Bei einer Trompete von Bach denken die meisten an eine 37er Stradivarius. Oder zumindest an ein Instrument mit ML-Bohrung. Bei dieser Bach ist aber alles ganz anders. Über den Erstkontakt mit einer raren Spezies und die langsame Annäherung.

Die wohl bekannteste Trompete der Welt – eine Bach Stradivarius Model 37. Daneben gibt es noch die ebenfalls sehr weit verbreitete Schwester mit dem 43er Becher und die nicht ganz so gängigen, aber auch nicht allzu exotischen Ausführungen mit dem weiteren 72er Schallstück sowie der engen 25er Glocke in Verbindung mit einer L-Bohrung. That’s it. Vermeintlich. Denn es gibt noch so etwas wie das fünfte Rad am Wagen. Eine weitere Standard-Bach, die so eigentlich nicht bezeichnet werden dürfte, weil sie fast so selten in freier Wildbahn zu erleben ist wie ein Yeti. Und das ist eine Stradivarius mit einem 38er Becher und Medium-Bohrung.
Bach 38: Weder in noch an aller Munde
Vincent Bach ersann in seiner Experimentierphase 72 Schallstückformen. Laut Bachloyalist beginnt die Liste ordnungsgemäß mit der Nummer 1, endet aber mit der Nummer 73. Ein 15er Schallstück gab es scheinbar nie. Durchgesetzt haben sich – vor allem ab der Fertigung in Mount Vernon bzw. später Elkhart – nur die vier oben genannten Becherformen (auch wenn es in mittlerweile unzähligen Jubiläums- und Sondermodellen wie der 1901B auch lange Zeit aussortierte Schallstücke wieder zu kaufen gab und gibt). Im Windschatten der großen 37er mitgezogen wurde die Nummernnachbarin, die 38. Wohl weil sie für Vincent Bach am besten mit einer kleinen Bohrung harmonierte.

Und auf die wollte der große Meister im Portfolio offensichtlich nicht ganz verzichten. Somit deckte der Hersteller auch auf Bohrungsseite zumindest vier Größen ab: ML mit 11,66 mm und L mit 11,73 mm sowie darüber XL mit 11,89 mm (von der Stange nur erhältlich mit 43er Becher) und eben darunter die Größe M mit 11,51 mm. Dieses Maß konnte durch das Testinstrument aus Ende der 70er Jahre übrigens bestätigt werden. Die Schieblehre zeigte durchgehend 11,5 mm an.

Interessante Nebenbeobachtung bei der Lektüre dieser Aufstellung: Die zentralen Größen ML und L liegen vergleichsweise nahe beieinander. Die Differenz beträgt nur 7 Hundertstelmillimeter. Die beiden anderen Bohrungsgrößen rangieren 15 mm bzw. sogar 16 mm unter bzw. über diesem Kernbereich.
Die Medium Bore Bach: Hohes Gewicht und dickes Blech
Bleiben wir noch ein wenig bei der Bohrung. Zieht man die Züge, wird sofort klar, was mit der kleineren Bohrung einhergeht: und das ist eine hohe Wandstärke der Rohre.

Das wiederum macht einem den Produktionsprozess deutlich: Bei Bach hat man sich sehr wahrscheinlich nicht absichtlich für diese Wandstärke entschieden (sondern nur für das Bohrungsmaß). Vielmehr kommen die Rohre mit einem Maß von einem Zulieferer und werden dann mit Kugeln auf den gewünschten Innendurchmesser gebracht, also aufgedehnt. Dabei geht natürlich Wandstärke verloren. Das heißt: Je größer die Bohrung, desto dünner das Blech. Und das ist keine Besonderheit von Bach. Das dürften alle Hersteller so machen. Die ultradünnen Röhrchen einer F. Besson Meha zeugen davon. Also ist auch klar: Eine kleinere Bohrung bedeutet nicht insgesamt weniger Material bei den Zügen. Das erklärt zumindest teilweise, warum diese Bach 38 satte 1.106 Gramm wiegt. Für eine Stradivarius dieser Zeit – die CORPORATION-Gravur unterstreicht die Datierung der Produktion in die ausgehenden 70er Jahre – ist das geradezu viel. Ähnlich alte 72er, 37er und 25er, die der TrumpetScout bereits besaß, wogen meist zwischen 1.070 und 1.090 Gramm.
Mit der Dickwandigkeit der Züge und dem insgesamt höheren Eigengewicht geht natürlich auch ein eigenes Schwingungsverhalten einher. Leichteres Blech vibriert anders. Das dürfte den Charakter der Trompete ebenfalls beeinflussen – nicht nur die Bohrung und die Becherform.
Was macht den 38er Becher aus?
Und damit endlich zum eigentlichen Mysterium, dem Becher mit der 38er Form. Bachloyalist charakterisiert dieses Schallstück bzw. seinen Klang so: „Ähnlich wie der 25er Becher, nur ein bisschen wärmer. Kompakter, geschmeidiger Klang.“ Das ruft sofort die skeptischen Stimmen auf den Plan. Als Einsatzort wird die Jazz-Combo angegeben, als Vorzug nochmals „ein schöner warmer Klang“ angeführt. Nachteil dagegen: „Verfügt über keine gute Projektion, fügt sich nicht gut in eine komplette Jazzband ein.“ Insgesamt klingt das wie ein einziger Widerspruch, nicht wie eine stimmige Einordnung. Ja, das 25er Schallstück ist für den TrumpetScout ein Lead-Becher für einen kernigen, fokussierten Klang. Ein bisschen wärmer – gut, das klingt nach mehr Universalität. Schlechte Projektion will man aber sicher nicht haben. Im krassen Gegensatz dazu steht das Urteil des bisherigen Eigentümers, der die Trompete in puncto Abstrahlverhalten gegen andere Modelle auf mehrere Meter testete und dabei zum Ergebnis kam, dass die Bach 38 eben besonders laut sei. Zugleich benutzte er sie für eine Aufnahme eines Albums mit dem Jazzquintett. Zwischenfazit nach den Informationen aus zweiter Hand: eine ambivalente und kontroverse Trompete.

Bevor wir zu den eigenen Spiel- und Höreindrücken kommen, hier zunächst eine Beschreibung der Becherform über den bloßen Augenschein: Auch wenn leider keine 25er Bach für den optischen Vergleich zur Verfügung stand, würde der TrumpetScout hier große Ähnlichkeit unterstellen. Tendenziell ein bis zum Ende eher enger Becherschnitt. Der Trichterdurchmesser wurde mit 122,5 mm gemessen, die Blechstärke dürfte sehr durchschnittlich ausfallen. Nach Fingermetrie lautet der Tipp 0,45 mm. So vage, so unwichtig. Entscheidend sind Klang und Spielverhalten.
So spielt sich die Bach Stradivarius 38
Der erste Test mit dieser raren Kombination aus kleiner Bohrung (M ist faktisch bei modernen Trompeten das Minimum innerhalb eines Spektrums von zwei Zehntelmillimeter) und dem exotischen, eher engen Becher enttäuschte auf voller Linie. Zumindest mit dem flachen Mundstück. Der Widerstand war für eine Bach doch unerwartet hoch. Es gibt natürlich engere Hörner, aber die sind dann noch einmal deutlich älter oder tragen nicht den Namen Bach. Andere Trompeter hingegen, die die Trompete anbliesen, zeigten sich nicht abgeneigt. Der Sound dabei für den TrumpetScout als Zuhörer: Das ist typisch amerikanisch, typisch Bach, typisch schwere Trompete – einfach sehr kernig. Dem TrumpetScout fehlten da vor dem Horn die Anteile im Sound, die einem Instrument die akustische Farbigkeit verleihen. Viel Zentrum, wenig Rand.
Mit der Zeit veränderte sich aber das Spielgefühl. Anders ausgedrückt: Der TrumpetScout gewöhnte sich an die Trompete. Zum Schluss benutzte er sie sogar für die Aufnahme eines Big Band-Albums 🙂 Meistens mit einem sehr tiefen Mundstück, für einen Leadpart aber auch mit dem Bobby Shew Lead.

Die Summe aus M-Bore und (nennen wir es einmal so) Small Bell ergab wenig Spielraum pro Ton und ließ den TrumpetScout nachvollziehen, warum das Internet der Meinung ist, dass sich die Trompete besonders für Läufe und Improvisationslinien quer durch die Register eigne. Diese ‚Fluidity‘ ist Ergebnis der guten Führung einer an keiner Stelle großen Trompete. Man kann nicht groß daneben spielen und es stellt sich nie das Gefühl ein, man müsse das Instrument erst aufblasen, ehe vorne etwas herauskommt. Eine Messung des Innenvolumens über Flüssigkeiten wäre hier vielleicht ein interessantes Mittel, um einen Eindruck zu taxieren oder zumindest zu stützen.
Ein so ausführlicher Trompetentest kostet extrem viel Zeit – dazu gehören die Organisation des Instruments, die Durchführung von Tests und Messungen und natürlich auch die Anfertigung von Aufzeichnungen, Fotos und am Ende das Schreiben des Artikels. Du kannst diese Arbeit mit einer Spende unterstützen: paypal.me/trumpetscout! Danke!
Trotz dieses Schienencharakters, den man natürlich mit dem Thema Slotting in Verbindung bringen muss, bleibt für den TrumpetScout ein spielerischer Makel. Das Testinstrument zeigte im tiefen Bereich Schwächen bei der Intonation. Das mag – wie nicht selten – an der Kombination mit den verwendeten Mundstücken liegen und bedarf deshalb bei anderen keiner Gewöhnung. Im oberen Register hingegen funktionierte die Trompete intonatorisch gut und machte auch sonst großen Spaß. Sogar das unangenehme A3 saß relativ fest im Sattel. Abschließend sei noch einmal wiederholt: Das ist eine Trompete, an die man sich gewöhnen muss, die aber wohl ein effizientes Spiel erlaubt, sobald man sich auf das Instrument eingeschossen hat.
Der Sound einer Bach 38
Für die bessere Einordnung des Klangs führte der TrumpetScout eine Blindverkostung durch. Der geschulten TS-Testhörerin wurden aus zirka 4 Metern Entfernung neben der 38er Strad auch eine Kühnl & Hoyer Topline mit Messingbecher sowie eine Conn 8B aus den 1960ern spielerisch vorgesetzt. Das Ergebnis war weniger überraschend als vielmehr bestätigend: In einem leisen klassischen Exzerpt stach die Bach auch mit einem großen Drehventilmundstück als sehr kernig hervor, wogegen die Topline als geradezu zart wahrgenommen wurde. Bei einer Fanfare schien die 38 lauter als die anderen und ebenfalls sehr kernig. Das gleiche Bild ergab sich mit dem flachen Mundstück bei einem Solo im Harry James- bzw. Louis Armstrong-Duktus. Der Klang der beiden anderen Hörner wurde als „wärmer“ bzw. „schöner“ qualifiziert. Im höchsten Register ließ die Lautstärke zwar nicht nach, aber die Conn 8B spielte sich nicht nur offener, sondern klang auch so. „Spitz“ und „eng“ lautete das Urteil des erfahrenen Ohres. Was also bleibt zu sagen? Die Bach 38 ist eine Trompete mit unheimlich viel Zentrum. Nicht raumfüllend und flirrend oder gar singend, aber auch nicht stechend, weil ihr Klang dafür nicht dünn genug ist. Stupsend ist treffender, klingt aber noch zu zärtlich: Der Klang trifft nicht flächig wie ein Flammenwerfer, sondern punktiert eher wie ein harter Wasserstrahl. Man merkt also nicht nur als Spieler sofort, dass man einen Spross der ikonischen Baureihe des Traditionsbetriebs in Händen und mittelbar an den Lippen hält, auch klanglich belegt die Stradivarius 38 ihre Provenienz: Sie steht mit ihrer Kernigkeit für die Essenz aller Bach-Trompeten.
Abschließende Fragen, Preis und Wert einer Bach 38
Für den TrumpetScout wäre – wie so oft – interessant, wie sich Abwandlungen dieser Trompete spielen würden. Z.B. die M-Bohrung mit einem 43er oder 72er Becher. Oder andersherum, wie sich der 38er Becher mit einer ML-, L- oder gar XL-Bohrung vertragen würde. Dabei ist das Mundrohr noch gar nicht als Teil der Gleichung berücksichtigt.
Genau hier hat ein früherer Eigentümer des getesteten Modells angesetzt. Bei Kauf aus den USA war ein 43er Mundrohr eingelötet. Das ist ist im Vergleich sehr offen. Der jetzige Eigentümer ließ dann zurückbauen auf den originalen Mundrohrtyp.
Zum Schluss natürlich auch die Frage nach dem Preis für ein solch im besten Sinne eigenartiges Instrument. Raritäten sind per se nicht günstig, Bach-Trompeten waren es noch nie und befinden sich aktuell auch als schwer gebrauchte Exemplare preislich wieder auf einem unerhörten Niveau. Die Kombination führt deshalb zu Summen jenseits der 2.000 Euro – wohlgemerkt für meist um die 50 Jahre alte Instrumente. Josh Landress listete Anfang des Jahres ein Exemplar für 2.500 Dollar (plus Steuern), auf Reverb ist ein altes Angebot für über 2.300 Euro zu finden. Das Testexemplar hat offensichtlich schon einiges erlebt, ist aber technisch sehr gut in Schuss und zeigt nur auf der Stimmbogeninnenseite Anzeichen von Zinkfraß. Die Ventile funktionieren bachtypisch und sind noch relativ dicht. Die 1.450 Euro erachtet der TrumpetScout für ein solch vierblättriges Kleeblatt in diesem Zustand definitiv als angemessen und sowohl für Spieler wie auch Liebhaber fair. Bei deutlich mehr müsste man sich eingestehen, der unheilbaren Sammelwut anheimgefallen zu sein.