Endlich am Ende? Über Vizzutti und Miyashiro nun zum Bobby Shew Lead Mundstück

Manchmal ist es Liebe auf den ersten Blick. Manchmal aber erst auf den zweiten oder gar dritten. So ging es dem TrumpetScout mit einem altbekannten Mundstück und er ist nun nach einigen Jahren sowie einem kurzen Wechselspiel mit zwei Signature-Geschwistern von Yamaha bei einem Bobby Shew Lead gelandet.

Der letzte Blog-Artikel berichtete über die Trennung vom klassischen Lead-Mundstück während der Corona-Zeit und den Weg zurück ins Reich der flachen Eisen mit Ende letzten Jahres. Beim Wiedereinstieg half ein Yamaha Allen Vizzutti, darauf folgte ein Yamaha Eric Miyashiro 1 Mk. 2. Doch kam eine weitere Alternative von Yamaha aufs Tapet, die im Grunde eine alte Streitaxt ist: das Bobby Shew Modell Lead.

Außen dröge, innen auf zack – das Bobby Shew Lead von Yamaha.

Das wurde vor 5 Jahren bereits ausgiebig getestet und beeindruckte durch enorme Lautstärke und Durchsetzungsfähigkeit. Einzig fühlte es sich damals zu groß (gemeint ist im Durchmesser) an, um die nötige Sicherheit in den höchsten Höhen zu vermitteln. Aber das war eben damals. Heute ist der Körper ein anderer und durch die lange Phase mit größeren Mundstücken änderte sich vielleicht auch einfach die Gewohnheit.

Die Unterschiede zwischen Bobby Shew Lead und Eric Miyashiro 1

Schnell standen von zwei TrumpetScout-Lesern zwei BS Lead-Mundstücke zur Verfügung und konnten ausgiebig mit dem EM1 verglichen werden.

Sofort fiel auf: Das Shew Lead nahm mehr Luft auf und war viel lauter. Beides deckte sich mit der Erfahrung fünf Jahre zuvor. Aber warum ist das eigentlich so? Der Durchmesser des Shew ist mit 16,54 mm deutlich größer als der des EM1, bei dem Yamaha 16,02 mm angibt. Damit können die Lippen tendenziell freier schwingen. Dafür ist die Bohrung (auch Seele genannt) kleiner: 3,56 mm stehen 3,65 mm gegenüber. Ob das für einen Stau sorgt oder für einen Beschleunigungsstreifen? Unklar.

Die weiteren Unterschiede:

  • Yamaha gibt bei der Kesseltiefe des EM1 ‚flach‘ an, beim Shew Lead gar ’sehr flach‘.
  • Außerdem differieren die Ränder (wenngleich die verbale Beschreibung mit ’semi-round‘ bei beiden gleich ausfällt): Das Miyashiro wirkt deutlich flacher und breiter, was man auch an einem größeren Außendurchmesser sieht. Das Shew Lead wartet mit einem klassisch ‚bachigen‘ Rand auf.
  • Die Backbore ist beim EM1 ’sehr eng‘, beim Shew Lead hingegen nur ‚eng‘. Auch das beeinflusst den Luftstrom.
  • Das Shew ist mit 100 Gramm um 4 Gramm schwerer als das EM1.

Ein Blick ins Innere der Mundstücke

Doch beschäftigen wir uns nicht nur mit den abstrakten Eckdaten, sondern werfen wir buchstäblich einen Blick in das Innere der Mundstücke. An dieser Stelle sei Georg Selders gedankt, der in seiner ‚Glücksschmiede‘ nicht nur Instrumente tieftemperaturbehandelt sowie Trompeten tunt, sondern auch Mundstücke optimiert bzw. herstellt. Viele seiner durchaus prominenten Kunden kommen mit Mundstücken von der Stange zu ihm, die Selders dann individualisieren soll. Modelle aus dem Yamaha-Regal sind dabei keine Seltenheit. Viele davon hat er deshalb schon gescannt und analysiert, um sie dann individuell nach Kundenwunsch optimieren zu können. Die beiden hier besprochenen Modelle befanden sich bereits in seiner Datenbank, ihre digitalen Abbilder mussten allerdings für einen brauchbaren Vergleich aufwendig in Form gebracht werden.

 

Wo sind die Unterschiede? Die rote Kontur zeigt den Querschnitt durch den Kopf eines Bobby Shew Lead, die blaue den Querschnitt eines Eric Miyashiro Mundstücks.

 

Die Querschnittdarstellung oben macht zwei Dinge ganz deutlich:

  1. Das BS Lead hat eine schärferen Innenrand, d.h. der Übergang von Rand zu Kessel ist steiler gestaltet, woraus der nominell deutlich weitere Innendurchmesser resultieren kann, obwohl man den gar nicht so deutlich spürt. Die Frage lautet nämlich immer auch: Wo misst man?
  2. Der Kessel des BS Lead flacht schneller ab, weist also einen höheren Beta-Winkel auf. Der deutliche Abstand am Kesselboden signalisiert einen deutlich voluminöseren Kessel beim EM1.

Im Hinterkopf Sebastian Höglauers Worte

All die oben genannten Angaben, Messergebnisse sowie der Querschnittsvergleich sind für einen theoretischen Vergleich interessant. Daraus direkte Schlüsse in Bezug auf die Tauglichkeit für einen bestimmten Spielertypen abzuleiten, ist jedoch nicht möglich. Wären alle Parameter gleich, ließe sich die Veränderung im Spielverhalten durch die Änderung eines Wertes wahrscheinlich prognostizieren. Gebündelt ergibt sich jedoch ein völlig anderes Mundstück, das subjektiv bewertet werden möchte.

Zum Testen gehört auch das Testhören.

Und genau hier kam dem TrumpetScout ein Satz von Sebastian Höglauer in den Sinn. Dem hat er nämlich damals von der Erfahrung mit der extremen Lautstärke erzählt und jenem gelernten Instrumentenmacher die Frage gestellt, woran das liegen könne. Höglauers Antwort: „Das Mundstück funktioniert nicht einfach sehr gut – es funktioniert für dich sehr gut!“ Es ist also die Kombination aus Mundstück und Spieler, die darüber entscheidet, ob der Ton eben 15% lauter ist oder ein G3 leichter zu erzeugen ist oder schwerer. Und beim TrumpetScout funktioniert heute, Stand 2023, das Bobby Shew Lead extrem gut und besser als ein Vizzutti und ein Miyashiro. Einem anderen Spieler kann es aber ganz anders ergehen – auch wenn das Shew Lead den Ruf eines Schreihalses genießt, sofern man mit extrem flachen Kesseln zurecht kommt.

So klingt und spielt sich das Bobby Shew Lead

Trotz engerer Bohrung und flacherem Kessel spielte sich für den TrumpetScout (noch einmal: das ist bei Mundstücken höchst subjektiv) das Bobby Shew Lead freier als das EM1. Die Luft schien besser wegzugehen, der Widerstand war geringer. Trotzdem funktionierte die Höhe deutlich besser. Bei ‚Spezialmundstücken‘ aus der Vergangenheit wurde oft eine extreme Kompromissbereitschaft eingefordert. Diese boten zwar Effizienz und Sicherheit in der höchsten Lage, fühlten sich jedoch für den Normalbereich zu klein an. So als habe man einen Sportwagen, dessen Abstimmung ausschließlich für den Rundkurs und hohe Geschwindigkeiten gemacht ist, der aber auf der öffentlichen Straße mehr springt als fährt. Das Shew Lead ist da anders. Der TrumpetScout fühlt sich damit eigentlich überall sehr wohl.

Dennoch: Beim Sound gibt es wenig Bandbreite. Das Bobby Shew Lead macht seinem Name alle Ehre. Es ist laut (und Falle dieses Spielers viel lauter als das EM1), wenngleich man beim Klang nicht von ‚fett‘ reden sollte. Der Ton damit ist hell, hat (auch deshalb) extreme Durchsetzungskraft sowie viel Sizzle. Schnell erdrückt (oder besser: ersticht) man damit andere im Satz. Für Anwendungen in einer Brass Section mit nur einer Trompete scheint es deshalb gar noch besser prädestiniert als in einer Big Band. Aber überall, wo im weiteren Sinne ‚commercial‘ draufgeschrieben werden kann, ist das Shew Lead ein verlässliches Werkzeug – wenn, ja, wenn es eben zu einem passt.

Ein Wort zur Geschichte des Bobby Shew Lead – vom Meister höchstselbst

Wie ist eigentlich das Mundstück entstanden, das Bobby Shew auf der ganzen Welt populär machte? Bobby selbst weiß dazu eine schöne Geschichte zu erzählen: Als er 1959 gerade mit der High School fertig war, kam er nach New York, um dort Dizzy Gillespie, Miles Davis und andere persönlich zu erleben. Bei der Gelegenheit ging er in den Laden von Giardinelli und probierte einige Mundstücke aus. Eines vom Modell 10S erlaubte es ihm, ein G3 viel leichter zu spielen als das tiefe Bach, das er bis dato benutzt hatte. Zu der Zeit war Shew noch kein echter Lead-Player und ein G3 hat ihn da merklich beeindruckt. Kurz, er musste das Mundstück haben, auch wenn die 8 Dollar (!) zu der Zeit extrem viel Geld waren. Ein Giardinelli kostete damit mehr als fünf Mal so viel wie ein Mundstück von Bach. Trotzdem benutzte Shew das Ding dann erst, als er sieben Jahre später in der Big Band von Buddy Rich an die Lead-Stimme gesetzt wurde.

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Über die Jahre, so Shew, gab es dann einige Modifikationen. So wurde der innere Rand entschärft und tatsächlich die Bohrung vergrößert – von der amerikanischen Normgröße 27 (3,66 mm) auf 26 (3,73 mm). Denn je kleiner die Zahl, desto größer die Bohrung. Hier ist eine offensichtliche Diskrepanz auszumachen, da Yamaha für das heutige Shew Lead auf seiner Webseite 3,56 mm angibt. Auf Nachfrage erklärt die Legende, das er nur einige seiner Mundstücke aufbohrte, um einen breiteren und dunkleren Ton zu erhalten – hier liegt also wohl die Ursache nicht nur für die Effizienz, sondern eben auch den Sound in Verbindung mit der Penetranz.

Trotz aggressiver Vergleichsrhetorik geht es bei den beiden Signature-Mundstücken natürlich nicht um einen echten Kampf. Hier übrigens die namensgebenden Künstler Eric Miyashiro und Bobby Shew.

Nachsatz von Mr. Shew: „Tausende Kopien wurden verkauft und ich wünschte, wenigstens ein Dollar pro Mundstück wäre bei mir gelandet.“

Wird es beim Shew Lead bleiben?

Auch wenn andere im Netz über einen zu flachen Kessel klagen, damit „keinen Ton rausbringen“ und der TrumpetScout deshalb auch gleich zwei kaum benutzte Mundstücke von Lesern erwerben konnte – ihm passt das Shew so gut, dass man sich zu einer kühnen Prognose hinreißen lassen könnte: Das Ding bleibt erst einmal. Vielleicht könnte man aber das Jazz tatsächlich noch probieren für all jene Fälle, in denen Qualitäten wie ‚extrem höhenerleichternd‘ und ‚lebensrettend effizient‘ nicht die oberste Prämisse bilden.