Mister Modest der Trompete: Bryan „The Sniper“ Davis

Bescheiden und Lead-Trompeter, das ist keine selbstverständliche Kombination. Der aus England stammende Bryan Davis ist ein Paradebeispiel dafür, dass man trotz Führungsqualitäten in der Big Band und der Fähigkeit, mit schier übermenschlicher Zuverlässigkeit die höchsten Töne immer und immer wieder zielsicher abzufeuern, nicht die Bodenhaftung verlieren muss.

TrumpetScout_Interview_Bryan Davis_1
Ein großer kleiner junge mit besonderen Fertigkeiten, die ihm aber nicht zu Kopf gestiegen sind: der Exil-Brite Bryan Davis. Foto: Oliver Kendl.

Es war das Jahr 2010, als der TrumpetScout das erste Mal von Bryan Davis hörte, und zwar gleich live. Da stand er mit „Gansch and Roses“ auf der Bühne neben Thomas Gansch und Adam Rapa und es war nicht klar, welcher der beiden Trompeten-Kollegen den größeren Schatten warf. Gleich die erste Nummer endete mit einem technisch anspruchsvollen Aufgang zum F3 in der Oberstimme. Bryan Davis hat sie sauber oktaviert. Da wussten auch die Hör-Novizen im Saal, zu was dieser Mann fähig ist und was der Abend noch bringen würde.

Im Anschluss an das Konzert reagierte der Herr der hohen Töne auf die europäisch distanzierte Anrede mit „Mr. Davis“ mittelprächtig entsetzt und bestand auf das sofortige „Bryan“. Bei der mit ihm vereinbarten Unterrichtsstunde hielt sich das Bild eines sehr zurückhaltenden, beinahe schüchternen Menschen, der mittlerweile weiß, dass er etwas Besonderes kann, aber sich dadurch nicht überlegen fühlt. Kein schwieriger Showing-Off-Typ, sondern ein höchst umgänglicher Anwender seiner Fertigkeit, der anderen helfen möchte, die Herausforderung Trompete genauso zu meistern wie er selbst. In die sprichwörtliche Wiege gelegt wurde ihm das Trompetenspiel nämlich nicht.

Bryan Davis: Kein Naturtalent, aber mit dem Willen, Grenzen zu überschreiten

Wer Davis‘ Vita komprimiert und chronologisch gereiht nachlesen möchte, dem sei diese Seite empfohlen. Weil es im vorliegenden Artikel aber in erster Linie um die Entwicklung zum hocheffizienten Trompeter gehen soll, der Bryan Davis heute ist, hier nur ein kurzer biografischer Abriss: In den frühen 70ern an der englischen Ostküste geboren, wurde der junge Mann mit 16 Jahren elektrisiert von einem TV-Mitschnitt eines Gigs des United Nations Orchestra mit Dizzy Gillespie, Claudio Roditi und Arturo Sandoval und bekam alsbald die Möglichkeit mit dem renommierten National Youth Jazz Orchestra of Great Britain zu proben. Nach der High School begann er mit dem Studium in Leeds und war von Anfang an viel gebucht bzw. unterwegs. Aber als was – als Lead-Player? Ja. Also hatte er das Talent zum kräftigen Spiel neben seinem Interesse für die verschiedenen Stile und der nötigen Musikalität? Nein. Vielmehr war es so, dass der junge Bryan einfach nur keinen Schiss hatte! „Als junger Mann war ich sehr wetteifernd und wollte nicht hören, irgendetwas sei nicht möglich. Viele Kollegen hatten eine bessere Ausbildung genossen und waren technisch besser als ich, aber sie waren auch davon überzeugt, dass der Bereich oberhalb von C3 oder D3 nur wenigen Spezialisten vorbehalten sei. Das wollte ich nicht hinnehmen.“

TrumpetScout_Interview_Bryan Davis_3
Staunende bis ungläubige Blicke – überall, wie auch hier beim Schagerl Brass Festival, wo Bryan Davis loslegt.

Als er aber ans College kam, war das Ziel zunächst noch weit gefasst, er wollte ein Allrounder sein. Weder sollte ihm die Lead-Stimme Probleme bereiten, noch das improvisieren über Akkorde, deren Abfolge ihm unbekannt war und auch bei hin und wieder geforderten klassischen Passagen sollten Blamagen ausbleiben. Doch irgendwie hat die Realität anders ausgesehen. Trotz Bemühungen, das Können in alle Richtungen auszuweiten, schob es ihn wie von Geisterhand immer auf den Stuhl des Leaders. Warum aber Geisterhand und nicht natürliche Strömung? Mit dem Ansatz bekam Bryan Davis immer größere Probleme, und das ist für jeden Trompeter gefährlich, für einen Lead-Player umso mehr.

„Ich habe meine Lippen totgeschlagen.“ – Wie Roger Ingram die Wende brachte

Nach 14 Profi-Jahren (also ungefähr vor einem Jahrzehnt) wurde augenscheinlich, dass Bryan nicht an seinem gewohnten Spielmuster festhalten konnte. Er glaubte so sehr an das Konzept der schieren Luftmenge, dass er die Trompete stets überblies. Außerdem saß er wie viele andere dem Irrglauben auf, dass nur großes Gerät auch zu großem Ton führe und es auch ein bisschen gegen die Lead-Trompeter-Ehre gehe, es sich durch kleines Equipment leichter zu machen. So spielte er zeitweise gar auf einem Bach 1 1/2 C (!)-Mundstück bis zum G3. Damit verarbeitete er seine Lippen zu Schnitzeln, die er mit erheblichem Mundstückdruck weichklopfte, bis er sich sogar verletzte. Die Situation spitzte sich zu, als Davis mit einem Ratpack-Programm fünf Jahre lang auf Tour war. Acht anstrengende Shows pro Woche brachten ihn an das körperliche Limit. Er wusste, dass er etwas ändern musste – oder aufhören.

TrumpetScout_Interview_Bryan Davis Roger Ingram_6
Bryan Davis und sein Retter in der Not, Roger Ingram. Daneben u.a. mit Ingram und Eric Miyashiro nach der TrumpetParty in Holland 2009. Fotos: bryandav.is

Als ihn die Tournee nach New York führte, traf er sich mit Roger Ingram, der zu jener Zeit noch dort lebte. Dieser „verschrieb“ ihm keine expliziten Übungen, verhalf ihm aber dazu, das System von Spieler und Instrument besser zu begreifen. Er erklärte ihm, wie er die Luft zu nutzen habe, um sie im eigenen Sinne, also für eine größere Range, einzusetzen. Da seine Lippenmuskulatur an die extreme Beanspruchung seines Ansatzes mit „110% Krafteinsatz“ gewohnt war, konnte die Umstellung zum einen schnell vollzogen werden und zweitens hat sich die Ausdauer bei nur noch 70% abgerufener Blasleistung exponentiell verbessert. Der Tonumfang vergrößerte sich schnell um eine halbe Oktave nach oben hin, außerdem hat sich Davis mit der Yoga- oder auch Wedge-Atmung eine neue Technik zugelegt, um den Ton zu unterstützen.

Mindset und richtiges Üben – Davis ist auch hier ein Mann der leisen Töne

In der bereits angesprochenen Unterrichtsstunde mit Bryan Davis (sie wurde damals sogar von ihm selbst aufgenommen und der Mitschnitt per Link zur Verfügung gestellt) erzählte er von seiner leisen Annäherung auch an das obere Register.  So habe er die eingangs erwähnte hohe Stelle kurz vor dem Auftritt, als man an ihn herantrat und fragte, ob er sie denn „oben“ spielen könne, mit wenig Luft angeblasen. „Auch ich bringe nicht jeden Tag sicher Töne um das F4 herum“,  erklärte er damals noch. „Es hat aber leise geklappt, da wusste ich, ich kann es wagen.“ Natürlich klingt ein geflüstertes G3 nicht schön, aber man merkt im Piano, ob man es im Griff hat oder nicht. Gas geben ist dann weniger das Problem. Leises Üben hat Davis‘ Meinung nach zwei entscheidende Vorzüge: Man trainiert das Ohr, gerade in einer schwierigen Lage, und wirkt dem Überblas-Reflex entgegen – und Überblasen sei der Hauptfeind von Ausdauer und Genauigkeit.

Nicht bis zur Erschöpfung üben, sondern sich auf Fitness programmieren

Eine weitere wichtige Lektion erhielt der TrumpetScout in Bezug auf den Wunsch nach mehr Ausdauer. Gerade wenn man als Laie neben Beruf, Familie und anderen Hobbys nicht allzu viel Zeit fürs Üben hat, ist man gewillt, sich in den 30 Minuten, die vielleicht bleiben, möglichst auszupowern. Gerade das sei aber der falsche Weg, so Davis. Macht man sich physisch in kurzer Zeit fertig, merke sich der Körper diesen Zustand und die Verbindung  von Tun und Wirkung: „Trompete spielen“ bedeutet dann „schnell müde sein“. Besser ist es, Lippen- und Gesichtsmuskulatur so zu prägen, dass sie sich stets frisch und gut anfühlen und dadurch auch immer richtig funktionieren. Mit der Ermüdung stellen sich bekanntlich auch Kompensationsmechanismen ein, man drückt zu stark oder der Ansatz verrutscht. Wenn also möglich, sollte man das Üben großzügig unterbrechen – und in der Zeit vielleicht etwas anderes tun (eine passende Anekdote an dieser Stelle: Maynard Ferguson hat anscheinend in seinem Haus die Trompete zentral platziert. Immer wenn er dran vorbeiging, spielte er 10 Minuten. Das passierte wohl oft, aber er hatte auch immer genügend Pausen).

Bryan Davis gibt mittlerweile viel Unterricht, nicht nur in New York, wo er seit 2010 wohnt, sondern auch auf Tour und natürlich auch via Internet.



 

Bryan Davis ist ein Scharfschütze mit Maschinengewehr – weniger kriegerisch: ein sprintender Dauerläufer

Ausdauer ist ein interessanter Punkt. Und bei der Trompete anders zu bewerten als beim Laufen. Dort beißen sich Schnellkraft und Stehvermögen, bei der Trompete scheinen die Äquivalente Höhe und Ausdauer den gleichen Ursprung zu haben: Effizienz durch ein funktionierendes System. Vielleicht liegt die Ursache dieser Effizienz aber nicht nur im Technischen, sondern im selbstlosen und stoischen Wesen des Mannes mit dem nackten Haupt. Der in Wien lebende Landsmann und Kollege Aneel Soomary attestierte gegenüber dem trumpetScout einmal, Bryan Davis sei für ihn der unermüdlichste Spieler, und egal wie hoch, laut, lang und pausenfrei die Literatur auch ist, einfach nicht tot zu kriegen. Damit konfrontiert antwortet Davis bescheiden: „Wann kommt das Interview mit Aneel? Er ist einer der stärksten Trompeter überhaupt und verdient mehr Aufmerksamkeit. [Anm. Ist in Planung!] … Aber ja, ich bin glücklich darüber, sagen zu können, dass ich glaube, mittlerweile recht effizient zu spielen.“ Diese umständliche Formulierung, um einem möglichen Eigenlob nur genügend Vagheit mit auf den Weg zu geben, sollte hier wortwörtlich wiedergegeben werden, um das Wesen dieses Mannes besser fassen zu können: Abliefern, aber ungern darüber reden. Egal, wie groß die Bühne und wie klein die Gage ist und egal, wer mit ihm spielt – Bryan Davis zeigt keine Allüren und keine spielerischen Schwächen. So weiß der TrumpetScout von Aufnahmen in Österreich (wo Davis kein seltener Gast ist) an einem Sonntagmorgen. Das Programm: Stücke von James Morrisons „Scream Machine“. Es gibt Probleme mit der Aufnahmetechnik und ein ums andere Mal muss der Brite ein Solo, beginnend auf einem D4, einspielen. Nichts bringt ihn aus der Ruhe, auch nicht Fehler, „die jedem passieren, die man aber abhaken muss“. Abends folgt dann noch ein Konzert mit Ferguson-Nummern.

TrumpetScout_Interview_Bryan Davis_2
Einer lobt den anderen in den Himmel. Wohl beiderseits zurecht. Bryan Davis und sein „dear friend“ Aneel Soomary.

Gerade weil er in der Höhe sehr gut stimmt, muss er nicht plärren, legt sich auch im Satz gut über die Kollegen. Die Präzision seiner Schüsse scheint also ein Grund dafür zu sein, dass das Kaliber nicht so groß sein muss und dadurch mehr Patronen im Magazin Platz finden. Bei einem Typen wie Bryan Davis würde man aber sicher von Friendly Fire sprechen.

Profi sein in New York

Bryan Davis lebte ein Tour-Leben bis er 2010 zu seiner Frau, einer Tänzerin, nach New York zog. Keine Stadt, die unbedingt auf einen Jazz-Trompeter wartet. „Hier sind die Musiker nicht besser als z.B. in Wien, aber es gibt Unmengen davon. Auch einen speziellen Job können jederzeit zehn, zwölf Leute übernehmen.“ Nicht nur wegen eines noch nicht existenten Netzwerkes, sondern auch wegen rechtlicher Bestimmungen, die Davis zunächst das Arbeiten in den USA untersagten, bildete er sich zum Webdesigner weiter. Was er bislang nur als Hobby betrieb, machte er somit zum notwendigen Standbein in einer der teuersten Städte der Welt. Diese Zweigleisigkeit gibt es also auch bei Topleuten. Mittlerweile ist die Agentur-Arbeit als Designer wieder zurückgefahren, die Musik steht nun im Erwerbsmittelpunkt. Davis ist ein gefragter Session-Musiker, unterrichtet privat und an The New School for Jazz and Contemporary Music und ist auch hier und da wieder auf kürzeren Tourneen (z.B mit Otto Sauters Ten of the best) in der Welt unterwegs. Auch sieht er, ganz seinem Wesen entsprechend, keinen erbitterten Kampf um Bandplätze und Gigs. Bandleader seien in aller Regel loyal, als Substitut sollte man nicht versuchen, den Stammplatz eines anderen ergattern zu wollen, sondern einfach seine Arbeit gut machen und für ein gutes Verhältnis unter den Musikern sorgen – der Rest ergebe sich von selbst.

TrumpetScout_Interview_Bryan Davis_5
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte… Bryan Davis in action.

Was den English Man in New York nach Europa zurückbringen könne? Eigentlich nichts – bis auf einen Wahlsieg Donald Trumps. Dann wäre allerdings Deutschland oder Österreich Refugien Davis‘ Wahl. Auch wenn manche von uns ihn gerne hierzulande öfter sähen – der Preis dafür wäre einfach zu hoch.

„On the small side“ – zum Arsenal von Bryan Davis

Allgemein hat Bryan Davis aus der eigenen Erfahrung und der Beobachtung, dass der Weg des geringsten Widerstands – sei es beim Üben als auch beim Gerät – oft der beste ist, gelernt. Auf Trompete und Mundstück übersetzt, heißt das aber, dass der Widerstand nicht zu klein sein darf und damit das Equipment nicht zu groß.

Zum Einsatz kommen drei Mundstücke: „Hauptschüsselchen“ ist ein Karl Hammond Haas, das von Schagerl in ein Apredato-Modell umgewandelt wurde. Es kommt in 70% der Fälle zum Einsatz. Der Klang ist damit in allen Registern voll und Davis kann damit vernünftig hoch spielen (was auch immer „vernünftig“ bei Mr. Understatement bedeutet…). Das Screamer-Mundstück ist ein Ingram Lead, das sich viel leichter in der extrem hohen Lage spielen lässt. Da klein und eng, kann man damit richtig Krach machen. Um es dem Apredato gewichtsmäßig anzugleichen, bekam das Ingram einen Sound Sleeve in leichter Asführung von Curry angelegt, was in Davis‘ Ohren die Projektion deutlich verbessert. Als „großes“ Mundstück kommt ein Schagerl Apredato 10.5C zum Einsatz. „Ich weiß, dass sich das für viele sehr klein anhört, doch für mich funktioniert es gut, wenn ich einen symphonischeren Klang suche, im Satz eine Unterstimme spiele oder allgemein ein wärmerer Ton angemessen ist.“

TrumpetScout_Bryan Davis_Schagerl James Morrison
ML-Bore, kleiner Becher, konventionelle Bauweise – das Instrument der Wahl für Bryan Davis ist die Schagerl James Morrison.

Die Trompete ist seit 2012 eine Schagerl James Morrison. Die schätzt er, weil sie leicht zu spielen ist und zugleich ein breites Klangspektrum bietet. Sein Exemplar ist wie das, das jeder genau so kaufen kann – bis auf eine kleine Änderung, die man aber leicht selbst „nachbauen“ kann: Die Ventilfedern sind bei Davis‘ Trompete aus Stahl gefertigt. “ Das verbessert das Slotting und die Projektion…“  …kostet nicht viel und ist in einer Minute erledigt.

Das Verständnis-Geständnis

Heute hat Bryan Davis die Trompete gemeistert. Er sagt offen, dass früher seine Musikalität gegenüber seinem Können als Trompeter überwogen habe. Mittlerweile hat sich das Verhältnis aber verdreht und wieder ist er offen: „Mein Verständnis des Instruments ist heute größer als das Verständnis der Musik, die ich spiele.“ Letztlich ist das Verhältnis aber egal. Was zählt, ist der absolute Stand, als Musiker und als Trompeter. Abgesehen davon liegen ja noch viele Jahre für Fortschritt vor ihm. Wenn Trump gewinnt, vielleicht sogar in Deutschland.