Vollmantel-Geschoss: die Leadtrompete Endres 6L

In diesem Prüfbericht geht es um eine Trompete eines kleinen Herstellers mit großem Namen: Die 6L von Christoph Endres aus Nürnberg. Verantwortlich für die relativ große Popularität dieses Modells ist Lead-Ass Tobias Weidinger, der diese Trompete mitentwickelt hat und auch heute noch spielt. Die wichtige Frage lautet nun: Spezialhorn für einen Spezialisten oder tauglich auch für Nicht-High-End-Spieler?

Hier wird die besondere Positionierung des Maschinenblock deutlich. Sie macht die Endres 6L frontlastig.
Hier wird die besondere Positionierung des Maschinenblock deutlich: Er sitzt weit hinten. Das macht die Endres 6L frontlastig.

Auf dem Paket mit dem Testinstrument klebt ordnungsgemäß ein Lieferschein, der den Inhalt beschreibt. Keine Überraschung über das bestellte Modell, jedoch eine erste beim Preis: 2.900 Euro inkl. Mehrwertssteuer. Das ist nicht viel. Angesichts der vom Euro-Tief in die Höhe getriebenen Preise für eine Bach von der Stange, die sich weit jenseitig der 3.000-Euro-Grenze bewegen, ist diese Trompete geradezu günstig. Wenn man bedenkt, dass sie (vermutlich in weiten Teilen) handgefertigt ist – nicht einmal in einer Manufaktur, sondern von einem Quasi-Ein-Mann-Betrieb – dann ist das eigentlich sensationell. Ob auch ein Schnäppchen – das wird sich zeigen.

Large but lovely, heavy but heavenly

Die zum Test überlassene 6L ist sogar matt (wie es scheint gebürstet und dann lackiert) ausgeführt, ganz ohne Aufpreis. Schon beim ersten Blick nach dem Öffnen des Koffers ist eine optische Anziehungskraft zu verspüren: Diese Trompete ist schlicht schön. Daran ändert auch die ausgedehnte Becher-Gravur nichts, die es heutzutage kaum noch gibt und wahrlich wie ein Relikt aus ganz alten Trompetentagen wirkt. Im Gegenteil, sie passt gut, vielleicht auch gerade wegen ihres anachronistischen Charmes und ihrer Seltenheit. Weiter fallen die Stimmzugstützen im Endres-Design auf: Sie sehen aus wie hydraulische Druckzylinder, die gerade ausgefahren werden – der eine schon ein bisschen weiter als der andere. Die Mundstückzwinge ist massiv, von ihr prangt tief eingraviert der Name des Herstellers. Das wirklich Extraordinäre ist aber die sogar sichtbare Frontlastigkeit.

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Die Maschine sitzt nicht nur näher beim Mundstück, sie ist auf Mundrohr-Seite auch doppelt gestützt – ebenfalls außergewöhnlich.

Verglichen mit dem TrumpetScout-Hauptarbeitsgerät befinden sich bei der Endres 6L (lässt man die leicht überstehende Zwinge außen vor) circa zwei Centimeter „weniger Trompete“ (aus Spielersicht) vor der Maschine und sogar zweieinhalb Centimeter mehr Instrument dahinter. Kurz: Der Ventilblock ist – für das bloße Auge sichtbar – in Richtung Mundstück versetzt worden. Das sieht (für den TrumpetScout-Geschmack) sehr gut aus und erinnert an Calicchios Kreationen, die Ergonomie leidet jedoch unter dem daraus resultierenden stärken Ungleichgewicht. Die Trompete zieht vorn nach unten, die linke Hand muss das ständig unter Krafteinsatz verhindern und ermüdet dabei spürbar. Für’s lange technische Spielen ist das nicht optimal.

Endres 6L: Die Schöne ist kein Biest.

Das Gesamtgewicht ist ohnehin mit gemessenen 1.136 Gramm nicht niedrig. Dafür verantwortlich könnte – neben der soliden Armierung mit Neusilber-Außenzügen – auch der nicht nur wegen seiner Gravur exotische Becher sein. Sein Konus: weit. Sein Material: Sterling-Silber. Letzteres ist nicht gerade populär – möglicherweise, weil es auch nicht billig ist, besteht es doch zu über 90% aus Silber und zu einem geringen Anteil aus anderen Metallen, gerne Kupfer. Noch erstaunlicher ist unter diesem Aspekt der eingangs erwähnte Preis. Schwer, also besonders dickwandig, fühlt sich das Trichtermaterial jedoch nicht an. (Die höhere Dichte könnte das Instrument aber trotzdem in eine höhere Gewichtsklasse bugsieren.) Seine Schwingungseigenschaften scheinen aber anders als die von Messing, Kupfer oder Goldmessing, also den gängigeren Materialien, soweit sich das durch den Subjektiv-Test per Fingerschnipp feststellen lässt. Obwohl die vordere Becherstütze nicht besonders weit hinten angebracht ist, vibriert und klingt diese Sterling-Glocke äußerst lange nach.



Aber wie wirkt sich das auf die Spieleigenschaften und den Sound aus? Zunächst spricht die 6L gut an (der TrumpetScout-Anfängertest war positiv: „Ein C2 kommt einfach so.“) – nicht so schwer wie ihr Gewicht vermuten lassen könnte, aber auch nicht so frei, wie manche sich das von einer Trompete mit großer Bohrung (immerhin 11,72 mm) erwarten. Sie ist deshalb nicht eng, aber man fällt auch in kein Loch – eine unerwartet gute Mischung. Der erste Test mit einem Bach 3C stellt in der Normal-Lage sehr zufrieden, die Töne sind sehr ausgewogen, oben wie unten. Ab dem G2 fehlt es dann doch deutlich an Widerstand. Möchte man im unteren Register im Stile von Chet Baker mehr hauchen als stoßen, dann will der Klang aus dem Kopf nicht richtig den Weg durch die Trompete finden – es klingt eher strahlend als samtig oder gar rauchig. Mit dem flachen Mundstück macht sich ein ähnlicher Effekt bemerkbar: Könnte man beim zurückhaltenden und tiefen Spiel mangelnde Formbarkeit attestieren, ist im oberen Register und bei lautem Spiel so etwas wie eine Ausbruch-Sperre miteingebaut. Das Sterling-Silber verhindert ohrenscheinlich die Entstehung toxischer Frequenzen (die manche Spieler natürlich auch gerne haben), hält den Ton in Zaum und verdunkelt ihn. Als Bläser selbst klingt das, als würde man das Feuer, das eine Latin-Trompete erzeugt, hinter Asbest verstecken, die tonlichen Ecken abschleifen, mit einem Spezialdämpfer spielen, der gewisse grelle Sounds herausfiltert. Das ist per se nicht schlecht, es ist nur anders. Die 6L ist eben keine Furie, sondern ein Goliath.

Die 6L steht für den Weidinger-Leadsound. Man muss sie nur spielen können.

Tobias Weidinger, der Mann hinter diesem speziellen Materialkonzept, präferiert diese Sound-Interpretation der Leadtrompete. Er klingt bekanntlich unheimlich fett und niemals schrill. Um auf diese Weise an der ersten Stimme überleben zu können, muss man ein starker Spieler sein. Der Becher trägt den Ton sehr gut (bereits frühere Tests mit Sterling-Bechern in kleinen Probekammern haben die Ohren heftig massiert), will aber in Schwingung versetzt und befeuert werden. Andere Spielertypen mit weniger Jericho-Genen setzen gerade auf gewisse giftige Tonanteile, um sich auf diese Weise Gehör zu verschaffen und in der Big Band durchzusetzen. Hier prallen Philosophien aufeinander: Laser-Strahl gegen Bazooka, Skalpell gegen Hammer.

Power required: Large Bore, wide bell flare, einiges an Gewicht, viele Stützen und obendrein ein Becher aus Sterling-Silber. Dieses Konstrukt muss unter Einsatz in Schwingung versetzt werden.
Power required: Large Bore, wide bell flare, einiges an Gewicht, viele Stützen und obendrein ein Becher aus Sterling-Silber. Dieses Horn muss in Schwingung versetzt werden.

Verglichen mit einer Trompete mit Messing konnten folgende Unterschiede im Hörer-Blindtest festgestellt werden: Beim samtigen Spiel erlaubt Messing mehr Subtones, während das Sterling-Silber ein wenig verschnupft auf diese Spielweise reagiert. Es limitiert hier die Absicht des Bläsers und auch die Lautstärke lässt sich nicht so weit dimmen. In der Normal-Range bei mittlerer Lautstärke klingt die Endres 6L vollmundig, strahlend, geradezu wie ein Alphorn, laut deutlich weniger schnarrend als die Vergleichstrompete, vielmehr diszipliniert: Der Ton wird gut zusammengehalten. Mit einem flachen Mundstück wechselt die Führung beim Schärfe-Rennen, die Endres 6L wird ein wenig schriller, strahlt noch stärker und bekommt mehr Fanfaren-Charakter. Im ganz hohen Register macht sich die Korsetteigenschaft des Materials aber wieder bemerkbar: Das Messing-Horn wird extrem hell, das Sterling-Instrument bleibt dunkel (der weite Becherkonus könnte das noch verstärken) und solide.

Die Endres 6L ist ein Spezialwerkzeug, keine One-fits-all-Trompete.

Die Slotting-Eigenschaften gehen in die gleiche Richtung. Die Töne finden sich und bleiben eingerastet, trotz des runden Stimmzugbogens. Möglicherweise haben die zwei Stützen (statt gewöhnlich nur einer) zwischen Mundrohr und Maschine hier einen Einfluss. Die massige Mundstückaufnahme und die beiden Streben beim Stimmzug tragen sicher auch einen Teil dazu bei. Lediglich beim E2 gab es einen Kampf zwischen der Absicht, den Ton im Zentrum anzuspielen und dem, in tune zu sein. Kritikpunkt beim Testinstrument war außerdem das erste Ventil. Es gab zwar nie einen wirklichen Hänger, aber bei wirbelnden Fingern wurde je nach Griffwinkel ein Gefühl von Unsicherheit vermittelt. Bei einem Hersteller wie Christoph Endres ist so etwas eher als Test-Schönheitsfehler zu sehen. Obendrein hatte selbst der Spitzenreiter im TrumpetScout-Ranking in der ersten Woche das Kolbenfresser-Symptom, was weitaus schlimmer war. Ansonsten ist die Maschine aber in der ersten Liga zuhause.

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NIcht Schwarz auf Weiß, sondern Punkt auf Matt: Christoph Endres aus Nürnberg hat diese 6L gemacht, die sich durch einen Sterling-Silber-Becher auszeichnet.

Abschließend muss man zur 6L zwei Dinge sagen: Sie ist erstens kein Allround-Horn, mit man alle Sparten des Spiels, vor allem nicht das sogenannte „legit playing“, abdecken kann. Dafür ist sie zu streng und ihr Material bzw. Konzept zu wenig kompromissbereit. Zweitens: Ab und zu findet sich eine 6L auf dem Gebrauchtmarkt. Aber eher nicht, weil sie dem momentanem Besitzer vom Klang her nicht lebendig genug ist (statt Sizzle bietet sie wie gesagt einen ultrasatten, massiven Ton), sondern vermutlich weil ihm der körpereigene Kompressor oder das passende Mundstück fehlt, um dieses Horn auf Dauer mit schneller Luft zu versorgen. Abwenden muss man sich von Endres aber aus keinem dieser beiden Gründe und auch nicht von Tobias Weidingers Namen auf einer Trompete. Er hat mit dem Nürnberger Meister ein neues Modell ersonnen, das für die gemäßigtere Spielarbeit hervorragend funktionieren soll und sich an der legendären Martin Commitee orientiert. Sicher nicht besser als die 6L, nur anders eben.

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What is she offering?,“Dark, rock solid sound“

Your new girl friend?,“Wenn du auf Heavy Metal stehst.“ 7/10

Preis?,2.900 Euro. Nicht viel Geld für das Nürnberger Frollein.
Dauerbeziehung?,“Muss überlegt sein! Guter Atem vorausgesetzt!
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