Für die meisten ist er der TV Total-Trompeter oder einfach „Herr Heavytones“. Ältere Semester erinnern sich an ihn als den Highnoter der RTL Samstag Nacht-Allstars, wieder andere sind ihm bei einem Yamaha-Workshop begegnet. Egal ob man Rüdiger Baldauf nur mit langen Haaren oder sogar noch mit Mähne auf der Oberlippe kennt, irgendwie sympathisch ist er allen. Warum eigentlich? Der TrumpetScout kennt die Antwort.
Wie es sich für einen echten Rheinländer gehört, war in Rüdiger Baldaufs Leben der Initiationsmoment seiner bis dato anhaltenden Begeisterung für die Trompete natürlich was? Klar, der Karneval. Mit fünf Jahren wurde er dort infiziert und hat sogleich zum (Plastik-)Instrument gegriffen. Richtig los ging es dann mit Acht und der „Il Silenzio“-Platte von Nini Rosso. Vollends überwältigt hat den Neuling dann der Besuch eines Konzerts von Trompetengott Maurice André im zarten Alter von neun Jahren. Das Berufsziel war wie in Stein gemeiselt. Im Rheinland nicht anders als anderswo führte der Weg zunächst über das Blasorchester, wo mit Zwölf das erste Bier nicht fehlen durfte. Den direkten Weg weisen konnte das Umfeld jedoch nicht. Auf trompeterische Probleme, die die meisten Lebensläufe, gerade in jungen Jahren, begleiten, reagierten die ersten Lehrer nicht nur nicht adäquat, sondern falsch. Anweisungen wie „stärker blasen“, „mehr üben“, „fester drücken“ waren Zeichen von Unwissenheit und nachvollziehbar nicht Folge eines bewährten Systems.
Die Mama hat Schuld: Profi-Trompeter und doch kein Saxofonist
Überraschenderweise hat Rüdiger Baldauf mit 17 – trotz der Mitgliedschaft im Jugendsinfonieorchester Köln – die Trompete für ein halbes Jahr in den Koffer gelegt und sich stattdessen am Saxofon versucht. Ob diese Wende der fortgeschrittenen Pubertät geschuldet war, bleibt unklar. Auf jeden Fall war es seine Mutter, die ihn wieder in die Realität zurückgeholt hat: „Du wolltest doch immer Trompeter werden. Was ist jetzt damit?“ Diese Ansage zeigte Wirkung beim jungen Musikus, er besann sich auf seine erste Wahl und nahm das Studium der klassischen Trompete auf. Als ihm sein Professor Bob Platt ermöglichte über ein Stipendium nach Berlin zu gehen, traf er im Umfeld der Karajan-Stiftung auf Spieler wie Matthias Höfs und Konsorten, zu denen er voller Anerkennung und Bewunderung aufschauen konnte. „Dort waren nur Cracks. Fünf Klassen über mir. Wenn die nicht so nett gewesen wären, hätte ich mich nicht getraut mit denen zu reden.“ Neben der klassischen Literatur öffnete sich Baldauf auch der Musik, die, wie er selbst sagt, „nicht für das Publikum gemacht wird, sondern für die Musiker und Komponisten“: die Neue Musik. In dieser speziellen Sparte, die aufgrund ihrer Kopflastigkeit durchaus auch in Zeiten der aufgelösten Antithetik von E und U als ernste, also E-Musik bezeichnet werden darf, konnte der Trompeter Fuß fassen, wenngleich ihn die Anforderungen grundsätzlich überforderten: „Was da notiert war, konnte ich nicht spielen.“ Wer schon einmal Literatur der Neuen Musik gesehen hat, kann das nachvollziehen ohne an Baldaufs Fähigkeiten zu zweifeln.
Konzertdiplom, aber kein Orchester: „Mir hat der Groove gefehlt.“
Der Ausflug in diese extreme Musik, „die eigentlich keine ist“, war lehrreich und einträglich, hat dem Musiker Baldauf aber klar gemacht, dass sie nicht das bietet, wonach er sucht. Er vermisste eben jenen Teil, den so viele Menschen auf der ganzen Welt an Musik lieben, der den Kopf übergeht und direkt ins Herz, den Magen oder die Beine geht. „Mir hat der Groove gefehlt.“ Darum hat er sich der populären Musik zugewandt, wollte Funk und Soul ausprobieren – und hat auch dem Abschluss des Studiums im Konzertfach Trompete 1987 dem Orchester den Rücken gekehrt. Orientierungslos und vor allem arbeitslos war Baldauf deshalb aber nicht. Seit 1984 war er bis in die 90er Jahre die erste Wahl für Recording-Jobs im renommierten Kölner Cornet-Studio, wo das Who is Who der deutschen Musikszene ein und aus ging. Die Zeiten waren noch andere und der junge Trompeter beinahe täglich im Einsatz, konnte wertvolle Kontakte knüpfen und fand einen so großen Gefallen am Dasein als Studio-Guy, dass er sich hätte vorstellen können, nichts anderes mehr zu machen.
Rüdiger Baldauf war der deutsche Chuck Findley
Beim Vergleich mit einem der größten Studio-Trompeter überhaupt, dem Amerikaner Chuck Findley, muss Baldauf lachen. „Ganz das Niveau eines Jerry Hey-Arrangements hatten die Sachen nicht.“ Wie auch in Hollywood wusste man zwar nicht, was am nächsten Tag aufgelegt wurde, aber in der Regel seien die Parts schon spielbar gewesen. Die Herausforderung bestand eher darin, sich auf den Musikstil einzulassen: einmal Rock, dann Jazz, ein andermal klassisch und zwischendurch auch eine Polka. Klingen musste es aber immer, als würde man den ganzen Tag nichts anderes spielen.
Die Studio-Arbeit und die damit verbundene Begegnung mit Bandleadern und Unterhaltungskünstlern hat sich natürlich auch positiv auf die Vernetzung ausgewirkt. Durch Empfehlungen bot sich die Chance, mit großen Musikern eben nicht nur des Jazz, sondern auch des Pop auf Tour zu gehen. Später ergab sich dann die Möglichkeit, über das eben erst geborene deutsche Privatfernsehen von einer breiten Öffentlichkeit auch optisch bemerkt zu werden.
Forschung und Lehre – auch das ist Baldauf
Neben diversen Jobs in den deutschen Radio-Big Bands, dem TV-Engagement und zahlreichen Touren lehrte Baldauf auch elf Jahre an der Musikhochschule Köln Abteilung Aachen. Und wer lehren will, muss wissen. Wer wissen möchte, muss belehrt werden oder eben selbst Erkenntnisse gewinnen. Beides hat Rüdiger Baldauf getan und denkt gar nicht daran, je damit abschließen zu können. „Es ist ein ewiges Forschen!“ Dass hierbei der Umweg ein ureigenes Charakteristikum seiner Strategie und mehr noch Persönlichkeit zu sein scheint, hat der heute 54-Jährige (Jahrgang 1961) indes schlicht akzeptiert: „Wenn es fünf Wege gibt, die man einschlagen kann, muss ich alle fünf nehmen, um den einen zu finden, der ans Ziel führt. Andere nehmen gleich den richtigen.“ Mit „andere“ meint er z.B. James Morrison und insbesondere Andy Haderer, mit dem ihm nicht nur eine Freundschaft verbindet, sondern der ihm auch Inspiration und Vorbild war: „Andy hat mir sehr geholfen.“ Entscheidend ist, dass ihn sein Weg letztlich auch ans Ziel geführt hat und er glücklich ist, mit dem, was er macht und nun in vielen Workshops Trompeter in Deutschland, Österreich und der Schweiz an seiner Erfahrung profitieren lässt. Was ihn zu einem guten Lehrer macht? „Dass ich selbst mit allem Probleme hatte, über was ich heute berichte.“
Nur Korrekturen, keine Umstellungen: Der Ansatz ist im Fluss
Wer sich an die Close Ups von Baldaufs Ansatz zu RTL-Zeiten erinnert, wird wissen, dass er zwar sehr hoch, aber die Haltung betreffend auffällig stark nach unten gespielt hat, wie man es oft bei Kindern sieht. Er selbst sieht das heute alles andere als wertfrei. „Ich konnte damals sehr hoch und laut spielen, hatte aber oft Schmerzen.“ Auch als Kind verletzte er sich beim Blasen der ersten Stimme in der Musikkapelle. Durch Beobachtung bekannter Trompeter, die sehr sicher im oberen Register spielen konnten, machte sich bei Baldauf die Erkenntnis breit, dass ein gemeinsamer Nenner trotz der physischen Individualität aller Spieler die Belastung der Oberlippe darstellt. Er versuchte daraufhin seinen Unterkiefer vorzuschieben. Auch ließ er die früher gern dogmatische Verurteilung der Nutzung von Luftpolstern im Auflagebereich des Mundstücks hinter sich. Keine dieser Veränderungen geschah plötzlich, kein Eingriff ins System war massiv. Vielmehr handelte es sich um einen konstanten Umbau. Etwas anderes macht für den Dozenten Baldauf keinen Sinn und würde gerade für Profimusiker eine geradezu wirtschaftliche Bedrohung durch Spielunfähigkeit darstellen.
Interessant ist das auch unter dem Aspekt des natürlichen Wandels. Wer viel spielt, bemerkt möglicherweise eine Anpassung des Ansatzes bei sich selbst, wenn Bilder von heute mit denen vor 20 Jahren verglichen werden. Eine Stagnation ist auf jeden Fall auch bei Baldauf nicht in Sicht. Proben und Konzerte mit Kapazitäten wie Jon Faddis, Arturo Sandoval und besonders Clark Terry gaben dem deutschen Trompeter die Chance, direkt bei den Weltstars nachzufragen, wie deren Formel laute und das erworbene Wissen ins eigene Spiel einzuflechten. Er verknüpft aber genauso neue Ansätze wie bei Jeff Smileys Balanced Embouchure-Methode mit der Beobachtung seiner Kollegen Andy Haderer und Vim Both, „die das zwar machen, aber es nicht wissen.“ Heute sieht er sein Spiel so konstant wie nie zuvor, aber – wie sollte es anders sein – natürlich noch immer als ausbaufähig an.
„Reine Nervensache“: Baldauf beschäftigt sich auch mit dem Kopf
Üben heißt für Baldauf, sich auf das Spielen mental vorzubereiten, aber auch sinnvoll vorzugehen. Die Fokussierung unterstützen Atemübungen, merkt er, dass einmal die Zungenstellung ein Problem darstellt, helfen im Keller des „TV Total“-Studios Bindeübungen. Prinzipiell gilt aber auch das Effizienzgebot: „Üben, was man nicht kann. Was ich kann, ist nicht schwer, was ich nicht kann, interessiert mich.“
Ein echter Spezialist ist Baldauf auf dem Gebiet der Angstminimierung und des Umgangs mit Nervosität. Drum schreibt er augenblicklich auch ein Buch mit dem Titel „Reine Nervensache“, das 2017 erscheinen wird, hat aber auch in seinem bereits zigtausendfach verkauften Nachschlagewerk „Der Trompetenratgeber“ dem Thema mentales Üben bereits viel Platz eingeräumt. Er selbst kennt die Situation von zittrigen Händen und trockenen Lippen und auch den Druck bei Probespielen in der Klassik, der fast alle Kandidaten dazu zwingt, im Ernstfall zu Medikamenten zu greifen. Früh schon hat ihn sein Professor auf Probespiele geschickt, bei denen er chancenlos war. Er sollte einfach die Erfahrung machen. Außerdem legte der Lehrer dem Studenten gleich drei Bücher zum Kopf-Thema ans Herz. Besonders hat beeindruckt hat Baldauf der Titel „Tennis und Psyche“ – und klar gemacht, dass es nicht um die Trompete geht, sondern um den Spieler.
Fernsehen vs. Radio: „TV Total“ statt WDR-Big Band
Als Anfang der 2000er Jahre eine Stelle bei der WDR-Big Band ausgeschrieben wurde, die einen Assistant Leader mit Solo-Qualitäten forderte, fühlte sich Baldauf voll angesprochen. Viele seiner Kollegen und Freunde aus der Band rieten ihm davon ab, da er sich bereits einen Namen unabhängig vom Ensemble machen und überdies gut leben konnte. Beworben hat er sich trotzdem. Als die Ausschreibung aber auf Assistant Lead eingeengt wurde, hatte es sich für Baldauf sowieso erledigt. Dem folgte aber bald ein Probespiel bei der Studio-Band von Stefan Raabs „TV Total“-Sendung, bei dem er sich durchsetzen konnte. Teil der Heavytones zu sein (und das nun bereits seit 2003) ist ein großes Glück, da man mit tollen Kollegen internationale Künstler begleiten darf und dafür auch noch sehr gut bezahlt wird. Leicht verdient ist das Geld aber nicht, da ein normaler Studiotag von 12 bis 20 Uhr reicht, an Doppeltagen sogar von 10 bis 22 Uhr. „Wolgang Dalheimer, der Bandleader, schreibt die Arrangements in der Nacht.“ (Mittlerweile hat die Band übrigens 4.000 (!) davon im Repertoire.) Außerdem wurde in den letzten Wochen nach der Show noch die neue CD eingespielt, die Ende November 2015 in den Handel kommt.
Rüdiger Baldaufs Equipment: Blech und Plastik
Im Laufe seines Lebens hat Baldauf natürlich vieles probiert – sein Forscherdrang macht nicht bei der Technik Halt. Nach sechs Jahren auf einer Monke-Drehventiltrompete hat er unter anderem Bach und Calicchio gespielt, ist aber irgendwann auf die Verlässlichkeit von Yamaha angesprungen. Offen erzählt, wie es zur heute sehr tiefen Zusammenarbeit gekommen ist: „ich habe bei Yamaha angerufen und gefragt, was ich tun muss, damit ich für die Trompete nichts bezahle.“ In der Folge hat er seine erste Japanerin, die Xeno 8335RG, in Workshops abgearbeitet. Er spielte dann eine 9335NY, eine 8340EM, arbeitete an der zweiten Generation der Bobby Shew-Trompete, der 8310Z, mit und sorgte zuletzt für die Feinjustierung einer kleinen Serie von 8335LA-Modellen, aus denen quasi eine eigene Custom-Trompete wurde. Diese 8335LA Selection Rüdiger Baldauf wurde an drei Stellen verändert: Andere (deutlich teurere) Filze, ein Ring im dritten Ventildeckel für verbessertes Slotting und eine Manipulation der Mundrohrkante im Receiver, mit der Folge, dass die Trompete mehr Widerstand bietet – das Hauptmanko des Wayne Bergeron-Modells ist damit beseitigt. Leider sind die Trompeten schon fast vergriffen, Rüdiger Baldauf spielt aber genau dieses Modell.
Beim Mundstück ist der beruflich „Kölsche Jung“ von der Multimundstück-Strategie auf die „Eines für alles“ gewechselt. Eine echte Singularität: Es ist aus Kunststoff und eine echte Montage. Der Rand folgt dem Monette-Vorbild, die Bohrung entspricht ungefähr der eines 13A4A von Schilke, der Kessel ähnelt einem Warburton der Größe 6. Das Mundstück gibt es sogar zu kaufen, und zwar bei dem Schweizer Kunststoffmundstückhersteller Brand, der es unter der Bezeichnung Rüdiger Baldauf L führt.
Spielen bis zur Rente oder bis zum Ende?
Auf die (eigentlich rhetorische) Frage, ob er ein Job-Verhältnis zum Trompetespielen habe und damit irgendwann Schluss sei, antwortet Rüdiger Baldauf, dass es für ihn kein Ende gebe. Jedes Angebot muss er ja auch nicht mehr annehmen. Wichtig sind für ihn bei einem Engagement, ob ihm die Musik gefällt, der Künstler oder die Gage. „Ideal ist natürlich, wenn alles passt.“ Wie aber reagiert ein freundlicher Mensch wie Baldauf nun ganz konkret, wenn zwar die Gage stimmt, aber die Musik Erbechen hervorruft und der Künstler, mit dem eine Zusammenarbeit droht, noch viel meher? „Dann lüg‘ ich am Telefon und sag‘, ich hab‘ da schon was.“ Vielleicht ist das das Rezept seiner Beliebtheit: Ehrlich, wenn es hilft und diplomatisch, wenn Verletzungen drohen.