Der Trompetenpate: Bob Laneses Weg nach Hamburg und sein Wirken dort

Bob Lanese – der Name hat schon etwas Klingendes. Während die Nicht-Trompeter intuitiv eher an einen bekannten Eisproduzenten denken, der sehr ähnlich geschrieben wird, kommt unsereins sofort James Last in den Sinn, bei dem der US-Amerikaner lange spielte. Lanese ist aber mehr als Happy Music – eher Happiness und viel Music!

Hamburg Blankenese. Ein sonniger Donnerstagmorgen im Mai. Der TrumpetScout steigt aus dem Zug und sieht dem Treffen mit einer wahren Trompetenlegende entgegen. Oberhalb der Perrons wartet ein stattlicher Mann mit südeuropäischem Teint und weißem Haar. Er trägt ein Hemd, das er sich nicht in den Hosenbund zwängt, und Sportschuhe. Außerdem ist er groß und so gut gelaunt wie einer, der die Sonnenseite des Lebens nicht nur aus Bilderbüchern kennt.

Das Lächeln scheint Bob Lanese nicht schwer zu fallen. Auch nicht mit fast 77 Jahren.

Der Mensch liebt Schubladen und so rattert des TrumpetScouts Typisierungsmaschine sofort, als wir in Laneses Auto einsteigen: Wer die Welt lauthals und mit offenen Armen begrüßt, Sportschuhe trägt und noch dazu die Klimaanlange auf 17 Grad eingestellt hat, der beweist, dass er ein waschechter Amerikaner ist! Deswegen wird der Familienname wohl auch englisch, also [Laniis] ausgesprochen. Nur hört man diesen Namen nie. ‚Bob‘ reicht aus, zumindest in Hamburg. Im englischen Teehaus, wo wir frühstücken wollen, beginnt dann auch gleich die die Bob-Parade: „Hi Bob!“, „Hi Bob!“, „Hallo Bob!“ etc. Anscheinend gibt es sogar Lokale, in denen kleine Fähnchen ‚Bob’s Place‘ markieren. Lanese scheint hier ein Teil des öffentlichen Lebens zu sein.

Woran das liegt? Ganz sicher am Charakter (ein Misanthrop sieht nämlich anders aus), aber natürlich auch am geführten Leben – sowohl qualitativ als auch quantitativ: Lanese wird in diesem Sommer immerhin schon 77 Jahre alt. Diesen Umstand kommentiert er aber nur einmal, und zwar mit einem schelmischen Glucksen: „Kannst du bei der Kamera den Jungfilter benutzen?“

Aus einem Epizentrum der amerikanischen Orchesterwelt

Doch gehen wir einmal rund 70 Jahre zurück. Robert Martin Lanese, Sohn italienischer Einwanderer (aus der Provinz Campobasso), lernt in seiner Heimat Cleveland zunächst Geige und dann Trompete. Sein Vater ist Musiklehrer und Dirigent. Selbst zu musizieren gehört also schon immer zu seinem Leben. Seine Ausbildung ist klassisch orientiert – das städtische Sinfonieorchester, das Cleveland Orchestra, ist (zu jener Zeit wohl noch mehr als heute) eines des besten der Welt und übt daher eine enorme Strahlkraft aus, auch und gerade auf junge Musiker. Dennoch ist gerade in den 40er und 50er Jahren Jazz und speziell Swing so populär wie nie wieder danach und als echte Popularmusik omnipräsent. In einer Tanzband zu spielen heißt, Jazz zu spielen. Und Lanese spielt zu der Zeit einfach alles.

„Kannst du bitte den Jungfilter drüberlegen?“ Geht leider nicht, ist aber auch nicht nötig. Das Leben schreibt Geschichten und eben auch Gesichter.

Er entscheidet sich dennoch zunächst nicht für eine ‚Künstlerkarriere‘, sondern schlägt den Weg des Vaters ein und studiert an der Ohio State University Musikpädagogik. In seiner Heimatstadt Cleveland wird dann eine Stelle als Trompeter in der Band eines bekannten Supper Clubs ausgeschrieben, wo Lanese die Nachfolge von zwei anderen heutigen Trompeten-Heroen antreten kann, die ebenfalls aus Cleveland stammen: Rick Kiefer und Bob Findley. Nicht nur, dass Lanese den Zuschlag erhält, sondern ihm wird nach zwei Wochen gleich die Probezeit für beendet erklärt – sein Trompetenspiel gefällt nämlich noch besser als das seiner Vorgänger. Das will was heißen! Dort spielte er als 21-Jähriger z.B. mit der damals sehr populären Sängerin Pearl Bailey, deren noch berühmterer Ehemann und Schlagzeuger Louis Bellson an den Wochenende an den Becken und Trommeln saß. Lanese bleibt auf dieser Position für anderthalb Jahre. Ihm folgt eine weitere Legende: Chuck Findley. Nicht nur, dass alle vier Namen eine große Reputation genießen, alle vier Männer spielen viel später auch in der Section einer deutschen Gallionsfigur der Unterhaltungsmusik: bei James „Hansi“ Last.

Durch verlängerten Militärdienst Vietnam entkommen – fast

Nach seinem Bachelor in Pädagogik trifft Lanese ein Entscheidung zum Selbstschutz. 1965 befinden sich die USA mitten im Vietnamkrieg und eine Woche nach Abschluss des Studiums flattert ein Musterungsbescheid ins Haus: Zwei Jahre Dienst, davon eines in Vietnam. Er spielt für eine Position in der North American Defense Command-Band (wo zuvor schon gute Leute wie z.B. der gleichalte Bobby Shew spielten) und wird aufgenommen. Damit wäre ein Jahr schon einmal gesichert. Durch die – in Anführungszeichen – freiwillige Verpflichtung auf drei Jahre, wird Lanese aber garantiert, dass er nicht nach Vietnam muss.

Leider entpuppt sich die Garantie nicht als solche und fünf Musiker der Band müssen zu ihrem Schrecken nach Asien ausrücken. Lanese ist einer dieser fünf. Vergessen wird er dieses gebrochene Versprechen niemals, auch wenn er keinen Frontdienst leisten muss.

Der Kurswechsel oder das Schlittern in das Leben des Berufsmusikers

Nach sein Zeit beim Militär verschlägt es Lanese wieder ans College. An der North Texas State wird er Graduate Assistant für John J. Haynie. Zwar unterrichtet er selbst an der University, lernt dabei aber natürlich auch vor allem in Big Band-Dingen. Die dortige One O’Clock Lab Band ist eines der höchstklassigen Studentenensembles der Welt – bis heute. Sein Engagement in diesen Reihen führt ihn im Alter von knapp 29 Jahren nach Montreux und zum berühmten gleichnamigen Jazzfestival, wo er Clark Terry kennenlernt. Kurz darauf schließt er sein Studium als „Master of Music in Classical Performance“ ab. Die Mission ‚Mehr Musik wagen‘ scheint nun nicht mehr aufzuhalten zu sein.

Ein Jahr darauf, 1971, gibt es eine Rückkehr nach Europa, und zwar als Trompeter des Glenn Miller Orchestra unter Leitung von Buddy DeFranco. Das sollte folgenschwer werden. Wie nicht wenige amerikanische Musiker wird Lanese während einer Tour einfach dabehalten. Westlich des Atlantiks gibt es viele Jazzmusiker, östlich davon, in Good Old Europe, einen gewaltigen Bedarf. Klingende Namen aus allen Registern sind deshalb heute in den Archiven vieler deutscher Big Bands gelistet.

Lanese in seinem Studio und mit seiner aktuellen Liebe, einer Vincent Bach 197. Was man im Vergleich zu älteren Aufnahmen sehen kann: Im Laufe seines Lebens wurde der Winkel der Trompete offensichtlich flacher.

Grund dafür: Es gibt viele Orchester – und viel Geld für Manpower. „Die Briten hatten alleine in Hamburg drei Rundfunk-Bands installiert!“ In einer davon spielt Lanese für circa ein Jahr. Das ist die heute noch bestehende NDR-Big Band. Das er dort nur ein Jahr unter Vertrag bleibt, liegt nicht etwa an mangelhafter Leistung oder einer Beschneidung des Senders, sondern schlicht an einem besseren Angebot – und das kommt von Hans – alias James – Last.

30 Jahre Lead-Trompete bei James Last

Über James Lasts Wichtigkeit in der Geschichte der deutschen Nachkriegsunterhaltung braucht man nicht viel zu sagen: Die Platten des ehemaligen Bassisten der NDR-Big Band sprengten alle Verkaufsrekorde, waren in deutschen Wohnzimmern und Partykellern (aber auch europaweit) omnipräsent und mit seinem Happy Sound sorgte der gebürtige Bremer zeitweise alleine für 30 Prozent des Umsatzes seiner Plattenfirma. Die Formel des Erfolgs? „Im Grunde hat Hansi das in Europa gemacht, was Herb Alpert in Amerika erfand“, meint Lanese, freilich ohne Lasts Leistung herabzuwürdigen. Gute Ideen erfolgreich zu adaptieren ist ein großes Verdienst.

A Tribute to Derek Watkins – Bob Lanese hat sich mit Bedacht das T-Shirt in Erinnerung an Derekt Watkins, seinen sehr geschätzten Kollegen aus dem James Last-Orchester, übergestreift.

Ob Lanese der Wechsel von ernsterem Jazz und der gelernten Klassik zur synkopendominierten Unterhaltungsmusik im Last-Stil schwer gefallen sei? Er antwortet pragmatisch: „Herb Alpert hat etwas geschafft, was nur wenige schaffen. Er spielt zwei Takte und du weißt, wer das ist.“ Will sagen: Was wir gemacht haben, war neu, ein Publikumshit und hat uns unser Leben gut finanziert. Dennoch darf man nicht vergessen: Für das Last-Repertoire brauchte es einen ganz speziellen Sound. Und den prägte Bob Lanese als Lead-Trompeter, der er bis 2002 unglaubliche 30 Jahre lang war, ganz entscheidend mit.

Viel zu tun im Hamburg der 70er und 80er Jahre

Auch wenn Blankenese nicht schon immer so ein teures Pflaster war wie heute, die Zeiten waren damals sicher rosig, wenn nicht gar gülden und der Job bei Last ein großes Geschenk. Das weiß Lanese auch selbst: „Ich habe großes Glück gehabt.“ Zu seinem Engagement im weltberühmten Orchester (und dabei neben den Auftritten Aufnahmen von bis zu 12 Alben im Jahr!) kamen viele weitere Studiobuchungen. Mit Namen braucht man dabei gar nicht anzufangen. Gab es dafür auch Chuck Findley-Gehälter? „Es wurde gut bezahlt, aber auch nicht so gut wie alle denken. 600 bis 700 Mark für ein ganzes Album.“ Ob die Platte ein Hit wurde oder gar nie veröffentlicht, spielte keine Rolle. Das Buy Out-Prinzip, also die einmalige Abgeltung, war die Regel.

Bob Lanese neben Lennart Axelsson, Derek Watkins und Håkan Nyquist

Heute ist die Situation definitiv eine andere. Viele Rundfunkorchester wurden aufgelöst. „Warum hat Berlin keine eigene Big Band mehr? Das verstehe ich nicht. Wir leben in einem sehr reichen Land.“ Das ist einer der wenigen Momente, in denen der sehr fidele Bob Lanese besorgt wirkt. Er sorgt sich um die Musik und den Fortbestand derer, die sie professionell machen, eben die Berufsmusiker. Zu Laneses Schülern gehörten und gehören einige talentierte und gute Trompeter, die ihr Geld aber anders, z.B. als Investmentmanager verdienen. Auch okay, aber darf das die Regel sein, professionell Musik machen ohne Musik als Profession?

A teacher’s teacher und ein Lehrer mit Leidenschaft

Nicht erst seit heute gibt Bob Lanese in Hamburg privat Unterricht. Einer seiner selbst schon sehr arrivierten Schüler ist z.B. Thorsten Benkenstein, heute selbst Lead-Trompeter beim NDR. Über die Jahre sind einige seiner Zöglinge selbst mit der Weitergabe des Wissens beschäftigt und so potenziert sich die Zahl von Laneses ‚Großschülern‘ sicher in den vierstelligen Bereich.

Jüngeren Kollegen, die aus Mangel an Jobs in Erwägung ziehen zu unterrichten, rät er davon ab. „Wenn es dir keinen Spaß macht, dann ist es nichts für dich.“ Und wahrscheinlich auch nichts für die potenziellen Schüler. Lanese selbst scheint einen besonderen Draht zu Kindern und Jugendlichen zu haben, wie dem TrumpetScout der Vater einer Schülerin erklärte (vielleicht leitete er deshalb auch das LaJazzO Thüringen?). Im Allgemeinen hat er aber wohl einfach einen Draht zu Menschen. Für einen ‚Beibringer‘ ist das mit das Wichtigste.

Seit Jahrzehnten leitet Bob Lanese in Hamburg die Downtown Big Band – sie ist ein Ausgangspunkt für junge Musiker.

Beim TrumpetScout hat er leichtes Spiel! Der darf mit Bob Lanese ein paar Duette spielen und sich den Schrank mit seinen blechernen Kostbarkeiten anschauen (u.a. mehrere Calicchios, mehrere Bachs, eine fabelhafte Monette, French Besson und auch die Lanese-typische aufgebogene King, die ihre Form angeblich von einer Berührung mit einem Verkehrsbus haben soll…) und an einem Kästchen mit diversen Mundstücken die Schubladen herausziehen, was aufregender als Weihnachten und Geburtstag zusammen hoch fünf ist. Auch zeigt Bob Lanese eine von Carmine Caruso händisch angefertige Aufzeichnung von dessen Kernübung:

Lanese hat nicht nur viel Erfahrung, sondern kennt auch seine Basics. Auf Facebook schrieb ein TS-Leser: „Die zehn Unterrichtsstunden bei Bob haben mir mehr gebracht als 11 Jahre städtische Musikschule.“

Der routinierte Lehrer überprüft mit einen kurzen Bindetest die basale Funktion des Trompeteblasens beim TrumpetScout. Zu viel mehr ist keine Zeit, denn die erste Schülerin des Tages stand alsbald im Vorraum des Studios. Das erste Eindruck sagt aber, dass dieser Mann, auch wenn er auf einen Blick sieht, wo etwas nicht passt, mit seinem Charme, seiner Lockerheit und seiner Aura eher im Bauch ansetzt als im Kopf. Freude an der Musik dürfte sein oberste Credo sein. Nicht zu viel denken, machen. Seine Ausbildung und sein ‚American approach‘ passt da gut ins Bild. Keine großen Krisen, kein Denken in Kategorie wie Jazz, Klassik oder Pop. (Das erinnert ein wenig auch an Aneel Soomary!) Einfach nur Musik.


Bob Lanese hat den TrumpetScout zum Frühstück eingeladen. Deswegen ist das aber noch kein bezahlter Artikel! Finanziert wird TS nur von dir, dem Leser. Schon 5 Euro genügen: paypal.me/trumpetscout Danke!


Der Pate von Blankenese

Ein Vormittag ist natürlich zu kurz, um Bob Laneses Leben einzufangen. So schlägt er kurzerhand ein zweites Frühstück am nächsten Tag vor. Das wird natürlich wieder nicht genügen, aber mehr zu erfahren ist für einen Journalisten immer besser. Wichtiges Puzzleteil: Lanese hat nicht nur ein fantastisches Gedächtnis (seine Erinnerungen sind sehr exakt, er sucht niemals nach Namen, sondern hat sie stets parat!), er hört auch sehr gut zu. So steht am nächsten Tag der Wahl-Hamburger mit offenem Verdeck am Bahnhof. Die am Vortag leise ausgesprochenen Tagträume des TrumpetScout von einer luftigen Fahrt im Cabriolet durch Blankenese blieben nicht unerhört. Auch hat sich ‚Bob‘ schlau gemacht, wer denn alles in der Trumpet Section der NDR-Big Band saß, als der TrumpetScout am Vortag eine Probe im Funkhaus besuchte. Er kennt die Szene, er kennt junge wie alte Musiker, nicht nur in Hamburg, nicht nur in Deutschland, auch in England, in den USA und anderswo. Plus: Er scheint keiner zu sein, der in der Vergangenheit lebt und nur alte Geschichten erzählen will. Lanese führt keine Monologe, sondern fragt dich, sein Gegenüber, wie es dir geht, was du tust.

Don Roberto. Seine Eltern waren italienische Emigranten, die in den USA ihr Glück suchten. Er wanderte nach Deutschland aus, suchte nichts und fand dort scheinbar alles, was er für ein glückliches Leben braucht.

Wie der TrumpetScout Bob Lanese gegenüber sitzt, erweitert sich das Bild des geselligen Amerikaners. Allseitiger Respekt, große Bekannt- und Beliebtheit, eine durchgehend gute Nachrede, natürliches Auftreten, die besten Kontakte und obendrein als Pünktchen auf dem i die italienische Herkunft mit dem dazugehörigen bilderbuchhaften Aussehen: Dieser Mann hat ganz viel von einem Paten, wie man ihn von Mario Puzo kennt. Don Corleone ohne Luca Brasi, lediglich mit all den positiven Facetten. Bob Lanese hat ein Netzwerk, das ihm nützt, mit dem er aber auch anderen helfen kann und das gerne tut. Er kümmert sich, hat ein offenes Ohr und Herz. So veranstaltete er z.B. mit Ack van Rooyen und der eigenen Downtown Big Band ein Konzert, um Geld für den schwer erkrankten Clark Terry zu sammeln, als dessen Krankenpflege den berühmten US-Trompeter beinahe in den Ruin trieb. Außerdem ist er bemüht, gute Trompeter aus seinem Umfeld in Festanstellungen zu bringen. Don Lanese ist so etwas wie der Elder Statesman der hanseatischen Trompetenfamilie. Und in Hamburgs Elbvororten wird er in puncto Bekanntheit vielleicht nur von Helmut Schmidt ausgestochen. Nicht schlecht für einen Zuwanderer, oder?

Nicht sein Wohnzimmer, aber vielleicht fast. Don Lanese genießt im Sonnenlicht einen Milchkaffee mit viel Süßstoff.