Wer sich ein und dasselbe Mundstückmodell mehrfach kauft, erwartet natürlich ein mehr als vergleichbares Produkt: Er oder sie will die gleichen Maße und damit die gleichen Spiel- und Klangeigenschaften. Ganz so sieht die Realität aber nicht aus – auch nicht in Zeiten von CNC-Fräse und Qualitätssicherung.
Grobe Unterschiede bei Mundstücken, die die gleiche Prägung haben, sind nicht unbekannt. Vor allem Bach, eine Marke, die auch wegen ihrer Mundstücke berühmt wurde, ist berüchtigt, zumindest früher große Differenzen toleriert zu haben. Was drauf stand, war nicht immer drin. Sagte einem ein Modell zu, konnte man sich leider nicht sicher sein, eine exakte Kopie desselben zubekommen, wenn man ein anderes mit identischem Namen kaufte. Dieselbe Bezeichnung lieferte nicht das gleiche Mundstück. Natürlich spielten gerade beim amerikanischen Ikonenhersteller auch die verschiedenen Zeiten und Produktionsstätten eine Rolle. Ein Mount Vernon 3C ist mit einem aus den 2020er Jahren nicht zu vergleichen. Heute, im Zeitalter von CNC-Fräsen, die die alten Bohrmatrizen abgelöst haben, den Verschleiß ihrer Werkzeuge erkennen und ausgleichen, sind Fertigungstoleranzen perdu. Ein Modell gleicht seinen Klonen mehr als ein Ei dem anderen.
Das zumindest sollte man meinen. Dass es dennoch große Unterschiede – sogar bei den zentralen Größen – gibt, konnte der TrumpetScout weniger zu seinem Ärger, mehr zu seiner Verwunderung feststellen. Ausgangspunkt ist das eigene Leadmundstück, produziert von Yamaha: das Bobby Shew Lead.
3 x Yamaha Bobby Shew Lead: Eines kann getunt werden
Nachdem sich herausstellte, dass jenes Modell gut zum TrumpetScout passt, wurde es gleich mehrfach angeschafft. Ein Exemplar plus Ersatz für Österreich und eines gewissermaßen für Auslandseinsätze im Elternhaus, falls die heimatliche Kapelle spontan Verstärkung gebrauchen kann. Bei dreien (und einem bis heute verhältnismäßig niedrigen Preis) ist die Versuchung groß, mit zumindest einem zu experimentieren. Da Bobby Shew dem TrumpetScout erklärte, dass er bei einigen seiner Mundstücke die Bohrung vergrößern ließ und überhaupt von einem größeren Seelenmaß sprach, wollte der Fragende seinem Interviewpartner (auch hier) natürlich nacheifern. Der Gang zum Instrumentenbauer stand also an.
Der gab sofort zu bedenken, dass er nicht auf Mundstücke spezialisiert sei und daher keine Hundertstel oder Zwanzigstel bei seinen Bohrern anbieten könne. Zehntel hingegen seien möglich. Bei einem Ausgangsmaß von 3,56 mm an der engsten Stelle laut Hersteller wären also 3,6 mm der nächste Schritt beim Öffnen der sowieso, zumindest für eine kurze Strecke, zylindrisch verlaufenden Engstelle des Mundstücks.
3,6x mm: Ein größerer Durchgang ab Werk?
Während sich der TrumpetScout noch überlegte, ob man die 4 Hundertstel überhaupt bemerken werde oder ob man nicht besser direkt auf 11,7 mm aufbohren sollte, die Shew ja auch in Verwendung hat, probierte der Instrumentenbauer seinen Bohrer am Objekt. Überraschendes Ergebnis: Die Drehbank durfte weiterschlafen. Der 3,6er Bohrer glitt ohne Maschine so leicht durch das Mundstück, dass von einem Maß deutlich über 3,6 mm ausgegangen werden darf. Der 3,7er Bohrer schaffte es hingegen nicht in die Seele. Es kann also sein, dass dieses eine Exemplar rund ein Zehntel weiter gebohrt ist, als es Yamaha angibt. Die Zwillingsstudie ergab übrigens: Das Vergleichsmundstück hatte vermutlich sein ausgerufenes Maß – der Bohrer mit 3,6 mm hätte sich nur in Rotation und unter Druck durch den Kanal schieben lassen.
Wie kann es zu dieser im Bohrungsbereich eines Trompetenmundstücks doch signifikanten Abweichung kommen? Eine Erhöhung der Schichtdicke beim Versilbern würde sich bei weitem nicht in diesem Maße bemerkbar machen. Weitere Erklärungsversuche? Der TrumpetScout sieht zunächst drei davon:
- Das Mundstück wurde bereits aufgebohrt.
- Die Toleranzen bei der Fertigung sind größer als gedacht.
- Der Hersteller hat bewusst eine Veränderung vorgenommen.
Zum ersten Erklärungsversuch: Zwei der drei TS-eigenen Mundstücke wurden als Tester gebraucht, aber definitiv neuwertig erworben. Theoretisch könnte sich jemand an der Seele zu schaffen gemacht haben. Gesagt hat das keiner der Verkäufer und Spuren davon sind auch nicht erkennbar. Man hätte den Bohreingriff auf jeden Fall versilbern müssen. Und das macht allein ökonomisch bei diesem Mundstück(wiederverkaufs)wert keinen Sinn.
Zu Möglichkeit 2: Das wäre die nächstliegende und einfachste Erklärung. Sie widerspricht aber der allgemeinen Wahrnehmung von Fertigungskontinuität bei der japanischen Marke. Yamaha steht bei den Instrumenten für Gleichheit innerhalb eines Typs und einer Modellgeneration wie kaum ein anderer großer Name. Dennoch: Einen Ausreißer kann es immer geben.
Zur letzten Option: Die schloss Thomas Lubitz aus dem Yamaha-Atelier Deutschland mittlerweile aus. Eine Anpassung der Bohrung im Laufe der Zeit, also im Umkehrschluss einst mehr Querschnitt und damit einen möglicherweise besseren Blow im unteren Register, gab es nicht. 3,56 mm war und ist das Maß der Seele beim Bobby Shew Lead-Mundstück von Yamaha.
Blindtest: Merkt man den Unterschied?
Wichtiger als die Frage nach dem Warum ist die nach dem Effekt. Macht sich ein Zehntel (+/- wenige Hundertstel) mehr auch spielerisch und klanglich bemerkbar? Instrumententuner und Mundstückproduzent Georg Selders gibt zu bedenken, dass die Bohrungsgröße, von der aus man startet, eine große Rolle spiele: „Die Durchgangsfläche der Seele vergrößert sich quadratisch mit dem Durchmesser. Wenn man ein Mundstück von 3,56 mm auf 3,6 mm aufbohrt, ist das nicht so spürbar, wie wenn man von 3,65 auf 3,7 mm springt.“ Klar, die Fläche eines Kreises ist sein Radius im Quadrat mal Pi (a = r2 x π). Das deckt sich mit den ersten Tests, die kein glasklares Ergebnis brachten, weil sich die Bohrung im untersten Bereich bei Trompetenmundstücken bewegt. Dazu kam die Erwartungshaltung, dass eine größere Bohrung automatisch einen größeren Ton erzeugt, dafür aber die Höhe erschwert bzw. Ausdauer kostet. Um dieser Voreingenommenheit keine Chance auf Beeinflussung des Ergebnisses zu geben, hat der TrumpetScout ein echtes Blindtest-Setting konzipiert. Von der bewährten Testassistentin wurden beide Bobby Shew Lead-Mundstücke abgeklebt, sodass die unterschiedliche Prägung nicht zu erkennen war. Dank eines kleinen Bleistiftpunktes waren sie dennoch bei genauer Untersuchung zu unterscheiden.
Anschließend folgten 10 Prüfrunden mit unterschiedlichen Spielweisen bzw. Exzerpten, die mit beiden Mundstücken absolviert wurden. Die Assistentin mischte dabei vor jedem Durchgang die Mundstücke hinterrücks und bestimmte dadurch blind (also zufällig und insgesamt doppelblind!), welches Mundstück jeweils den Anfang machte, um ein kontinuierliches A-B-Muster zu vermeiden. Nach jedem Durchgang notierte der TrumpetScout sein Spielgefühl und den Klangeindruck, wobei erst dann von der Assistentin zugeordnet wurde, welches der beiden nun das Pünktchen irgendwo am Kragen trug.
Shew Lead vs. Shew Lead: Das Ergebnis
Von den 10 Runden gingen 6 eindeutig an eine Variante, und das sowohl spielerisch (Gefühl des TrumpetScouts) als auch klanglich (Eindruck vornehmlich der Testhörerin). Dazu gab es einen einzigen Gleichstand beim Spielgefühl und 2 Mal ein Patt beim Sound. Umgekehrt heißt das, die andere Variante überzeugte den Tester hinter dem Instrument nur 3 Mal und die Testhörerin eindeutig sogar nur ein einziges Mal. Zwei Mal war vor der Trompete (Abstand übrigens: 8 Meter) kein Unterschied auszumachen und einmal wurde ein Ton als „wärmer“, mit dem anderen Mundstück als „mit mehr Sizzle“ qualifiziert). Damit ist nicht bewiesen, dass eine Variante besser funktioniert. Unterschiedliche Spieler:innen haben unterschiedliche Präferenzen. Aber es ist doch angezeigt, dass 1. ein Unterschied überhaupt auszumachen ist (sonst wäre das Ergebnis sehr wahrscheinlich näher an einer paritätischen Verteilung) und 2. dem Trumpetscout eine Variante besser liegt.
Und damit zur Auflösung: Die in den meisten Fällen bevorzugte Variante war die mit der kleinen Bohrung, wie sie Yamaha auch proklamiert (3,56 mm). Die abnorme und größere Variante fühlte sich dabei nicht unbedingt auch größer an, spielte sich also nicht freier. Eindeutig punktete sie jedoch bei der „Green Hornet“-Passage, bei der zwischen Fis2 und C3 mit Doppelzunge sehr schnell artikuliert wird. Im vollen ‚Schmalz-Solo‘ und in einer Lead-Passage machte sie den Eindruck, etwas besser zu passen. Jedoch waren die Differenzen dort nur marginal bis nicht vorhanden und vor der Trompete gar nicht wahrzunehmen.
Du freust dich über solche Experimente und einen Bericht darüber? Dann unterstütze TrumpetScout mit einer kleinen Spende: paypal.me/trumpetscout! Danke – jeder Euro hilft!
In allen anderen Bereichen – vom leisen Subtone-Spiel über das lyrische Mezzo Forte-Solo bis hin zu Signalen und in die höchsten Höhen – hatte das engere Mundstück klar die Nase vorn.
Natürlich bräuchte es für eine allgemeingültige Aussage mehrere dieser Durchgänge mit unterschiedlichen Spieler:innen und Hörer:innen. Für den TrumpetScout hingegen war das Ergebnis eindeutig. Das Bobby Shew Lead mit Standardbohrung ist der Favorit. Ein Aufbohren ist in diesem Fall nicht nötig.
Ein Ausblick auf weiteres Experimentieren mit der Bohrung
Zugegeben: Dieser Artikel wird seinem Titel nicht ganz gerecht. Eigentlich war der Ausgangspunkt ein Tuning-Gedanke. Dann musste aber gar nicht selbst verändert werden, denn Abweichung von der Norm war schon gegeben. Diese Devianz hat es dann in die Headline geschafft, rückte aber alsbald wieder in den Hintergrund. Prinzipiell ist das Experimentieren mit einer Größe immer interessant und aufschlussreich, auch wenn hier der Normzustand überzeugen konnte. Was wäre aber, wenn man die Bohrung noch einmal vergrößern würde? Wie würde sich das Mundstück dann spielen? Funktionieren andere Mundstücke aufgebohrt eventuell wirklich besser? Und sind meine gleichen Mundstücke zuhause auch tatsächlich gleich? Alles Fragen, die man eigenen Experimenten zugrunde legen kann.
Georg Selders gab noch zu bedenken, dass mit der Vergrößerung der Seele immer auch eine Verlängerung derselben einhergeht. Irgendwann aber passt seiner Erfahrung nach die Länge des zylindrischen Kanals nicht mehr zum Gesamtkonzept bzw. den Winkeln beim Ein- und wichtiger noch dem Ausgang, quasi der Düse in die Backbore. Übertreibt man es, könne man das Mundstück also auch kaputttunen. Prinzipiell sieht er aber ein Veränderung dahingehend, dass eine größere Seele das Obertonspektrum reduziert, der Ton sich verbreitert. Spielerisch gesehen verschlechtere sich das Kompresionsvermögen, weshalb gerade Lead-Mundstücke in der Regel keine extrem große Bohrung haben.