Wenn die Lichter ausgehen – die Geschichte eines Umfallers

Die Geschichten von Trompetern, die beim Spielen das Bewusstsein verlieren, sind keineswegs neu. Gerade die Arbeit an der Lead-Stimme in einer Big Band ist physisch fordernd und forderte deshalb schon einige Opfer. Doch Hörensagen ist das eine, tatsächlich einen Blackout erleben das andere. Der TrumpetScout kann jetzt mitreden.

Der TrumpetScout hatte in der Jugend lange Jahre einen Lehrer, der sehr begabt war, was das Spiel im oberen Register anbelangte. Er konnte aber auch sehr gut Geschichten erzählen, so z.B. die von seinem Großvater, einem Kavallerie-Trompeter im 19. Jahrhundert, dem im Sattel mit der Trompete an den Lippen eine Ader platzte und der daraufhin tot vom Pferd fiel. Aber auch die Lead-Trompeter der großen amerikanischen Big Bands hätten unter der Anstrengung des ausdauernd hohen und teilweise lauten Spiels zu leiden gehabt (die Tiefen des Internets geben tatsächlich Hinweise dazu) und über Kopfschmerzen geklagt bzw. Sternchen gesehen.

Für einen kleinen Buben waren das die Storys, die dem Musizieren den Testosteron-Anstrich des Gefährlichen gaben und verdeutlichten: Das ist nichts für jeden. Von direkter Betroffenheit konnte man aber nicht sprechen, wenngleich natürlich die „Im-Kopf-Astronomie“, also das Trugbild der Sternchen prinzipiell für jeden herzustellen ist – für Anfänger oder Falsch-Macher noch viel leichter als für Könner. Dazu muss man sich einfach nur verausgaben und somit die Blutzufuhr zum Hirn buchstäblich abpressen – und schon fühlt man sich wie der Millenium Falcon vor dem Sprung durch die Lichtmauer. Erstrebenswert war und ist dieser Zustand aber nicht. Der Körper sagt einem klar, dass etwas nicht stimmt.

Die Chronik eines Knie- und anschließenden Um- bzw. Rückfalls

Vergangenen Samstag spielte der TrumpetScout ein Big Band-Konzert und bekam dabei teilweise die erste Stimme vorgelegt. In den Proben funktionierte alles zur Zufriedenheit, dann kam der Abend der Aufführung mit seinem üblichen Besonderheiten: ein anderer Raum, andere Akustik, andere (wärmere) Kleidung, höhere Temperaturen, andere Luft und eine stehende letzte Reihe, da keine Podeste vorhanden waren. Business as usual könnte man sagen. Dann kam es zum vorletzten Stück des offiziellen Programms, das zum Schluss einen sehr hohen Ton verlangte.

Plötzlich wachte ich auf. Und zwar wie aus einem angenehmen Traum, der aber jäh endete, da ich alsbald realisierte, dass ich nicht in meinem Bett am Morgen nach dem Konzert aufwachte, sondern ausgestreckt auf dem Bühnenboden lag. Rechts und links steckten sich die Gesichter der Kollegen in mein Gesichtsfeld, dass kurz noch von einer Aura umkränzt war, wie sie anscheinend manche Migränepatienten während ihrer Anfälle sehen. Wasser stand auf dem Boden in Lachen, Wasser wurde mir zum Trinken angereicht und ich hörte den Moderator, wie er nach vorne eilte und eine kurze Pause ankündigte.


Der TrumpetScout ist nicht der einzige, der das nach einem Schlusston Gleichgewicht nicht mehr halten konnte. Im Nachhinein wirkt es lustig, aber nur im Nachhinein.


Was war passiert? Anscheinend hielt ich den Ton bis zum buchstäblichen Abwinken, woran ich mich schon nicht mehr erinnerte, und verabschiedete mich dann nach hinten. Mir schwante, dass das die Stelle gewesen war, in der ich bei den Proben seit langer Zeit zum ersten Mal wieder ein paar Sternchen sah. Und jetzt kamen die üblichen Mehrbelastungen hinzu. Laut der Kollegen lag ich mehrere Sekunden am Boden und zuckte sogar zwei Mal wie ein Epileptiker. Da bekommt man es durchaus mit der Angst zu tun.

Nach dem ersten Abfall des Adrenalinpegels bemerkte ich überdies Schmerzen am rechten Knie und Knöchel. Das hochgeschobene Hosenbein offenbarte tatsächlich ein blutendes Knie. Später zuhause ohne Socken wurde auch der aufgeschürfte Knöchel sichtbar. Das war zunächst unerklärlich. Erst eine Augenzeugin konnte den Ablauf am nächsten Tag erhellen, denn die Kollegen rechts und links sahen nicht, was vor sich ging und der Rest der Band sowieso nicht, er saß ja davor: Ich sackte zuerst auf die Knie, als wäre das Notenpult ein Altar und ich ein gläubiger Katholik im Moment einer Marienerscheinung, wobei ich mich wahrscheinlich an einem Bein des Notenständers verletzte. Dann ging es weiter nach hinten, wo ein – zum Glück gut gepolsterter – Stuhl stand. Dort schlug ich anscheinend mit dem Hinterkopf auf, was mir nicht nur die nächsten Minuten und Stunden, sondern gar die nächsten Tage ein dumpfes Gefühl im Schädel verschaffte. Ich erlitt wohl eine leichte Gehirnerschütterung.

Gründe für den Blackout: Lag es am Stehen?

Ich gab Entwarnung und wir setzten das Konzert fort – ich blieb dabei aber sitzen. Es folgten mit den letzten drei Nummern zugleich die für mich anstrengendsten: Gordon Goodwins „Jazz Police“, Michel Camilos „One More Once“ (dank vieler Unisono-Passagen aber nur an zwei Stellen wegen extremer Höhe wirklich fordernd) und als letzte Zugabe „Birdland“ in der Maynard Ferguson-Version.

Interessanterweise fühlte ich mich bei diesen Nummern am sichersten. Das mag an der Möglichkeit des Versteckens hinter den Posaunen liegen, aber ich bin mir sicher, auch an der Energie, die man sparen kann, wenn man seinen Körper nicht auf den Beinen halten muss. Obendrein – und das ist eine persönliche Ansicht – kann der Körperknick durch die abgewinkelten Oberschenkel und die natürliche Kompression des Unterbauchs infolgedessen genutzt werden, um den nötigen Luftdruck ohne Aufwand aufzubauen.

Ich weiß, die Meinungen gehen hier weit auseinander und viele predigen das Stehen beim Spielen wie beim Üben. Ich sehe das weniger dogmatisch – ich komme im Sitzen definitiv besser zurecht. Interessant ist, dass wir Trompeter vor dem Konzert noch über dieses Thema sprachen und wir uns mehr wegen fehlender Podeste zum Stehen genötigt sahen, wenngleich manche Kollegen tatsächlich das Stehen bevorzugen. Mein Körper hat in dieser Causa ein klares Votum abgegeben. Künftig bleibe ich sitzen, wann immer es möglich ist.

Die medizinischen Hintergründe für eine Ohnmacht beim Trompete spielen

Nach dem Narrativ dieses außergewöhnlichen Konzerts in der Ich-Form wird es nun wieder etwas nüchterner – auch sprachlich. Was führt physiologisch betrachtet zu einem solchen Schwindelanfall bzw. zu einer kompletten Ohnmacht? Der TrumpetScout ist kein Arzt und konnte hierzu auch keinen befragen (falls sich welche unter den Lesern befinden, mögen diese bitte den Sachverhalt kommentieren), hat jedoch Angaben zum Thema im Internet recherchiert und die für ihn nachvollziehbarste Erklärung – nach Ausschluss von Krankheiten, dem Einfluss von Drogen etc. – herausgesucht: eine Übertreibung des Vasalva-Manövers.

Wir Trompeter brauchen für den Druckaufbau nicht die Nase zuhalten. Das erledigt das Gaumensegel für uns. Foto: Wikipedia

Dabei komprimiert man Kraft seiner Atemmuskulatur die Luft, entweder in dem man Mund und Nase geschlossen hält oder nur eine kleine Öffnung für den Luftaustritt nutzt. Diese Engstelle ist die Lippenöffnung oder der aufgestellte Zungenrücken beim Blasen der Trompete. Bei höhen Tönen ist der Widerstand größer als bei tiefen, weshalb in der Tiefe keiner kollabiert.

Zur Erklärung, was dabei im Körper passiert, wird aus dem DocCheck Flexikon zitiert:

„Durch den Rückstau der Exspirationsluft in die unteren Atemwege steigt der intrathorakale Druck mit der Folge eines verminderten venösen Rückstroms ins rechte Herz. Das Schlagvolumen der rechten Herzkammer wird geringer. Durch den erhöhten Druck im gesamten Thorax geben jedoch die Lungenvenen mehr Blut in die linke Herzkammer, wodurch dort so lange ein erhöhtes Schlagvolumen abgegeben wird, bis der „Vorrat“ in den Lungenvenen verbraucht ist. Der hierdurch bedingte Blutdruckabfall wird durch den Pressorezeptorenreflex kompensiert. Löst man die Situation nicht auf, kann ein Kollaps entstehen.“

Kommt man bei einem Blackout an die Grenze des Körpers oder an die Grenze seiner Technik?

Wer bei Youtube „trumpet player passes out“ eingibt, findet einige Clips von umfallenden Kollegen, darunter wohl auch Profis. Glaubt man Forumseinträgen wurden auch schon High Note-Heroen wie Stan Mark oder Bill Chase Opfer von Ohnmachtsanfällen. Gibt es also eine natürliche Grenze des Körpers, die von der Tagesform, den äußeren Bedingungen (Hitze, Hydrierung) oder der grundsätzlich individuellen Konstitution abhängt und nicht überschritten werden kann?

Spielern wie Bryan Davis dürfte auch im Stehen nichts passieren, so gut ist ihre Technik. Auf der anderen Seit soll Aneel Soomary es ebenfalls bevorzugen, im Sitzen zu spielen.

Der TrumpetScout hatte das Gefühl, dass er bei diesem H3 nicht offen und entspannt war, wie man es für einen solchen sein muss, damit er auch gut klingt. Wenn hier also irgendwo etwas zu sehr verkrampft, man aber dennoch mit aller „Bauchkraft“ dagegen drückt, begünstigt das natürlich einen Blackout erheblich. Wer also technisch besser aufgestellt ist und sich damit automatisch leichter tut in der Höhe, wird das Risiko des Bewusstseinsverlust dementsprechend verringern. Ein Stuhl hätte im persönlichen Fall den Ton vielleicht nicht besser gemacht, aber zumindest verhindert, dass die Beine wegsacken können.

Ach ja, und was auch nicht unerwähnt bleiben soll: Die (an diesem Abend verwendeten Test-)Trompete ist rein gar nichts passiert. Sie lag in Ihrem Silberkleid so unschuldig und teilnahmslos neben dem wiedererwachten TrumpetScout als seien umgefallene Trompeter so gewöhnlich wie Sterne in einer klaren Nacht.