Kaum ein Hersteller in der Geschichte des Trompetenbaus wird so sehr mit Leichtbau in Verbindung gebracht wie Benge. In diesem Artikel geht es um die Idee der geringen Masse, die Geschichte der Marke und natürlich um die Instrumente – ganz konkret um eines der beliebtesten Modelle, die Benge 3X.
Des TrumpetScouts erste bewusste Begegnung mit einer Trompete, die mit „Benge“ graviert war, liegt noch gar nicht so lange zurück. Er war gerade nach Wien gezogen und bekam eine Trompete in die Hand, die einem Bandkollegen gehörte und extrem wenig wog. Im Vergleich mit den Produkten der in Europa populären US-Marken wie Bach und Conn oder des ebenfalls beliebten japanischen Herstellers Yamaha war dieses Instrument wie vom anderen Stern. Welche Trompete hat denn bitte auch einen Zug am zweiten Ventil, der gen Becher zeigt? Bis dato ungesehen.
Elden Benge und sein Erbe
Die Recherche zur Marke führt zu einer interessanten Historie, nicht nur einer Firma, sondern eines Menschen: Elden Benge kam 1904 zur Welt und war, wie auch Vincent Bach, Berufsmusiker. Er hatte zunächst das Amt des ersten Trompeters im Detroit Symphony Orchestra inne und wechselt dann bei gleicher Aufgabe nach Chicago. Bis dahin spielte er auf einer French Besson, der Mutter aller modernen Trompeten. Kein Wunder also, dass die Mitte der 1930er Jahre entstandenen ersten eigenen Trompeten stark diesem legendären Instrumentenmodell glichen. Ab 1937 begann Benge damit, seine Trompeten gänzlich ohne Fremdteile und von zuhause aus herzustellen und verlegte sich nach Ende seines Engagements beim CSO 1939 vornehmlich auf den Instrumentenbau. 1953 zog er – wegen einer Wirbselsäulen-Arthritis – nach Burbank, Kalifornien und arbeitete dort als Ein-Mann-Betrieb weiter bis zu seinem Tod 1960.
Weitere zehn Jahre führte Sohn Donald Benge den Betrieb weiter, ehe das Unternehmen 1970 verkauft wurde und nach Los Angeles übersiedelte. Es folgten weitere Übernahmen und ein Erhöhung der Produktionszahlen unter dem Eigentümer King. 2005 wurde die Produktion unter dem Namen Benge – mittlerweile gehörte die Marke zu Conn-Selmer – eingestellt.
The most recorded trumpet?
Auch wenn Benge als Marke heute nur noch wenigen bekannt ist und von noch viel weniger Trompetern gespielt wird – diese Trompeten waren in der Nachkriegszeit mit die beliebtesten Instrumente im Profisektor in den USA. Anscheinend wurde kaum Werbung betrieben, die Firma lebte von der Mund-zu-Mund-Propaganda. Claude Gordon, Conrad Gozzo, Herb Alpert, Rick Baptist, Lester Bowie, Allen Vizzutti (z.B. in diesem Video), Stan Mark, Al Porcino, Carl Saunders und unzählige mehr spielten auf Benge-Hörnern. Protoytpische Klassiker wie Elden Benge selbst sind das nun nicht. In der Tat, Benges avancierten zum liebsten Arbeitsgerät von Lead- und Studiotrompetern. Das belegen viele Youtube-Videos aus den 70er Jahren. Somit gehören Benge-Trompeten ganz sicher zu den meistbenutzten in der Popmusik des 20. Jahrhunderts. Und selbst heute haben gute Exemplare noch immer große Fans im Profilager. Michael Bublés erster Trompeter, Jumaane Smith, spielt bevorzugt auf seiner Chicago-Benge, Harry Kim, der langjährige Lead Player von Phil Collins, auf dem Modell Claude Gordon.
Licht und Schatten bei Benge
Wenn gerade explizit von guten Exemplaren gesprochen wurde, dann hat das seinen Grund. Gefühlt ist bei wenigen anderen Marken die Kluft zwischen einzelnen Instrumenten so groß. Doch kommen wir erst zurück auf die eigene Benge ‚Experience‘. Nach der ersten je gespielten Benge – Modell 2X, was wegen des engen Bechers grob einer Stradivarius 25 entspricht, jedoch aus der späten Zeit der letzten Eigentümergiganten – folgten drei aus dem Privatbesitz von Aneel Soomary. Darunter eine traumhafte der Chicago-Ära, die leider nicht verkauft wurde. Die anderen beiden waren nicht so interessant. Um den TrumpetScout war es jedoch geschehen. Es folgte eine Odyssee des Suchens, leider ohne Ergebnis vor Ort – Benges sind in Europa einfach rar. Da aber unbedingt so ein leichtes Eisen her musste, schlug der TrumpetScout bei Ebay in den USA zu. Das war ein Fehler. Es handelte sich zwar um das besonders seltene CG-Modell, allerdings war nur der Korpus original, das Schallstück wurde ersetzt durch ein neueres und bei Weitem nicht so dünnes. Die Claude Gordon ist nämlich noch einmal leichter und besticht durch einen papierdünnen Becher. Doch das Schlimmste war die Stimmung. Der ohnehin gefährliche Bereich zwischen C2 und A2 war ein unbetretbares Minenfeld. Und genau diese intonatorische Schwäche scheint einige Benge-Trompeten auszuzeichnen. Der TrumpetScout glaubt sogar einmal gelesen oder gehört zu haben, dass manche Kenner die Meinung vertreten, dass nur jede zweite der leichten Trompeten stimmt. Das wäre auf jeden Fall eine nicht zu verifzierende Aussage – womöglich gab es aber einen Qualitätsabfall nach dem Verkauf 1970, vielleicht aber auch bereits nach dem Tod Elden Benges 1960.
Was zeichnet Benge-Trompeten aus?
Wenn eine Trompete sehr leicht ist, braucht es nicht viel Energie, um sie zum Schwingen zu bringen. Dieses leichte Ansprechen heißt aber noch nicht, dass eine Trompete einen sehr geringen Widerstand hat. Der konstituiert sich auch durch die Bauart und Rohrverläufe. Eine Glaude Gordon mit XL-Bohrung kann durch den engen Übergang von Maschine ins Schallstück sehr eng wirken, es geht aber auch anders: So hat der TrumpetScout erst jüngst eine Burbank 5X mit ML-Ventilmaß angespielt (das ist eines der vielen Benge-Klone, die Kanstul im Laufe der Jahre produziert hat) und war verwundert ob deren Offenheit. Deshalb sei es anders formuliert: Die Benge-Trompeten sind reaktionsfreudig.
Mit dem schlanken Körper (wahrscheinlich erreicht keine Benge die 1.000 Gramm) geht aber auch ein besonderer Klang einher. Dünnwandige Trompete sind tendenziell heller und erzeugen andere Frequenzen als schwerere. Benge-Hörnern haftet das Stigma der Nasalität, der ‚Quäkigkeit‘ an. Der TrumpetScout sieht das anders und die hochrangigen Spieler geben ihm Recht (genauso wie das Sound-Beispiel unten). Benge-Trompeten haben ein eigenes Timbre, etwas Flirrendes. Und würden diese Trompeten nicht auf irgendeine Weise besonders gut klingen, hätten sie nicht den Weg in die Studios und auf die Bühnen dieser Welt gefunden.
Möglicherweise haben Sie aber einen Wirkungskreis, in dem sie besonders glänzen können – und das ist überall dort, wo mikrofoniert wird und mehr noch: nachbearbeitet. Bei Aufnahmen werden helle, obertonreiche Instrumente bevorzugt. Möglicherweise spielt auch die Wahl des Mundstücks eine Rolle und eine federleichte Benge funktioniert in Verbindung mit einem teutonisch großen Mundstück nicht so, wie es Elden Benge – zwar selbst ein Klassiker – ursprünglich konzipiert hatte und vor allem so viele sogenannte Commercial Player es nachher schätzten. Dies jedoch ist nur eine Mutmaßung.
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Damit kommen wir aber auch zu einem Nachteil der Gattung ‚Alufolie‘. Zwar bestimmt auch das Frequenzband das Durchsetzungsvermögen, für gute Projektionseigenschaften kann aber auch mehr Gewicht sorgen. Und der eigenen Erfahrung nach sind die von einem Kollegen einmal wenig liebevoll als „Papiertrompeten“ herabgewürdigten Trompeten vom Schlage einer Benge alles andere als Durchschlagswunder. Mikrofon ja, unplugged und open air besser nicht.
Bauliche Eigenheiten von Benge-Trompeten
Wenn eingangs gesagt wurde, dass die ersten Benge-Instrumente stark dem Vorbild French Besson glichen, so ist das richtig. Nur hat sich daran auch später nicht viel geändert. Alle Benge-Trompete haben deutliche Eigenheiten, die am Beispiel einer 3X, die ein TrumpetScout-Leser freundlicherweise zur Verfügung stellte, nachfolgend aufgezeigt werden sollen, und auch deutliche Schnittmengen mit der berühmten Ahnin.
Zunächst wäre da die sehr leicht ausfallende Mundstückaufnahme. Im D-förmigen Stimmbogen (doppelt männlich konstruiert) findet sich eine massivere Stütze, eine zweite davor gibt es nicht. Deutlich wird der Leichtbau dann beim Rohr, das den unteren Teil des Stimmzugs aufnimmt und zur Maschine führt. Hier gibt es eine Stufe, was nichts anderes bedeutet, als dass das Rohr immer mit einem Durchmesser verläuft und – gesetzt den Fall, der Stimmzug ist ganz eingeschoben – keine Gap entsteht. Die meisten modernen Trompeten zeigen diese Verschlankung nicht auf, was zwei Möglichkeiten zulässt, die beide praktiziert werden: Entweder ist zwischen Zugende und Maschinenbogen eine Hülse zur Überbrückung eingesetzt (das bedeutet mehr Material) oder es entsteht im weiteren Außenrohr eine mehrere Zentimeter lange Gap, die Ansprechverhalten und Slotting beeinflusst.
Folgt man dem Luftstrom in den dritten Ventilzug, fällt dort die Wasserklappenlosigkeit auf. Wie bei einer Bach Stradivarius ist der Bogen ausziehbar. Wie an den anderen beiden Ventilzügen auch sind die Anschläge am Bogen hier mit einem Mehr an Masse ausgestattet.
Dann folgt eine bereits erwähnte Eigenwilligkeit, und zwar der nach vorn gestülpte zweite Ventilzug. Die Überlegung war ursprünglich, dadurch das Entwässern leichter zu machen. Im Trompetenständer stehend sammelt sich dort das Wasser. Da das Halten aber etwas weniger bequem sein kann (das hängt auch von der Handhaltung ab), hat sich diese bauliche Eigenheit nicht durchgesetzt.
Ebenfalls erwähnenswert sind die Ventildeckel, die aus profillosem Metall gemacht sind. Hier findet sich kein Filz oder Gummi zur Dämpfung. Klackern wird verhindert, indem ein flexibles Material im Fingerknopf untergebracht ist.
Gemein mit vielen anderen Trompeten klassischer French Besson-Schule wie alten Bachs und Calicchios ist der relativ eckige Schallstückbogen.
Fast am Ende angelangt, bemerkt man, wie nahe am Trichter die zweite Stütze zwischen Becher und Mundrohr angebracht ist. Das gibt dem Schallstück viel Stabilität und soll wohl fehlendes Gewicht in puncto Projektion bis zu einem gewissen Grad ausgleichen.
Der Becher ist übrigens wie die ganze Trompete aus Messing gemacht, einteilig und erhitzt. Nichts anderes bedeutet die Gravur „Resno Tempered“ – gehämmert und wieder heiß gemacht.
Typisch Benge sind auch die kleinen Trichterdurchmesser. Die 120 mm des gemessenen Modell 3X sind sogar fürs bloße Auge als unterdurchschnittlich zu erkennen. Auch das ist alter state of the art. Connstellations mit ihren 127er Bechern waren in den 50er Jahren in dieser Hinsicht revolutionär. Alles in allem führen die Materialeinsparungen durch kleine Wandstärken, zarte Konstruktionen und wenige Stützen im Falle der 3X zu einem Gewicht von 967 Gramm (wohlgemerkt ohne die Heavy Caps auf dem Bild). Das ist nicht viel.
Spieleigenschaften der Benge 3X
An dieser Stelle soll es nun konkret um das Modell 3X gehen, welches für diesen Artikel zur Verfügung stand, nachdem bereits viel zu Ansprache und Klang im Allgemeinen gesagt wurde. Was dem TrumpetScout allerdings auffiel, sind die artikulatorischen Eigenschaften dieses Instruments. Jene verhelfen einer latent existenten Frage zum Rampenlicht, und diese lautet: Ist die Benge eine Klassik- oder eine Jazztrompete? Normalerweise würde eine solche konstruktivistische Kategorisierung hier nicht vorgenommen, in diesem Fall aber schon, so auffallend sind die Gegensätze zwischen Intention und Nutzung: Elden Benge war ein Klassiktrompeter erster Güte und baute zunächst Instrumente für sich. Größte Popularität erlangten seine Trompeten aber unter Jazz- und Studiomusikern.
Des TrumpetScouts Erklärung: Der Sound einer Benge ist nicht massiv und dunkel, sondern leichtfüßig und die Töne lassen sich extrem sauber voneinander trennen. Das lieben alle Musiker, die technisch anspruchsvolle Dinge spielen (im Orchestergraben wie im Studio), denn das gibt Sicherheit. Zudem ist das Klangideal eines US-amerikanischen Klassikers ein anderes als das eines Wiener oder Berliner Orchestertrompeters. Die eingangs genannten Pole sind also nur scheinbar von gegensätzlicher Natur.
Die Trompete funktioniert auch in der Höhe hervorragend und erinnerte aufgrund ihrer ‚Schienenqualität‘ intuitiv an die erste Generation einer Yamaha 9335CHS. Ob der gemeinsame Nenner Chicago (im CSO wurde die Yamaha entwickelt, dort spielte auch Elden Benge) ein Zufall ist? Der TrumpetScout glaubt das nicht. Und ja, wenn auch hier die Intonation nicht das Leben so schwer machen würde, hätte der TrumpetScout – trotz einer vollzogenen Abwendung von den ganzen leichten Kannen – den Eigentümer sofort nach dem Preis gefragt. Das hätte eine längere Liaison geben können…
Eine echte Benge oder ihre Klone?
Trompeten von Benge gab es natürlich in verschiedenen Ausführungen. Offensichtliche Unterschiede betreffen die Becherweite und die Maschinenbohrung. Gemäß einer Preisliste aus den frühen 70er Jahren waren die Modelle 1X bis 6X erhältlich. Populär und auch heute auf dem Gebrauchtmarkt noch am ehesten zu finden sind die Modelle 2X, 3X, 3X+, 5X und 6X (Claude Gordon). Grob kann man die Becher mit denen von Bach vergleichen, wobei ein 2er dem 25er, ein 3er dem 37er und ein 5er bzw. 6er dem 72er von Bach entspricht. Prinzipiell sind bis auf die CG alle mit einer ML-Bohrung ausgestattet, lediglich die Typen mit einem + rangieren zwischen Medium Large und Large („Medium Large Plus“ mit einer MLP-Gravur auf der zweiten Ventilbüchse), was mit 11,79 mm heute oft schon als Large vermarktet wird. Genau wie bei Bach war die 3er Größe der Topseller bei Benge und auch der Ausgangspunkt der Modellpalette in der Chicagoer Zeit.
Ein anderer bekannter Trompetenbauer, der zur Zeit des Verkaufs von Benge beim Käufer King arbeitete, war Zigmant Kanstul. Jener war von Benges Arbeit offensichtlich sehr begeistert und übernahm bei der Gründung seiner eigenen Firma die originalen Werkzeuge und Matrizen. Maßgeblich deshalb gibt es heute viele Benge-Kopien, die irgendwo den Namen Kanstul tragen. Vornehmlich sind das die French Besson bzw. die French Besson Meha, aber auch die Kanstul-Modelle 1000 (=3X), 1001 (=3X+) und 1070 (=CG). Um die Jahrtausenwende wurde dann die sogenannte The Burbank-Reihe (um an die bekannteste Produktionsphase zu erinnern) ins Leben gerufen, aber ebenfalls von Kanstul produziert. Alles keine schlechten Instrumente, wenngleich das Intonationsproblem auch hier immer wieder auftaucht.
A never ending love story?
Für den TrumpetScout fühlt sich das Thema Benge wie eine unerfüllte Liebe an: jede Menge Sehnsucht, kein Zusammenkommen. Das muss aber nicht jedem so gehen. Deshalb: Wer eine in die Finger bekommt, der sollte sie ruhig einmal probieren.