Sein Name ist für viele Trompeter zwischen Nordsee und Südtirol der Chiffre-Code für akkurates Lead-Spiel. Er verkörpert wie kaum ein anderer die erste Stimme in einer Big Band, und das schon seit über zwei Jahrzehnten: Andy Haderer. Der TrumpetScout hat den Österreicher in seiner Heimat getroffen und gnadenlos mit allen (Vor-)Urteilen gegenüber seiner Person konfrontiert.
Thomas Gansch sagte über ihn: „Von hundert Noten trifft er genau hundert Noten.“ Seine Studenten und unzähligen Workshop-Teilnehmer berichten, er sei die personifizierte Effizienz. Was ist dran an diesem Mythos des Mr. Reliable und Mr. High Efficiency in Personalunion, der bereits seit über 25 Jahren das erste Pult der WDR-Big Band bespielt? Der Hochgelobte selbst meint zu dieser wenig üblen Nachrede lapidar, er könne Fehler schlicht gut kaschieren. Das einzige, was eine solche Antwort wirklich verrät, ist, dass dieser Mann sehr demütig seine Fertigkeiten reflektiert.
„Ich bin kein Checker, aber erpicht darauf, mich zu verbessern.“
Gut, zur Wahrheit muss sich der TrumpetScout also behutsam vortasten. Der Schlüssel für Haderers vorbildliche Karriere, das wird schnell klar, liegt in seiner unerschütterlichen Absicht, besser zu werden, und zwar nicht irgendwie und schon gar nicht durch Glück. Sein Zugang hat etwas Wissenschaftliches und Analytisches, ohne dabei die Musik, die ja vornehmlich das Herz treffen soll, zu kurz kommen zu lassen. Haderer wollte schon früh durch Verstehen weiterkommen, nicht durch Glückstreffer oder ein unbeabsichtigtes Einschleifen beim Musizieren. „Österreich hat sehr gute Musikanten, ich wollte aber irgendwann einen Schritt weitergehen. Das Umfeld für den dazu nötigen Perfektionismus gab es hier nicht.“ So kam es, dass der noch Andy Haderer bereits Anfang 20 die Koffer packte und nach Deutschland ging.
„Mein Glück war, dass ich sehr früh begonnen habe.“
Zu der Zeit konnte er allerdings schon auf eine kleine Musikerkarriere in Wien zurückblicken: Der Vater war Trompeter bei der Polizeimusik, leitete dann aber ein eigenes Tanzorchester. Bereits mit 13 Jahren feierte Haderer Junior (Jahrgang 1964) sein Big Band-Debüt in der Wiener Hofburg, begann dann ein klassisches Trompetenstudium, war aber so mit Popularmusik beruflich (!) beschäftigt, dass er sowohl das Studium wegen Sinnlosigkeit an den Nagel hängte als auch die Schule wegen musikalischen Erfolgreichtums abbrach. In die Wiener Szene wuchs er wie von selbst, gab sich die Klinke in die Hand mit den kaum älteren Local Lead Heroes Hannes Kottek und Karl „Bumi“ Fian. Fünf Jahre spielte er das Musical Cats in der österreichischen Hauptstadt: „Mein erstes und einziges bis heute. Es war anspruchsvoll und hier konnte ich viel ausprobieren.“ Später in dieser Phase pendelte er sogar zwischen Wien und Zürich (dort spielte er Montag bis Donnerstag bei der Radio Big Band) – zu Spitzenzeiten über 30 Mal pro Jahr, wohlgemerkt mit dem Auto und 750 Kilometern pro Einzelstrecke. In seinen unteren Zwanzigern hatte Andy Haderer also de facto bereits eine ganze Dekade professionelles Trompeterleben hinter sich – wer kann das schon von sich behaupten?
Technik meistern durch Verstehen – nicht durch exzessives Üben.
Also zurück zum Ausbruch aus der Biosphäre seiner Kindheit und Jugend Wien und zurück zur Frage, wie Haderer sich den Nimbus der Perfektion geschaffen hat. Wenn Haderer anfangs auf seine Kaschierqualitäten ausweicht, so gibt er die „Schuld“ an seiner Güte den herausragenden Musikern, mit denen er schon früh Kontakt hatte: Vor allem das Treffen mit Bobby Shew (wie könnte es anders sein!) 1986 im Zuge der Gründung des BuJazzO markiert einen Meilenstein in der Entwicklung des bald 51-Jährigen Jazztrompeters. „Mir hat gefallen, dass da jemand so musikalisch und technisch perfektionistisch zugleich war. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so über das Bläserische Bescheid gewusst hat wie Bobby Shew. Außerdem kann er wunderbar erklären und hat mir so ganz neue Perspektiven eröffnet.“
Shews Ansatz und dessen analytische um nicht zu sagen intellektuelle oder gar sokratische Art, frei von normativen Dogmen, hat Haderer gefallen und er konnte sie bei sich wiederfinden. Im Zentrum der Shew’schen Lehre steht nämlich nur ein Grundsatz wie in Stein gemeiselt: „Sammle so viel Wissen, wie du kriegen kannst und wende diesen Wissen selbstständig und individuell an – das eine Patentrezept gibt es nicht.“
Sensibilität ist ein Schlüssel für das Meistern der Trompete.
Natürlich lehrte Shew seinen österreichischen Schüler (Andy Haderer verbrachte einmal ganze drei Wochen beim Meister der Meister in Los Angeles) gewisse Techniken, wie z.B. die vielerorts beschriebene Yoga-Atmung. Aber auch diese muss man nicht verwenden. Interessanter scheint eine spezielles Training, das simpler kaum sein könnte: Üben in einem dunklen Raum. Hierbei wird man nicht von den Eindrücken des Sehsinns abgelenkt und kann sich voll auf den Ton konzentrieren. Damit kommen wir zurück zum Ergründen der Behauptung, dass Haderer kaum Giekser produziert. Er selbst sagt, er fühle die Töne vor dem Erklingen, was ihm sehr dabei helfe, nicht daneben zu liegen: die Vorstellung – wie so oft – als Schlüssel zur ungestörten Tonproduktion. „Außerdem: Viel Wasser trinken!“, scherzt der Wahl-Kölner und spielt damit auch Roger Ingrams Buch und im Speziellen dessen Tipps zur Lebensweise an. Einen ernsten Kern dürfte es dennoch haben, schließlich ist Sensibilität dem eigenen Körper gegenüber durchaus kein Fehler.
Lifelong learning statt Hochmut
Haderer weiß gut, dass der Kopf über den Körper buchstäblich den Ton diktieren kann, und zwar auf unangenehme Weise: „Vor meinem ersten Konzert mit Peter Herbolzheimer war ich so nervös, dass mir total übel wurde, ich tausend Fieberblasen bekam und dachte, ich kann nicht spielen.“ Sympathisch, dass er so etwas nicht vorenthält. Ist hier am Konzert aber noch alles gut gegangen, erzählt Haderer von unangenehmeren Lehrstunden als er bereits in Diensten der WDR-Big Band war. Eine Aufnahme mit Mel Lewis stand bevor und bei der ersten Probe schien die Chemie zwischen dem Schlagzeuger und dem jungen Leadtrompeter noch zu stimmen. Am zweiten Tag hingegen schwankte die Time des US-Amerikaners aber auffällig. Haderer sprach ihn in der Pause darauf an und bekam eine Lektion fürs Leben verpasst: „Get your own time!“ Lewis merkte, dass sich der Leadtrompeter auf ihn verließ und drehte deshalb den Spieß demonstrativ um, indem er dem Trompeter hinterherspielte. In einer Big Band sei Reagieren keine probate Strategie, belehrte die Ikone aus den USA. Jeder brauche seine eigene Time, maximal müsse man sich dann zusammenraufen. Haderer weitet das heute auf die ganze Band aus: In der Section darf keiner seinem Leadplayer hinterherspielen. Für alle muss das gleiche Uhrwerk schlagen, wenn schon nicht dasselbe.
„Ich ziele immer auf das grüne Notausgangsschild.“
Man merkt es schon – das Gespräch mit dem ruhigen Österreicher, der von sich selbst sagt, er spreche ungern vor vielen Menschen, sondern lasse viel lieber sein Instrument sprechen, war ein langes und man könnte viele Artikel damit füllen. Drum wollen wir auch dem zweiten großen (Vor-)Urteil bezüglich des mittlerweile seit vielen Jahren an der Musikhochschule in Köln lehrenden Andy Haderer nachgehen: „Der muss nicht üben und ist effizient wie kein anderer.“ Tatsächllich übt Andy Haderer nicht viel mit der Trompete am Mund. Aber Üben heißt für ihn auch im Kopf Musik durchdenken, Musik analytisch hören, aber natürlich auch Buzzen während der Autofahrt „bis ich innen einen Scheibenwischer bräuchte“. Im Urlaub ist die Trompete zwar in der Regel auch dabei, aber in die Hand genommen wird sie nicht zwangsläufig. „Manchmal tun mir Pausen auch gut.“ Ansonsten gibt es Auftritte, die Dienste in der WDR-Big Band, davor ein zehnminütiges Warm-Up und vielleicht noch Schüler. Wichtig ist eben, wie gespielt wird, wenn es darauf ankommt. Auch hier ist der Kopf die entscheidende Stelle, nicht nur das Ohr. Wie im Artikel zur Projektion beschrieben, sagt auch Andy Haderer, dass man sich über die Diskrepanz zwischen Sound beim Spieler und beim Publikum unbedingt bewusst werden muss. Wichtiger als sich selbst zu hören, ist, sich vorzustellen, wie andere einen wahrnehmen und sich im Eifer des Gefechts nicht übermannen zu lassen. Wie immer ist ein Gedankenkonstrukt irrsinnig wirksam: „Ich ziele immer auf das grüne Notausgangsschild gegenüber von der Bühne.“
Equipment: Klein, kleiner, Haderer
Auch die Ausrüstung spiegelt das Thema Effizienz wieder – jedoch natürlich auch die Vorstellung des Leadsounds. Bei Haderer ist das der Klang der 50er Jahre-Bands und ihrer ersten Männer wie Snooky Young und Conrad Gozzo. So griff er jahrelang zur B1 von Schilke und in der jüngeren Vergangenheit zur leichten Yamaha 9335 Chicago, die für ihn dahingehend angepasst wurde, dass sie noch ein wenig mehr Widerstand bietet als von der Stange. Jüngst ist Haderer – definitiv zufällig – aber bei einer niedrigeren Nummer des japanischen Herstellers gelandet, der YTR 3335 – einem Schülermodell. Sie bietet noch mehr Gegendruck und ist damit Zeugnis einer steten Entwicklung hin zu noch geringerem Aufwand bei gleichem Output. Der Vater dreier Kinder sucht dabei aber stets den Kompromiss zwischen der Brauchbarkeit sowohl für das Solospiel in der Combo als auch für die Lead-Jobs. Für beide Aufgaben benutzt er übrigens ein und dasselbe Mundstück, das Modell Thorsten Benkenstein von Schagerl. Auch bei der Equipmentsuche kommt Haderers Hang zum analytischen Vorgehen durch: Eisern empirisch wird nach dem A-B-Prinzip getestet, technischen Erklärungen wird prinzipiell misstraut. Neues Material muss sich schlicht bewähren und auch nach Wochen noch immer gegen das alte bestehen. Dann erst darf es dauerhaft zum Einsatz kommen.
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Der Leader ohne Allüren ist ein Sucher ohne Rast.
Dieser lange Artikel ist ein kurzes Exzerpt einer ausführlichen Unterhaltung mit Andy Haderer, der auch im Gespräch zu überzeugen weiß und genau das auch nonverbal vermittelt, was er mit Worten erklärt: Er ist ein ruhiger Typ. Kein Heißsporn mit Egoproblem. Kein Showman. Ganz so, wie er auch auf der Bühne steht. Zurückhaltend, aber stets mit wachen Sensoren für das, was um ihn herum passiert. Sich über Fehler ärgernd und stets auf der Suche nach Perfektion. Die ist auch für Mister 100 Prozent – zum Glück – niemals abgeschlossen.