Schon wieder so ein Begriff, den alle verwenden, aber möglicherweise gar nicht alle (gleich) verstehen – Sizzle. Der TrumpetScout versucht in diesem Artikel, eine greifbare Definition eines höchst subjektiven Klangphänomens herzuleiten, das unter allen Instrumenten wohl bei der Trompete am stärksten zum Tragen kommt.
Geht es um den Klang der Trompete in der Popularmusik, ist allerorten von ‚Sizzle‘ die Rede. Benutzt wird das Wort im deutschen Sprachraum gemeinhin als Substantiv: „Die Trompete hat ordentlich Sizzle.“ Dabei handelt es sich aber eigentlich um ein Verb. Im Englischen ’sizzlen‘ die Dinge, die es können. Das sind aber beileibe nicht nur Trompeten oder andere Musikinstrumente. Vielmehr brutzeln, zischen, knistern, prasseln, brizzeln Steaks in der Pfanne oder Tannenzweige im Feuer. Die Reihe derartiger Übersetzungen von ‚to sizzle‘ ließe sich je nach Sprachregion beliebig erweitern, denn es handelt sich um onomatopoetische, also lautmalerische Begriffe. Auch im Englischen, wo man parallel zu ’sizzle‘ von ‚frizzle‘ oder ‚crackle‘ spricht und dabei stets dasselbe meint.
Was bedeutet ’sizzle‘ nun aber im Hinblick (besser: im Hinhören) auf die Trompete? Was knistert da – falls überhaupt?
Was bedeutet eigentlich Klang?
Dazu sollte man zunächst ein paar Schritte zurückgehen: Wenn wir den Begriff ‚Klang‘ nicht von einer musikwissenschaftlichen oder harmonischen Warte aus betrachten („Mozart klingt so.“ oder „Dieser Akkord klingt schaurig.“), sondern aus dem Blickwinkel des Physikers oder Akustikers, so sind Klänge (vulgo: Töne), die man einem (natürlichen) Instrument oder der eigenen Stimme entlocken kann, immer einer Mischung aus
- Grundton (bzw. Grundfrequenz, als dem tiefsten Ton),
- Obertönen (mehrere stets vorhandene zusätzliche Frequenzen, die sich als ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz determinieren lassen) und
- Rauschanteilen (vereinfacht unregelmäßige Schwingungen)
und außerdem abhängig von der Lautstärke.
Auch bei gleicher Tonhöhe (also Grundfrequenz) klingen verschiedene Trompeter und Trompeten, überhaupt verschiedene Klangerzeuger zumeist ungleich. Der Mensch ist dabei das Gegenteil einer Ausnahme: Wer im Chor dieselbe Stimme wie sein Nachbar singt, hört sich dennoch anders an. Deutlicher: Ella Fitzgerald und Adele sind beide ein Mezzosopran – und trotzdem nicht nur stilistisch klar voneinander unterscheidbar.
Das beeinflusst den Trompetenton
Auch bei der Trompete schwingen also Obertöne mit und auch dort rauscht es. Viele Komponenten bestimmen diesen Schwingungscocktail:
- der Spieler bzw. seine Spieltechnik
- die Resonanzen im Raum
- die Hardware (Mundstück und Trompete)
Da im Kontext von Trompete und Sizzle gerne über das Equipment gesprochen wird, blenden wir die ersten beiden Determinanten hier aus und kümmern uns nur um das Instrument: Mundstückform, -größe, -material, und -gewicht sowie Trompetenarchitektur, -bauweise, -material und -gewicht haben großen Einfluss auf die Mischung aus Frequenzen, die wir als Klangfarbe wahrnehmen. Der TrumpetScout hat darüber an anderer Stelle bereits ausführlich berichtet (siehe dazu die Hauptartikel zu den Themen Gewicht und Mundstück).
Was macht das Tandem aus Mundstück und Trompete aber nun zu einem mit viel Sizzle?
Ein Exkurs zum Mysterium Studiotrompete
Vor viele Jahren hörte der TrumpetScout im Dunstkreis seines Lehrers zum ersten Mal das Wort ‚Studiotrompete‘. Angeblich, hieß es damals, seien Modelle des Fabrikats Calicchio unter US-amerikanischen Studiomusikern besonders beliebt. Und ja, alte Fotos der üblichen Verdächtigen belegen, dass dem so war. Was prädestiniert aber eine Trompete fürs Studio und was für den ’normalen‘ Einsatz?
So allgemein lässt sich das gar nicht sagen, da die Eignung des Instruments in erster Linie von der Musik und dem passenden Klang abhängt, den man erzielen möchte. Allerdings verlangen die sogenannten ‚commercial gigs‘ stilistisch zwischen Earth, Wind & Fire und Werbejingle zumeist einen helleren und schärferen Klang, und das bedeutet einen obertonreichen. Jener Faktor ist durch die verwendete Spielausrüstung stark beeinflussbar.
Außerdem lässt sich ein obertonreiches Frequenzkonglomerat in der Post Production beschneiden. Etwas hinzufügen kann man dagegen nur schwer. Eventuell hat die Entwicklung beim Thema Nachbearbeitung dafür gesorgt, dass ab den 70er Jahren eine Unterscheidung zwischen Studio- und gewissermaßen Live & Unplugged-Trompete tatsächlich Sinn machte.
Ist Sizzle verlorene Energie?
Heißt das nun, dass helle und scharfe (übrigens zwei ebenfalls aus der Erklärungsnot entstandene synästhetische Lehnbegriffe, denn weder sieht noch man schmeckt die Töne!) Trompeten alle Sizzle haben? Für den TrumpetScout ist diese Frage klar mit Nein zu beantworten. Vielmehr dürfte eine Trompete mit Sizzle viele Obertöne und einen erhöhten Rauschanteil haben. Aus diesem resultieren höchstwahrscheinlich die Höreindrücke, die Assoziationen mit Sprotzelgeräuschen aus der Friteuse oder dem Holzofen wecken – und einem die Grenzen der Sprache aufzeigen. Der TrumpetScout hat sich deshalb in der Vergangenheit auch stets mit Bildern behelfen müssen und von einem „Funkeln“ und „Flirren“ gesprochen bzw. vom „Klanglametta“.
Wenn sich der Frequenzmix hin zu Obertönen und Rauschen verschiebt, kommt dann weniger Grundton vorne an? Es liegt nahe, wenngleich hier Physiker antworten müssten. Bei der gleichen vom Spieler auf- bzw. eingebrachten Energie wäre es nur logisch. Ist eine Trompete mit viel Sizzle dann leiser als eine mit weniger? Ist deshalb Sizzle im Studio und bei mikrofonierten Gigs okay, aber beim unverstärkten Open Air-Auftritt von Nachteil? Laut und leise sind subjektive Bewertungen (hier der passende TS-Artikel). Die TrumpetScout-eigene Erfahrung spricht zumindest für ein Ja, wenngleich gewisse Frequenzen auch wieder besonders durchdringend sind. In den Autorenohren sind Trompeten mit viel Sizzle aufregender und lebendiger, lauter aber nicht. Dies Empfindung soll nachfolgende Illustration verdeutlichen.
Wenn der reine ‚Vorschub‘ das Maß der Dinge ist, dann ist Sizzle also quasi Energieverschwendung. Schätzt man allerdings den Klang mit unreinem Frequenzanteil, dann geht ein Teil der Energie nicht nach hinten los oder löst sich in Luft auf, sondern buchstäblich in Wohlgefallen. In der Klassik oder traditionellen Blasmusik jedoch wird im Allgemeinen ein kompakterer Klang präferiert. Weniger Sizzle ist dabei Trumpf.
Wie hört sich Sizzle an?
Sizzle ist ohne gutes Equipment schwer einzufangen. Der TrumpetScout hat es trotzdem versucht 🙂 Hier kann sich jeder selbst ein akustisches Bild machen!
Hilfreich wäre eine belastbare Frequenzanalyse, die die Unterschiede illustriert. Der TrumpetScout kann nur sagen, dass in seinem Aufnahmeprogramm die Ausschläge anders aussahen, auch wenn die Lautstärke gleich war. Aufgenommen wurde übrigens mit ein und derselben Trompete mit Stütze im Stimmzug und einmal ohne.
Welche Trompeten haben Sizzle?
Auch diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Prinzipiell müssen die Trompeten eine erhöhte Vibrationsaffinität aufweisen. Das kann durch dünnes Blech hervorgerufen werden, einen zweigeteilten Maschinenstock oder eine andere bauliche Eigenheit. Salopp könnte man formulieren, das Instrument müsse irgendwo ‚eine Schraube locker haben‘. Das Gewicht alleine ist es auf jeden Fall nicht. So gibt es viele schwere Bachs oder Yamaha Xenos, die sehr ’sizzlesk‘ sind, und genauso leichtere Modelle mit sehr reinem und klar definierten Tonzentrum.
Du liest gerne die Artikel auf TrumpetScout.de und willst die Arbeit unterstützen? Jede noch so kleine Spende hilft: paypal.me/trumpetscout Du interessiert dich für die variable Stimmzugstütze? Hier gibt’s mehr Informationen und hier kann man ganz einfach eine bestellen!
Die Conclusio der Gedanken über Sizzle bei der Trompete: Für eine objektive Einschätzung müsste eine Jury aus mehreren Hörern mehrere Stellen gespielt von einem Trompeter, und das auf verschiedenem Equipment beurteilen. Kommt man dadurch zu einem konsistenten Ergebnis (diese Trompeten haben Sizzle, jene nicht oder weniger), wäre eine Frequenzanalyse interessant. Wer Arbeiten hierzu kennt, kann Sie dem TrumpetScout gerne mitteilen!