Profi werden, Profi sein – was heißt das eigentlich?

Die Bezeichnung ‚Profimusiker‘ ist streitbar – unterschiedliche Vorstellungen sind damit verbunden. Bei der Trompete im Speziellen ist das nicht anders. Der TrumpetScout hat ein Interview mit Lead-Trompetenlegende Roger Ingram zum Anlass genommen, um über die Existenz als Berufstrompeter mit allen ihren Konsequenzen nachzudenken.

Mit 12 Jahren wollte auch der TrumpetScout Profimusiker werden. Im eingeengten Sichtfeld eines frisch Pubertierenden hieß das: Viel üben, dann Klassik studieren, vorspielen, hoffentlich irgendwo bei einem Orchester genommen werden, Sense. Ziemlich alte Schule, ein klare Vorstellung, doch auch erschreckend diffus. Dominant war die Vorstellung eines langen Leidenswegs (üben, üben, üben, Lampenfieber, Druck etc. – hatte etwas von katholischer Selbstgeißelung), die Freude an der Musik war zweitrangig, das Meistern des Instruments und der Hürden einer sogenannten Profikarriere mit allen ihren Entbehrungen stand im Vordergrund. Zum Glück ist die Wirklichkeit nicht so und zum Glück kam die Einsicht, dass auch ohne den horribel skizzierten klassischen Weg ein Leben erfüllend von Musik geprägt sein kann.

Profimusiker – was heißt das eigentlich?

Um sich dem Begriff ‚Profimusiker‘ zu nähern, ist es dienlich, sich die eigentliche Wortbedeutung zu vergegenwärtigen. Das lateinische ‚Professio‘ heißt ‚öffentliche Erklärung‘, also Bekenntnis. Manchen ist die Ewige Profess aus der klösterlichen Welt bekannt: Ordensschwestern und -brüder legen diese nach eine Probezeit ab und bekennen sich damit endgültig zu ihrem eingeschlagenen Lebensweg. Da kann einem schnell das Wort ‚Berufung‘ in den Sinn kommen, womit man gleich schon bei der heute gebräuchlichen Bedeutung wäre: ‚Professionell‘ heißt ‚beruflich‘. Wer also Berufsmusiker ist, der lebt von seiner Musik. Damit ist der Straßenmusiker, der rein durch seine Open Air-Auftritte in den Fußgängerzonen dieser Welt sein Brot verdient, genauso Profi wie der Schlagersänger (natürlich die Nummer 1, wenn es um’s verdiente Geld geht) oder der Solotrompeter eines renommierten Sinfonieorchesters. Wenn die Musik das Leben finanziert, ist man Profi, oder? Doch es scheint auch noch weitere Kriterien für das landläufige Konzept hinter ‚Profi‘ zu geben.

Die Musikhochschule bietet sicher ein gutes Rüstzeug, doch nicht jeder Absolvent führt danach automatisch das Leben eines Bilderbuch-Profimusikers.
Die Musikhochschule bietet sicher ein gutes Rüstzeug, doch nicht jeder Absolvent führt danach automatisch das Leben eines Bilderbuch-Profimusikers.

Für viele Leute gilt nämlich eine andere Definition. Für sie geht Professionalität mit einer spezifischen Ausbildung einher, natürlicherweise am besten mit einem Hochschulstudium, das kraft seiner Autorität in Bezug auf Qualifikation Zweifel am spielerischen Vermögen des Absolventen gar nicht erst aufkommen lässt. Wer studiert hat, ist ein Profi. Aber ist auch das in dieser Simplifizierung richtig?

Am überzeugendsten scheint mir die Definition, dass der Musiker ein Profimusiker ist, der einfach sehr gut spielen kann (wenn auch nur unter einem spielerischen Aspekt, z.B. beim Thema Improvisation). Dabei ist es egal, ob er studiert hat oder nicht und auch egal, ob er damit nur einen einzigen Euro verdient. Problem bei dieser Sichtweise sind die unklaren Parameter: Was heißt „sehr gut“? Hier wird jeder eine andere Messlatte ansetzen. Eindeutiger sind im Vergleich die Fragen zu beantworten, ob jemand studiert habe oder von seiner Musik lebe. Aussagekräftiger beim Thema echte Professionalität sind sie jedoch nicht.

Get rich or die tryin‘? Das passt nicht zur Trompete.

Im Laufe eines Trompeterlebens lernt man einige sehr gute Trompeter kennen, die nach allen drei Definitionen guten Gewissens als Profis bezeichnet werden dürfen. Sie haben studiert, sie leben von ihrer Musik und sie spielen sehr gut. Dass sie davon gut oder auch sehr gut leben können, ist eher eine Seltenheit. Durch die TrumpetScout-Interview-Arbeit bekommt man es natürlich mit Vertretern der Trompetengilde zu tun, die in doppelter Hinsicht eine Ausnahme darstellen: Nicht nur, dass sie extrem gut spielen, sondern von ihrer Musik auch außergewöhnlich gut leben können. Fernsehproduktionen werden gut bezahlt, wer mit bekannten Pop-Acts spielt und aufnimmt, verdient eventuell auch auf Tantiemen-Seite mehr, ohne mehr spielen zu müssen. Diesen Einkommenshebel können Musiklehrer und Gig-Musiker nicht nutzen.

Als einziger Trompeter auf dem Cover des Wallstreet Journal: Studioberserker Chuck Findley hat Geschichte geschrieben, dank seines Einkommens.
Als einziger Trompeter auf dem Cover des Wallstreet Journal: Studioberserker Chuck Findley hat Geschichte geschrieben, auch dank seines Einkommens. Zeichung: Kevin Sprouls

Wer wie Thomas Gansch mit Mnozil Brass eine eigene und weltweit bekannte Marke geschaffen hat, muss sich um sein Überleben nicht sorgen. Genauso wenig wie ein Chuck Findley, der als der Öffentlichkeit unbekannter Studiomusiker bereits 1980 pro Jahr 150.000 Dollar verdiente (und das Doppelte hätte verdienen können) und es damit sogar in das Wallstreet Journal geschafft hat. Geschenkt wurde das beiden nicht. Zu Ausnahmetalent braucht es unglaublichen Arbeitseifer, Disziplin, Geschick im Umgang mit anderen Menschen und am Schluss wohl immer auch ein Quäntchen Glück. Für diese Jungs war es also sicher die richtige Entscheidung, das Spielen der Trompete zum Job zu machen, auch wenn sie vielleicht beide behaupten würden, sie hätten diese Wahl gar nicht gehabt.

Turning pro – einzige Möglichkeit oder falsche Entscheidung?

Es ist aber klar, dass es nicht für jeden einen solchen Platz an der Trompeten-Sonne geben kann. Der illustre Zirkel auf dem Bläser-Olymp ist klein, die Zahl derer, die dort hin wollen, ist um ein Vielfaches größer. Wer sich davon nicht desillusionieren lassen will (sehr gut – wo kämen wir denn hin, wenn keiner an sich glaubt!), soll sein Leben auf die Trompete ausrichten und alles dafür tun, um der Beste zu werden. Nur so kann man etwas erreichen. Wer aber die Trompete beherrschen will, um es Wynton Marsalis gleichzutun und in Manhattan eine tolle Wohnung zu beziehen, der ist sicher auf einem falschen Weg. Von der Musik leben, heißt in aller Regel, Entbehrungen auf sich zu nehmen: Wer die Musik machen will, die ihm gefällt, hat nicht zwangsläufig das Publikum, das bereit ist, dafür zu bezahlen. Um mangelndes Einkommen zu kompensieren, kann man den sicheren Versorgungshafen einer vollen Musikschulanstellung ansteuern, sieht sich dann aber eventuell wiederum mit dem Problem konfrontiert, sich musikalisch nur schwer weiter zu entwickeln: Viele Trompetenlehrer klagen über eine Müdigkeit, die von der Fließband-Unterrichtstätigkeit ausgehe, sowohl körperlich, also die Lippen betreffend, aber auch geistig, vor allem, wenn man es mit schwer zu motivierenden, von den Eltern sanft gezwungenen Schülern zu tun hat. Überdies ist Unterrichten nicht jedermanns Sache. Schlechte Lehrer versauen dann auch weitere Generationen.

Wer andererseits auf „Spielgeld“, also auf Gig-Gagen, angewiesen ist, um die Miete, Versicherungen und das Auto zu bezahlen, muss eventuell so viel spielen, dass er wiederum wenig Zeit und Energie für das Vorantreiben seiner musikpersönlichen Entwicklung hat. Roger Ingram erklärt das schön im Interview oben: Wer jeden Abend seichte Musik macht, dann nach dem Zusammenbauen in tiefer Nacht noch einen weiten Heimweg hat, der bringt es am nächsten Tag nur schwer zustande, ausgeruht und damit vernünftig zu üben, z.B. auch mit Muse Musik zu hören, sich selbst aufzunehmen und wirklich etwas zu erarbeiten. Am Nachmittag muss er schon wieder weiter, um bei der nächsten Hochzeit oder Firmenfeier dem Soundcheck beizuwohnen.

Künstler vs. Ernährer – musikalisch wachsen oder von der Musik leben?

Wer dagegen gerne auch einmal am Wochenende frei hat, vielleicht eine Familie gründen und seine Kinder aufwachsen sehen will, dazu noch vorhat, ein Haus zu bauen und das auch in diesem Leben noch abzubezahlen, aber Musik und die Trompete im Speziellen trotzdem liebt, der kann dieser Liebe auch nachkommen, ohne von der Musik leben zu müssen, sprich neben einem anderen (Brot)Job. Natürlich beschert ein Musikstudium eine aufregende und erfüllende Zeit, man knüpft Kontakte zu anderen für die Sache brennenden Musikern, und das wiederum spornt an. Aber auch das geht nebenher. Unter Umständen dringt man dann als Nicht-Voll(erwerbs)profi nicht in alle Spielkreise vor, die aus Loyalitätsgründen manchmal auch denen vorbehalten sind, die von ihren Auftritten ihre notwendigen Ausgaben bestreiten. Ein Weltuntergang ist das aber auch nicht. So behält man sich aber die Freiheit, nur das zu spielen, was einem Spaß und Freude bereitet und einen weiter bringt. Wem die Gegenüberstellung von Künstler und Ernährer zu krass erscheint, der halte sich vielleicht an die legendäre Gegenüberstellung aus Heinz Strunks Tanzband-Bibel „Fleisch ist mein Gemüse“: Dort teilt er die Welt ein in Musiker und Mucker.

Auch so kann ein Musikerleben aussehen: Tanzkapelle, Schützenfest, Schlagermelodie und schöne Kostüme. Schön, wenn man es zum Spaß macht, vielleicht weniger, wenn man es machen muss.
Auch so kann ein Musikerleben aussehen: Tanzkapelle, Schützenfest, Schlagermelodie und schöne Kostüme. Schön, wenn man es zum Spaß macht, vielleicht weniger, wenn man es aus Geldnot machen muss.

Diese Zeilen sollen nun keinen entmutigen, den Wunsch, Profi zu werden nicht zu verfolgen. Man sollte sich nur fragen, was man erreichen will und darauf ehrlich antworten: Will man ein guter Trompeter sein oder einzig für und durch die Trompete leben? Ingrams vom Calvinismus durchdrungener Satz „If you’re not interested in something, you’ll find an excuse. If you’re interested in something, you’ll find a way.“ ist sicher richtig, aber in diesem Kontext auch kritisch zu betrachten. Nur weil jemand gute Gründe bei sich findet, sich gegen ein Leben als Profi-Trompeter entscheidet, heißt das nicht, dass die Liebe zum Instrument nicht stark genug ist. Ganz in Gegenteil: Manchmal spricht gerade diese Distanz für eine lange lodernde Liaison.