Die Trompetengemeinde kennt ihn als virtuosen Springer zwischen den Welten, der den Prototypen eines US-amerikanischen Solisten verkörpert: frei von engem Genre-Denken – und natürlich mit Migrationshintergrund. Der TrumpetScout hat Allen Vizzutti Fragen gestellt, die er nicht schon tausendfach beantworten musste.
Als Allround-Künstler hat man es vor europäischem Publikum schwer. Spielt man den „Karneval von Venedig“, schreckt das Veranstalter von Sparten-Festivals ab, einen zu buchen. Eine renommierte Big Band lädt sich als Solisten gerne nur einen „echten“ Jazzer ein. Und in der Klassikwelt hält man sowieso nicht viel von Zirkuspferdchen, die Kunststücke außerhalb des Orchestergrabens vorführen. Mit dieser Problematik dürfte Allen Vizzutti zeit seines Lebens bei uns zu kämpfen gehabt haben. Zum Glück kommt der schlaksige Herr mit der kompletten Technik aus Amerika, wo Marken wie Doc Severinsen und Al Hirt die nötige Vorarbeit geleistet und es möglicht gemacht haben, alleine mit einem Trompetenbecher bewaffnet (okay, vielleicht auch mit dem ein oder anderen Glitzerjacket…) ins Scheinwerferlicht des Showbusiness vorzudringen.
Geschmäcker und Genre-Redikalismus beiseite – Allen Vizzutti ist eine trompeterische und musikalische Ausnahmeerscheinung. Sein Technik ist atemberaubend, seine Flexibilität beispiellos. Scheinbar ohne Mühe galoppiert er durch mehr als vier Oktaven und bedient sich dabei auch noch der Zirkularatmung. Obendrein komponiert er viele seiner Bravour-Stücke selbst und genießt auch als Lehrer großes Renommee.
Ist beim Thema Allen Vizzutti wirklich schon alles gesagt?
Nach nun weit mehr als 40 Jahren als Solist von internationalem Rang dürfte man meinen, dass dem bald 65-Jährigen schon alle Fragen gestellt wurden. Ein „normales“ Porträt kam für den TrumpetScout also nicht in Frage, schließlich gibt das Internet schon sehr vieles preis. Fünf unorthodoxe Fragen(komplexe) sollen die dennoch bestehenden Wissenslücken schließen.
1. Waren Sie ein Wunderkind?
Ich weiß nicht. Ich habe früh begonnen, ich übte, wurde besser. Glücklicherweise „konnte ich mit der Trompete“. Ich lernte, mit großen Ton zu spielen und irgendwann ist das den Leuten aufgefallen. Ich hatte nie technische Probleme, habe aber an technischen Herausforderungen hart gearbeitet und viel experimentiert. Ich habe nicht einfach die Trompete in die Hand genommen und von vornherein gut gespielt. Zum Thema „Naturansatz“ kann ich nur sagen, dass ich die ersten zehn Jahre Anweisungen von meinem Vater erhielt, der selbst spielte. Das hat mich irgendwie auf einen richtigen Weg gebracht und auch dort gehalten, da er mich immer wieder zurechtwies. Ein schöner Ton, Ausdauer, eine leichte Höhe und ein sauberer Zungenstoß sind Ergebnisse regelmäßigen Übens. Ja, die Trompete und ich, das hat schon von vorn herein gepasst, aber keine meiner Fertigkeiten war einfach da und keine bleibt auch von alleine. Neben anderen Dingen habe ich z.B. die ganze Arban-Schule Seite immer für Seite zwei Mal gespielt. Nach und nach fielen mir die Dinge leichter, und das ging sicher schneller als bei anderen, die nicht so viel geübt haben. Also: Was war da, was musste ich lernen? Ich habe mir alles angeeignet. Da waren nur meine Ohren und mein italienisches Herz!
2. Muss ein wirklich guter Lehrer auch einmal richtig gelitten haben?
Ich glaube, dass Trompeter, die zu kämpfen hatten und große Probleme überwunden haben, großartige Lehrer sein können. Nur: Sogenannte „natural players“, die keine großen Umwege gegangen sind, können das auch. Um Musik zu unterrichten, also Musikalität, Phrasierung und Sound, muss man aber nicht einmal Trompeter sein. Anders bei der Spieltechnik. Sie muss natürlich von einem Instrumentenkundigen analysiert werden. Es gibt Spitzenmusiker, die weder die Persönlichkeit noch die Geduld dafür oder das Interesse daran haben, Schüler bei einem zuweilen mühsamen Lernprozess zu begleiten. Das kann natürlich bei weniger guten Spielern genauso der Fall sein, nur werden die in der Regel sowieso keine Lehrer. Eins von beidem, eine spielerische oder eine pädagogische Klasse, sollte man auf jeden Fall haben.
3. Wie hat der kleine Allen angefangen? Wie wurde er zum großen Mr. Vizzutti?
Ich begann mit sieben Jahren, Trompete zu spielen. Meinem Vater – übrigens ein Italo-Amerikaner zweiter Generation – gehörte ein Musikgeschäft, er war und ist außerdem ein autodidaktischer Trompeter (der sogar heute noch mit 94 Jahren zuhause spielt!). Ich hatte also immer gute Instrumente, viel Übeliteratur und eine ständige persönliche Betreuung. Die Entscheidung, Profi zu werden, fiel mit 13, obwohl ich damals eigentlich noch gar nicht wusste, was das bedeuten würde. Mit 17 ging ich an die Eastman School of Music in Rochester, N.Y., wo ich sechs Jahre lang blieb. Während dieser Zeit lernte ich am meisten von Studienkollegen, dem Spiel in den Hochschul-Ensembles und den ganzen professionellen Auftrittsmöglichkeiten, die sich bereits ab dem ersten Jahr dort ergaben. Dazu gehörten Einsätze bei einem Brass-Quintett, dem Rochester NY Philharmonic-Orchester, bei Shows, Jazz-Bands und als Solist. Am Ende meiner Eastman-Zeit reiste ich bereits durch die ganze Welt und arbeitete an einer Solo-Karriere. Ich hatte damals sogar schon meine ersten Auftragswerke für Orchester, Klavier und Big Band komponiert.
Während meines letzten Jahres an der Musikhochschule gewann ich ein Vorspiel in San Antonio, Texas und hätte der erste Trompeter im dortigen Sinfonieorchester werden sollen. Das Angebot lehnte ich dann aber ab, um mit der Woody Herman-Big Band auf Tour [siehe Video] zu gehen. Danach lud mich Chick Corea ein, mit ihm zu spielen. Nach einer dreimonatigen Welttournee ging ich nach Kalifornien zum einen wegen des Wetters und zum anderen wegen der Job-Möglichkeiten in der Studiobranche. Meine Solokarriere pflegte ich aber weiterhin, wozu auch das Schreiben gehörte. Ich habe einfach versucht, überall aufzutreten und mir einen guten Ruf zu erarbeiten, sowohl als Spieler als auch als Komponist und Lehrer – im Jazz und in der Klassik.
4. Sie werden im September 65 Jahre alt. Wie geht es weiter? Wie blicken Sie auf Ihre Karriere zurück?
Soweit war mein Leben absolut wunderbar. Und ich spiele heute so gut wie nie zuvor. Das sage ich auch, um zu unterstreichen, dass meine musikalischen Abenteuer solange weitergehen werden, bis ich überhaupt nicht mehr kann, egal wie alt ich bin. Übrigens trete ich dieses Jahr zwei Mal mit Doc Severinsen auf. Der wird bald 90 und glauben Sie mir: Jeder Spieler hätte gerne seinen Sound, seine Range und seine Ausdauer!
Zur Vergangenheit: Sicher gäbe es rückblickend Dinge, die ich heute anders gemacht hätte, aber das hat keine Bedeutung, weil ich es eben erst jetzt so sehe. Aus der Sicht des einstigen Allen habe ich mich immer richtig entschieden. Man kann nicht voraussehen, wohin einen Entscheidungen führen werden. Ich war immer bestrebt, jede musikalische Herausforderung mit Spielfertigkeit und Musikalität zu meistern. Und wenn die Chancen sich dann ergeben, muss man in der Lage sein, sie zu nutzen – als Performer und als Mensch.
5. Wie kommen Sie mit Ihrem Schnauzer zurecht? Und wer ist der Mensch hinter dem Oberlippenbart und unter dem Mittelscheitel?
Diese Frage behagt mir überhaupt nicht! Der Schnauzer hat keine tiefere Bedeutung. Ich habe mit und ohne gespielt und keinen Unterschied ausgemacht.
Zu meiner Persönlichkeit: Ich genieße es, ernste Musik zu machen, mich selbst dabei aber nicht zu ernst zu nehmen. Das würde keinen Spaß machen und ist auch überhaupt nicht notwendig. Die Balance zwischen Unbeschwertheit und Ernsthaftigkeit ist meiner Meinung nach wichtig. Die Leute wollen deine Persönlichkeit sehen, das stellt eine Verbindung her. Deshalb ist es das Wichtigste, beim Musizieren ein Gefühl mit dem Publikum zu teilen. Play from your heart!