big Band, in der Section. Noch im Einzählen der Zugabenummer legte dieser seinem noch fast jugendlichen Nachbarn die erste Stimme aufs Pult, um ihn unter erschwerten Bedingungen zu testen. Da bleibt zwar keine Zeit für weiche Knie, aber in so einer Situation muss man sich dann trotzdem sofort beweisen. „Klar hab ich dann das G am Schluss auch noch oben gespielt“, erinnert sich Hutter Junior heute mit einem breiten Grinsen.
„Mein Traum: Ein C4 wie ein C1 spielen zu können.“
Für einen Lead-Trompeter gehören hohe Töne einfach zum Geschäft. Punkt. „Ich muss mir die Sicherheit in der Höhe holen.“ Das heißt bei Martin Hutter konkret, beim Einspielen die F3s und G3s einfach ein paar Mal anzuspielen, um im Wissen auf die Bühne zu gehen, dass sie im Köcher sind. Auch hier eine kleiner Side Fact, von denen der noch immer sehr junge Mann unzählige auf Lager zu haben scheint: Der bereits erwähnte Felice Civitareale habe im Backstage stets eine Einzelumkleide – „um sich warmzuballern“.
Manchmal, verrät er, gehe es bei ihm in der Höhe jedoch einfach nicht, auf der Bühne dann später aber trotzdem. Das ist eben die Rampensau Hutter. Es gebe aber auch Tage oder Zeiten, z.B. am Morgen einem harten Konzert, einer Nacht im Tourbus und mit angeschwollenen Lippen, da will erst gar nichts funktionieren und es brauche dann beinahe Gewalt. „Wenn ich dann ein paar Mal draufballer‘, dann geht’s irgendwann.“ Das klingt wohl brutaler als es ist, aber manchmal ist zu viel Rücksicht mit geschundenen Muskeln eben nicht das richtige Rezept.
Als brutal kann man auch Hutters Sound in der obersten Lage nennen. Das konnte der TrumpetScout während des Konzerts nach dem Interview hören und ist auch vielfach bei Youtube verewigt (z.B. am Ende von „Bis bald, Auf Wiedersehen“). „Punch“ – ein Wort, das der Allgäuer trotz seiner Dialektaffinität oft verwendet – hat er definitiv. „Mein Traum ist es, ein C4 so offen wie ein C1 zu spielen. Ab und an gelingt mir das bis zum G3.“ Bindeübungen helfen ihm dabei und vor allem eine Idee, die er von Wayne Bergeron übernommen hat: Entgegen des weit verbreiteten (und sicher nicht falschen) Systems der Vokaltrias A-E-I, die helfen soll, den Zungenrücken in Position zu bringen, nimmt sich der Studiogigant aus Los Angeles vor, jeden Ton so offen wie möglich anzublasen. Ha-Ha-Ha ist dessen Credo – egal wie hoch. Dass dabei die Vorstellung eine große Rolle spielt, unterstreicht Hutter, wenn er sagt: „Wenn ich groß denke, wird alles immer fetter.“
Ein perfekt getimter Trainingsplan
Auch wenn Martin Hutter als Halbwüchsiger nach einem Konzert, bei dem er ohne verkrampfte Vorbereitung die bis dato beste Leistung seines Leben gezeigt hatte, seinem Vater trotzig eröffnete, dass er nie wieder üben werde, darf man beruhigt sein – auch er tut es. Worauf er dabei besonderen Wert legt? Als junger Mann trieb er bei einem Konzert mit einem Solo einer älteren Dame Träne in die Augen und begriff dabei, dass Höhe nichts ist, wenn der Klang nicht passt: „Eine Melodie geil zu spielen ist etwas Magisches!“ Sound und Flexibilität stehen deshalb bei den Übezielen ganz oben, Bindeübungen bei langsamstem Tempo gehören aus diesem Grund zum fixen Pensum.
Und in der konkreten Vorbereitung auf ein Konzert geht es beinahe systematisch zu wie bei einem Sportler vor einem Wettkampf: Findet der Gig am Samstag statt, wird am Montag eine Stunde voll geübt, am Dienstag dann 90 Minuten und am Mittwoch noch mehr. „Bis zum Muskelkater.“ Dann gibt es einen Tag Pause und am Freitag eine Stunde lockeres Spielen ehe am Tag darauf die volle Leistung abgerufen wird.
Laien, denen Hutter oft in Workshops begegnet, rät er, nicht nur zu üben, damit man geübt hat. „Sinnvoll“, lautet das Dogma und mit genügend Pausen. „Wer 30 Minuten hat, sollte davon eigentlich nur 20 das Mundstück an den Lippen haben.“
Vorbilder: Von Bergeron bis Brohm
Im Laufe des Gesprächs schwärmt Martin Hutter von vielen Trompetern. Nicht nur dass für ihn „Erfahrung durch nichts zu ersetzen“ ist, Vorbilder sind Ansporn und Ideengeber, an deren besten Seiten man sich bedienen kann. Besagter Wayne Bergeron gehört wegen seines offenen oberen Registers zu jenen Vorbildern. Auch Thomas Vogel wurde bereits genannt, den Hutter wegen dessen Durchschlagskraft schätzt. Derekt Watkins sei „der Oberhero in puncto Sound“, weswegen Martin Huttter sich als kleiner Junge oft eine Stunde ununterbrochen „MacArthur Park“ in der James Last-Version anhörte. Heute sind es Videos von Louis Dowdeswell, die der Inspiration und Motivation dienen. Aber auch seine Kollegen bewundert er. So z.B. Christoph Moschberger wegen dessen Effizienz und Vielseitigkeit oder Sebastian Höglauer wegen seiner ‚Obligatkompetenz‘: „Wasti ist signaltrompetertechnisch der fitteste momentan.“
Porträts wie dieses sind enorm aufwendig. Wenn sich für dich dieser Aufwand gelohnt hat und du das Porträt gerne gelesen hast, dann unterstütze die Arbeit von TrumpetScout mit einer Spende: paypal.me/trumpetscout Danke!
Ganz wichtig scheint aber auch ein dritter Egerländer-Kollege zu sein, und zwar Jörg Brohm. Die Bewunderung für den Mann aus der Eifel lässt sich kaum verhehlen. „Bei den Egerländern ist es ein Lead-Trompeter-Job. Es muss punchen und trotzdem filigran sein. Und beim Jörg puncht es unfassbar – abnormal ist der.“ Außerdem sei Brohm „bodenständig wie alle Top-Leute, ein brutal offener Typ, der immer spielen will, immer gut drauf ist und immer gut vorbereitet.“ Einen Makel habe der etatmäßiger Trompeter der Egerländer aber doch. „Er will einfach nicht ins Bett. Der kann bis um Fünf feiern und am nächsten Tag trotzdem abliefern.“ Ein echter Dauerläufer eben – in mehrerlei Hinsicht.
Eine Person darf man aber nicht vergessen, auch wenn jene kein Trompeter ist – und das ist Ernst Hutter: „De Babba isch mei allergröschdes Idol!“
Ja, in manchen Fällen ist das so und der Sohn geht trotzdem selbstständig seiner Wege. Denn auch wenn Martin Hutter sicher durch seinen Vater in den Dunstkreis der Egerländer gelangte, so spielt er bei Moop Mama trotz seines Vaters. Und den „Punch“, den hat er sich sowieso selbst antrainiert.