Die Schweizer Trompeten mit Kohlefaser-Becher und dem klingenden Namen daCarbo gibt es nun seit 2011. Nachgemacht hat ihr Prinzip bislang noch keiner. Der TrumpetScout wollte wissen, wieso – und wie sich so ein Ding spielt, das Jahrtausende der Blechblasinstrumententradition über den Haufen wirft.
Zuallererst: Dies ist kein gewöhnlicher Testartikel (weshalb dieser Beitrag auch in der Rubrik Blog verlinkt ist). Vielmehr geht es um avantgardistische Instrumentenkunde anhand eines modernen Beispiels. Denn die Idee, ein wichtiges Bauteil der Trompete gänzlich neu zu konzipieren, ist keine noch nie dagewesene: Bei Conn begann man im frühen 20. Jahrhundert, Becher im Elektrolytverfahren herzustellen. Eines Tages gab es den ersten überlappenden Stimmzugbogen und irgendwann wurden Ventile aus Stahl gefertigt. Neue Ideen sind also an sich nichts Neues.
Ihre Umsetzung erfordert manchmal neue Technologien. Oder aber die Möglichkeiten einer neuen Technologie inspirieren erst zur Veränderung von etwas Althergebrachtem. Die Fertigung von Kohlestofffaser- (vulgo Kohlefaser-)Werkstoffen ist vergleichsweise jung, fand aber schon vor längerer Zeit Eingang in unser aller Leben: Dinge aus Karbon (so werden in diesem Artikel der Einfachheit halber die „zusammengebackenen“ Kohlefasermatten genannt) kennen wir aus Rennwagen, Sportgeräten (Angelruten, Fahrradrahmen etc.) oder von überall her, wo es stabil, widerstandsfähig, aber zugleich irrwitzig leicht sein muss. Gehört da die Trompete dazu? Eher nicht.
Karbon hat schlechte Schwingungseigenschaften – und das ist gut so
Anders sah das Andreas Keller, ein promovierter Materialwissenschaftler (Absolvent der international renommierten ETH Zürich) aus der Schweiz, der beruflich mit Verbundwerkstoffen und Akustik zu tun hatte. Als Trompeter kam ihm da natürlich die Idee, die Schwingungseigenschaften von Karbon für die Trompete zu nutzen. Die sind nämlich schlecht – und das ist gut, sagt Keller. Die Energie, die der Bläser in das Instrument gibt, wird bei Karbon nämlich nicht schon teilweise dafür benötigt, das Material in Schwingung zu versetzen. Das soll die Reaktionszeit des Horns, also die Ansprache, verbessern und den nötigen Input bei gleichem Output reduzieren.
Nach nur 15 Minuten Überzeugungsarbeit experimentierte Keller zwei Jahre zusammen mit Werner Spiri, dem über die Landesgrenzen hinaus bekannten Schweizer Trompetenbauer, bis zur Marktreife. 2011 firmierte man dann als daCarbo AG: ein durchaus schönes Wortspiel, nicht nur weil hier das Material literarisch mit der Musik verschmolzen wird, sondern auch weil das „von vorne“ denken einer an sich althergebrachten Sache erfasst wird.
Warum sind die daCarbo-Trompeten so teuer?
Eine daCarbo Toni Maier – das ist das einzige erhältliche Modell mit Vollkarbon-Schallstück – kostet derzeit bei deutschen Händlern knapp über 5.200 Euro. Das ist auf jeden Fall sehr viel „buck for the bang“. Abgesehen von politischen Besonderheiten durch den Produktionsstandort in der Schweiz (höhere Löhne, Zoll bei der Ausfuhr) ist jedem klar, dass alleine die Entwicklung viel Geld kostete – es gab schließlich keine Präzedenz.
Bei den Karbonbechern ist allerdings auch der Herstellungsprozess extrem aufwendig. Es muss eine Form erstellt werden, auf die fünf bis sechs Schichten Karbonmatten angelegt werden, die aus vielen Rovings bestehen, die sich wiederum aus Tausenden von einzelnen Kohlefasern zusammensetzen. Unter Druck wird dieses Geflecht dann mit Harz durchtränkt und anschließend erwärmt – jedoch nicht zu heiß (unter 140° C) und nicht zu vorsichtig (über 80° C – erst dann härtet es aus). Die Becherform muss zudem aus einem Material gefertigt sein, das den „Backprozess“ übersteht, aber nachher unter thermischer Einwirkung verflüssigt werden kann (jede Form ist also nur für einen Becher gut!), ohne dabei aber den Becher zu schädigen. Für all das braucht es neben kostspieligen Maschinen sehr kundiges Personal. Abgesehen davon hat sich herumgesprochen: Karbon ist einfach schwarzes Gold. Weniger metaphorisch: Es ist teuer. Das dürfte neben der Komplexität wohl auch ein Punkt sein, der den Hersteller vor Nachahmern schützt.
Wie wirkt sich das Material physikalisch aus?
Karbon hat eine extrem hohe Steifigkeit – anders gesagt: eine starke Abneigung gegenüber dem Verbogen werden. Schwingen kommt in gewisser Hinsicht der Bewegung des Verbiegens gleich. Von Natur aus ist also ein Schallbecher aus Karbon gegen ungewollte Schwingungen gewappnet, die auch ein traditioneller Instrumentenbauer zu unterdrücken versucht. Die erste Stütze zwischen Mundrohr und Becher braucht eine Trompete, um nicht unangenehm giftig zu klingen. Bei daCarbo hat man deshalb den Becherverlauf mit unterschiedlichen Wandstärken und unterschiedlichem Fasergehalt gestaltet. Die besagte Stütze bräuchte man deshalb gar nicht – sie dient allerdings der allgemeinen Stabilisierung der Trompete.
Mit maximal 2 mm Wandstärke ist das Karbon sehr dick verbaut: „Vierfach überdimensioniert, was die benötigte Stabilität anbelangt“, sagt Andreas Keller und meint damit die Resistenz gegenüber Brüchen. Man muss definitiv keine Angst haben, diesen Becher unfreiwillig zu zerstören. Angeblich könnte man ihn auf eine Tischkante hauen und eher würde der Tisch Schaden nehmen als die Glocke. „Ein Mountainbike-Rahmen aus Karbon ist da viel empfindlicher, weil er an der unteren Grenze der Materialdicke im Verhältnis zur Belastung konstruiert ist.“ Anders als beim Fahren auf den Berg kommt es beim Spielen auf der Trompete nicht auf jedes Gramm an. Dennoch: mit 1.101 Gramm ist das getestete Modell Toni Maier ein Mittelgewicht.
Änderungen am Vorderbau aus Metall
Die daCarbo-Trompeten basieren auf Spiri-Modellen. Bei den ersten Tests wurde also ein Karbonbecher einfach an einen gewöhnlichen Spiri-Maschinenblock mit Mundrohr angeflanscht. Klar, man wollte den nur durch das Material hervorgerufenen Unterschied feststellen. Allerdings war das Resultat eine extrem widerstandsarme und auch klanglich zu leichte Trompete. Es musste mehr Gewicht her. Das wurde am Übergang ins Schalstück angebracht und auch beim Stimmzug. Dessen oberes Rohr fällt auffallend massiv aus. Würde man das Gewicht an der Bell anbringen wollen, wäre diese noch einmal deutlich dicker – das sähe auch nicht mehr schön aus. Deshalb ist der bei jeder Trompete wichtige Kranz auch aus Messing gefertigt. Die nötige Dicke aus Karbon käme der eines Daumens gleich!
Natürlich drängt sich die Frage auf, warum man ein energieabsorbierendes Material an einer Stelle wegnimmt, um es an anderer wieder hinzuzufügen. Lassen wir den Spieltest entscheiden, ob das Sinn macht.
Die Spieleigenschaften der daCarbo Toni Maier
Der TrumpetScout bekam beide daCarbo-Modelle für den Test zugeschickt, die es augenblicklich gibt: Die Unica mit einem Hybrid-Schallstück aus Messing (vom Maschinenausgang bis zur Höhe des zweiten Ventils) und Karbon (Rest) und die Toni Maier. Das Hybrid-Modell ist deutlich günstiger (2.990 Euro) und klanglich anders abgestimmt. Exemplifiziert werden soll dieser Bericht am Vollkarbon-Modell mit der ML-Bohrung (11,7 mm – eine Large-Ausführung mit 12 mm ist auch erhältlich). Kleiner Exkurs: Wer ist Anton „Toni“ Maier? Flapsig formuliert: der österreichische Horst Fischer.
Zunächst hatte der TrumpetScout nicht das Gefühl, etwas von gesteigerter Effizienz zu spüren. Die Trompete klang sehr dunkel (der Lack spricht Bände!) und war auch für Zuhörer nicht als besonders laut oder plärrend wahrzunehmen – vor allem im Vergleich mit einer hellen Messingtrompete. In der Höhe spielte sie sich nicht so leicht wie erhofft, was nicht am Widerstand lag, der war weder besonders groß noch besonders klein.
Erst nach einigen Tagen der intensiveren Beschäftigung fiel auf, dass die Ansprache tatsächlich außerordentlich gut ist. Der Einstieg im Pianissimo ist sicherer und leichter zu bewerkstelligen als bei den meisten anderen Trompeten. Und das wiederum gilt auch für das obere (klassische) Register. Das Problem bei dieser optisch so auffällig anderen Trompete ist wohl die übertriebene Erwartungshaltung, die sie per se erzeugt. Man rechnet mit einem Wunder. Die gibt es natürlich nicht, aber doch kleine Überraschungen wie eben der sichere Einstieg auf sehr leisen Tönen.
daCarbo hat für diesen Beitrag nicht bezahlt – wie auch kein anderer Hersteller, über den oder dessen Produkte bei TrumpetScout je geschrieben wurde. Deshalb unterstütze bitte die Arbeit mit einer Spende: paypal.me/trumpetscout
Klanglich ist die Toni Maier breit – ein Solohorn ohne extremen Kern, wie man ihn von einer Bach typischerweise erwartet. Das mag auch an dem sehr weiten Becher mit 139 mm Durchmesser liegen. Ein Einsatz für die Klassik oder im kleinen Jazz-Ensemble ist daher definitiv die Komfortzone dieses Instruments – nicht die Lead-Stimme in einer Big Band. Da sollte man zur kleinen Schwester greifen. Zwar sagt Keller, dass er auch die Vollkarbon-Trompete „scharf machen“ könnte, doch wäre das für seine kleine Produktion schon zu viel Diversifizierung. Wer den Orchesterklang möchte, muss zur teureren Toni Maier greifen, wem der helle Klang mehr zusagt, kann bei der Unica Geld sparen.
Wer spielt eine daCarbo-Trompete?
Alleine der Preis macht den Kundenkreis von daCarbo zu einem fast handverlesenen, wenngleich man sich nicht in Monette-Regionen bewegt. Man wendet sich an Profis, für die das Arbeitsgerät kaum zu teuer sein kann, weil sie eben täglich damit hantieren und ihr Geld verdienen. Arturo Sandoval hat eine, die Trompeter von Max Raabes Palastorchester haben zwei und seit 2014 spielt auch Roy Hargrove eine daCarbo. Den hat ein Freund auf Keller aufmerksam gemacht. Man traf sich daraufhin kurz vor einem Konzert in Washington. Danach fragte Hargrove, ob er das Horn gleich behalten dürfe. Keller brauchte es aber für eine Ausstellung in den USA. Hargroves Agent wollte dem Schweizer jedoch keine falschen Hoffnungen machen und beichtete, dass der zu allen Herstellern sage, er würde die Trompete am liebsten behalten. Zwei Wochen später kam dennoch eine Email: Herr Hargrove hätte gerne eine Toni Maier. Die bekam er; unverändert, genau so, wie sie dem TrumpetScout auch zum Test vorlag. Und wie alle anderen hat auch er dafür bezahlt.
Das ist nun kein Grund, sich auch eine Karbon-Trompete zu kaufen. Ob der Mehrwert den Mehrpreis rechtfertigt, auch wenn einem die Trompete geschmacklich liegt, ist sowieso unklar – wie bei jedem teureren Instrument. Wer allerdings viel im Orchester spielt, aber auf Perinetventile setzt, oder in der Jazz-Combo die warmen Töne über das Publikum regnen lassen will, darf schon den Blick in die Schweiz richten – und mittels Karbon sein Spiel genauso wie sein Bankkonto erleichtern.