Wer ist ChickenTiko? Das Alter Ego Louis Dowdeswell packt aus.

Sein Youtube-Pseudonym lautet ChickenTiko. Seine Videos haben trotz schlechtester Aufnahmequalität in der gesamten Trompetengemeinde in der Breite und auch Spitze für Aufmerksamkeit erregt. Auch seine Karriere ist dadurch ins Rollen gekommen. TrumpetScout sprach mit dem jungen Briten Louis Dowdeswell nicht nur über die sinnvolle Nutzung der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester.

Ein lächelnder Louis Dowdeswell. Das ist bezeichnend. Foto: Martin Williams.
Ein lächelnder Louis Dowdeswell. Das ist bezeichnend. Foto: Martin Williams.

Louis Dowdeswell ist 21 Jahre alt und schon ein Bilderbuch-Leadtrompeter. Das ist eine Seltenheit. Es macht den Eindruck, als brauche es eine gewisse Erfahrung für diese Aufgabe. Menschlich, stilistisch und nicht zuletzt auch technisch, also spielerisch. Der Körper muss für das kraftvolle Führungsspiel in der oberen Region akklimatisiert werden. Ein Prozess, der – das können viele aus eigener Erfahrung bestätigen – langsam geht, vielleicht sogar Jahrzehnte dauert. Louis Dowdeswell spielt insgesamt erst seit 12 Jahren Trompete, mit neun hat er angefangen.

„An meiner Spielweise ist nichts besonders.“

Auf die Frage, ob er sich selbst als eine Art Wunderkind ansehe, antwortet er rational: „An meiner Spielweise ist nichts besonders. Es ist eher so, dass ich schon früh die Formel geknackt habe, die mir hilft.“ Es gebe eben die eine und einzige Formel, sondern eine für jeden unterschiedliche, die zum Erfolg führt. Ob der Weg über eine besondere Mundstückpositionierung, Atmung oder etwas anderes führt, sei egal. Das Resultat ist entscheidend. Drum hat er sich einfach viele Leadtrompeter angehört und wollte einfach wie diese klingen. Die Verbindung von Ohr, Klangvorstellung und dem Apparat, der die Töne erzeugt (also Lippen, Zunge etc.) ist für den Musikstudenten eine natürliche. Dieses Zielhören sei sehr wichtig. Dass er obendrein früh die für ihn perfekte Spieltechnik herausgefunden, hat ihm sicherlich einen gewaltigen Vorsprung gegenüber Gleichaltrigen verschafft. Hören alleine macht aber natürlich noch keinen Super-Trompeter, extensives Üben gehört auch dazu. Auch bei Louis Dowdeswell.

Von der Big Phat Band infiziert

Das Umfeld dazu war perfekt. Louis Dowdeswell stammt aus einer Musikerfamilie, die Mutter ist gar Musiklehrerin, beide Schwestern studieren wie er Musik in London. Besucht hat er Musikschulen, die klassische Trompetentradition, vor allem mit Kirchenmusik, hochhielten. Da die Mutter die Big Band ihrer Musikschule leitete, kam der junge Louis mit dieser anderen Facette des Trompetensounds in Berührung. Die Offenbarung war für ihn im Alter von zwölf Jahren Aufnahmen von Gordon Goodwins Big Phat Band mit dem phänomenalen Wayne Bergeron an der ersten Stimme. Er habe dann „verzweifelt“ versucht, dieses Repertoire nachzuspielen. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass Musiker zu sein seine einzig wahre Bestimmung ist.

Alias ChickenTiko: Wie Youtube das Leben von Louis Dowdeswell veränderte

Netzwerken ist für eine erfolgreiche Karriere als Musiker mindestens genau so wichtig wie gut spielen zu können. Louis Dowdeswell hatte zum Zeitpunkt, als er sein erstes Video im Alter von 17 Jahren veröffentlichte, jedoch noch wenig konkrete Absichten in Bezug auf das Vorantreiben seiner Karriere. Dafür benutzte er aber das größte Netzwerk schlechthin, das Internet, indem er auf Youtube postete. Zwischen Weihnachten und Neujahr war ihm ein wenig langweilig und so hat er sich mit dem Handy aufgenommen – eigentlich nur als effektive Übeunterstützung: die Selbstaufnahme ist ja in der Regel gnadenlos ehrlich. Der Titel: „Oh holy night“. Ein Take ist ihm besonders gut gelungen, drum hat er es hochgeladen. Die Reaktionen waren trotz miserabler Aufnahmequalität (dem Schalldruck einer Trompete im oberen Register hält das Mikrophon im Smartphone logischerweise nicht stand) positiv und so hat er „Gonny fly now“ nachgeschoben. Es folgten vor allem Wayne Bergeron-Feature-Titel und eines Tages flatterte eine Nachricht von eben jenem Mann ein, der gewissermaßen Auslöser für Begeisterung und Übeeifer war! Die Studiogröße von der amerikanischen Westküste wollte das Nachwuchstalent aus der alten Welt unterstützen und schickte ihm Notenmaterial – bis dato hatte ChickenTiko (die Namensfindung lässt sich mittlerweile nicht mehr nachvollziehen) nämlich nur nach Gehör nachgespielt!



Zu einem denkwürdigen Treffen mit seinem Idol und mittlerweile Mentor kam es für Louis Dowdeswell auf heimischem Boden. Bei einer Veranstaltung eines englischen Instrumentenhändlers spielte der junge Mann als hochkarätiger Lückenfüller einige Maynard Ferguson-Nummern zum Playback, als er plötzlich gebeten wurde „Oh holy night“ zum Besten zu geben. Vor laufender Kamera. Kameramann war Wayne Bergeron. Um dem Ganzen das i-Tüpfelchen zu verpassen, riskierte es der Damals-noch-Teenager, auf Bergerons Trompete zu spielen. Nach eigenem Bekunden war es nervlich ein anstrengender Tag, angemerken kann man ihm das nicht. Diese scheinbare Kaltschnäuzigkeit hat Louis Dowdeswell viel Respekt eingebracht.

Top-Down-Embouchure: Louis Dowdeswells Ansatz-Strategie

Die gute Beziehung zu Wayne Bergeron hat der Brite auch in der Folge genutzt, um sein Spiel weiter zu verbessern. Höhe ist für ihn zwar kein Problem, jedoch der Wechsel vom tiefen ins hohe Register bereitete ihm Sorgen. Um an einem Abend als vierter Trompeter gegen Ende des Gigs den Leadplayer zu entlasten, braucht es eine gewisse Variabilität, aber auch sonst ist die Beherrschung des fließenden Übergangs zwischen den Lagen von Vorteil. Um auch in der Höhe einen fetten Klang zu haben empfehlen Lehrer wie Maggio, den Ansatz von unten her aufzusetzen, also die weite Lippenöffnung der Kellerlage für das obere Register zu übernehmen. Dem natürlichen Hochtonbläser hat das nicht gut getan, er fürchtete um seinen Sicherheit in der Höhe. Während mehrere Wochen in den USA bei Wayne Bergeron kamen beide auf die Idee, das System umzudrehen, also das untere Limit des Scream-Ansatzes nach unten zu erweitern. Heute geht der Wechsel zwischen Lagen nach eigenem Bekunden merklich besser vonstatten.

Goldene Trompete und blauer Anzug. Passt gut zusammen. Foto: Louis Dowdeswell privat.
Goldene Trompete und blauer Anzug. Passt gut zusammen. Foto: Louis Dowdeswell privat.

Bach-Endorsement & Bergeron-Mundstück

Der Einfluss des Vorbilds aus Los Angeles hat sich scheinbar auch im Equipment des Protégés niedergeschlagen. Zumindest scheint es, als wäre in den früheren Youtube-Videos das Bergeron-Modell von Yamaha, die 8335LA, zum Einsatz gekommen. Sein Mundstück ist das WB-Signature Modell von Gary Radtke, genannt GR Bergeron Studio. Seltener wird das Bergeron Classic benutzt. Möglicherweise sind die Spieltechniken der beiden Spitzentrompeter einfach sehr ähnlich. Optisch ließe sich das nicht zwingend widerlegen. Die aktuelle Trompete ist dank Endorsement, das wie alles beim britischen Wunderkind sehr früh kam, eine vergoldete Bach Stradivarius 43 mit leichtgewichtigem Goldmessingschallstück (in Bachsprache eine 43G*). Die 43er scheint die 37er in puncto Beliebtheit abgelöst zu haben, bildet sie doch einen guten Kompromiss in Spielbarkeit und Sound zwischen der sehr kernigen 37 und vielleicht zu breiten 72. Dowdeswell persönlich empfiehlt jedem, das kleinstmögliche Arbeitsgerät zu benutzen. „Ein großes Horn gibt dir keinen großen Sound.“ Die Effizienz sei bei kleinen Instrumenten schlicht besser. „Ich denke, die meisten spielen auf Mundstücken und Trompeten, die zu groß sind.“

National Youth Jazz Orchestra, Studium und…

Die Internetpräsenz hat nicht nur zum Kontakt nach Übersee geführt, auch die heimischen Trompeter und Bandleader wurden auf den potenziellen Derek Watkins-Nachfolger aufmerksam. Er wurde Mitglied des National Youth Jazz Orchestra (NYJO), quasi dem britischen BuJazzO, und wurde bereits mit 18 zum ersten Trompeter befördert. Diese Promotion habe ihm immens geholfen was die Verbesserung der Ausdauer, Genauigkeit, Stilsicherheit und auch Lesefähigkeiten. Von der Schwierigkeit und Güte dieses Orchesters kann man sich per Youtube-Videos eines ganzen und großangelegten BBC-Konzerts überzeugen, bei dem Louis Dowdeswell nicht nur als perfekter Leader glänzt, sondern auch als Solist in bester Cat Anderson-Manier. Auch hier hat er wieder bewiesen, wie gut er mit Druck umgehen kann. Eine derart große Bühne mit einem derart fordernden Programm in derart verantwortungsvoller Position unter dem Druck einer landesweiten Fernsehausstrahlung wäre sicher auch vielen älteren Kollegen eine nervliche Belastung jenseits der Grenzen der Belastbarkeit. Nach dem Opener mit der Scream-Solo-Einlage ging aber anscheinend alles wie von selbst. Die 12 Stunden zwischen Soundcheck und Showbeginn wurden angeblich hauptsächlich mit Essen und (viel) Trinken überbrückt…

TrumpetScout_Louis Dowdeswell alias ChickenTiko_Syd Lawrence
Nicht nur Leadstimme, auch einmal auf dem Solo-Stuhl Platz genommen: Louis Dowdeswell und die Trumpet Section der xfactor-Big Band. Foto: Louis Dowdeswell privat.

Heute studiert Louis Dowdeswell an der Royal Academy of Music on Marylebone road in London. Lehrer ist unter anderen Simon Gardner, buchstäblich ein Schlüsselspieler in der britischen Trompetenszene. Immer noch hört er sich viel Leadplaying an, aktuell sehr viel von Conrad Gozzo. Auch fokussiert er sich nun auf das solistische Jazz-Spiel, was er lange Zeit vermied, um seine Upper Register-Fähigkeiten nicht zu gefährden. Aktuell kann er hier proaktiv lernen, spielt er doch die zweite Stimme im renommierten Syd Lawrence Orchestra. Um technische Feinheiten nicht verkümmern zu lassen, widmet sich der Allrounder nun auch wieder mehr der Klassik. Vor allem das Piccolo-Spiel wird augenblicklich verstärkt praktiziert.

…viele Gigs mit großen Namen

Die Verlässlichkeit, Stärke und wahrscheinlich auch die sympathische Art des jungen Mannes haben dazu geführt, dass er neben dem Studium bereits für einige Studiogigs gebucht wurde und auch mit sehr großen Namen wie Al Jarreau spielen konnte. Auch beim jüngst veranstalteten Tribute-Konzert zu Ehren von Clark Terry durfte er unter den Diadochen der 2013 verstorbenen britischen Trompetenlegende Derek Watkins nicht fehlen und spielte unter anderem neben Chuck Findley in der Super C-Big Band.

TrumpetScout_Louis Dowdeswell alias ChickenTiko_with Al Jareau
Scream Machine und Scatman nebeneinander: Al Jarreau und Louis Dowdeswell backstage. Foto: Louis Dowdeswell privat.

Augenblicklich ist Louis Dowdeswell sehr beschäftigt. Vor allem, weil er selbst Big Band-Aufnahmen angezettelt hat. Lange gab es von ihm kein neues Video mehr. Im Juni soll es soweit sein, eine professionell aufgenommene Nummer erwartet dann die ChickenTiko-Fans. Ansonsten stehen die Zeichen auf Vorwärts. Ein netter Typ mit besten Anlagen und den besten Lehrern. Was kann da noch schief gehen?