Gut gealtert – die Yamaha YTR-6335

Kaum eine Trompete von Yamaha wird so wenig besprochen wie das Einstiegsmodell in deren Profisegment. Dabei muss die YTR-6335 offensichtlich recht gelungen sein – schließlich gibt es das Instrument seit 1984 bis heute, und das im Grunde unverändert. Ein Blick auf dieses Horn im Schatten der Shews und Xenos rechtzeitig zum 40. Geburtstag.

Purer kann eine Perinettrompete kaum sein – die YTR-6335 von Yamaha. In diesem Fall ist sie sogar nackt.

Alle Modellreihen unter den B-Trompeten mit Perinetventilen von Yamaha – von der 2er- bis zur 9er-Serie – hat der TrumpetScout bereits unter die Lupe genommen und seine Eindrücke niedergeschrieben. Doch ein Instrument lässt sich von diesem numerischen Rundumschlag nicht wirklich erfassen: die YTR-6335, und zwar ohne Namenszusatz. Wenngleich es einen Testartikel zur YTR-6335RC gibt, handelt es sich bei dieser Trompete um eine völlig anderes Instrument, das offensichtlich von der YTR-3335 abstammt und deshalb sehr viel jünger ist sowie auch ganz anders konzipiert. Daneben wurde die ‚kleine Shew‘ alias YTR-6310Z schon in verschiedenen Artikeln erwähnt. Doch auch dieses Horn hat mit der gemeinen YTR-6335 nichts zu tun. Nun: Was macht dieses Modell aus und wo liegen die Unterschiede zu den anderen 6er Trompeten? Die Antworten gibt es in diesem Artikel.

Eine kleine Geschichte von den Anfängen der Xeno-Ära

Als Yamaha in den 60er Jahren mit der Fertigung von Trompeten begann, brauchte man jemanden, der sich damit auskannte. Dieser Jemand war Renold Schilke, seines Zeichens Trompeter, aber auch Entwickler und Hersteller seiner eigenen Trompeten, die sich vom Gros der damaligen Instrumente deutlich unterschieden. Seine Schöpfungen waren ultraleicht, kamen mit wenigen Stützen aus und verfügten durchweg über einen Stimmzug in reversed-Bauweise. Nicht verwunderlich also, dass die ersten Profimodelle von Yamaha eine unübersehbare Nähe zu diesem Konzept aufwiesen. Die Japaner setzten auf ein erfolgreiches Pferd – aber doch nicht auf das erfolgreichste. Denn den größten Namen in der Trompetenwelt hatte damals (und hat heute immer noch) das Unternehmen eines anderen Trompeters und Tüftlers: Vincent Bach. Bach-Trompeten sind prototypisch – auch wenn es mittlerweile, wie bei Schilke auch, Varianten gibt, die andere Stile imitieren – etwas massiger, haben viele Stützen und einen normalen Stimmzug. Sie gehen zurück auf die Urform der modernen Perinettrompete, die man gemeinhin in den originalen French Besson-Trompeten erstmals in ausgereifter Form vorgefunden zu haben glaubt. Yamaha gedachte deshalb, seine Modellpalette zu erweitern und den potenziellen Kundenkreis massiv zu vergrößern, indem die beiden prägenden Richtungen im Trompetenbau bis dato (mit Monette kam später nach Meinung des TrumpetScout ein ganz eigenes Konzept dazu und an die ebenfalls erfolgreichen, aber nicht minder eigenen Conn-Designs der Vergangenheit wagte man sich offensichtlich nicht) abgedeckt werden sollten. Also musste eine klassische Trompete her, die vielen gefiel und vielseitig einsetzbar war.

Made in Japan – das ist heute ein Signum der teureren Trompeten der Japaner. Die günstigeren Modelle kommen mittlerweile aus China.

So wurden 1980 erste Zeichnungen einer solchen „mittelschweren“ Trompete angefertigt, datiert Thomas Lubitz von Yamaha die Geburtsstunde. Zwei Jahre später kam exklusiv in Japan ein Custom-Modell auf den Markt, das den Modellcode der heutigen Xenos trägt, also eine YTR-8335. Davon wiederum abgeleitet kam 1984 die YTR-6335 zur Welt. Das ist im Grunde schon die ganze Geschichte. Und wenn man die Laufzeit bedenkt von heute 40 Jahren, ist das eine echte Erfolgsstory.

Der TrumpetScout und die YTR-6335

Auch wenn der TrumpetScout in seinen bisherigen Testartikeln zu Yamaha-Trompeten die YTR-6335 stiefmütterlich vernachlässigt hat, gab es in seinem Trompeterleben doch einige Berührungspunkte mit diesem Modell.

Zunächst war da die Dauerleihgabe eines Kollegen, der die YTR-6335 als Back-up-Instrument hatte und sie dem TrumpetScout zur Verfügung stellte, als dieser einmal gar keine Trompete seine eigen nennen durfte (ja, so eine Phase gab es!). Tatsächlich wurde diese Trompete dann ziemlich lange gespielt und kam natürlich auch auf der Bühne zum Einsatz, wovon dieses Foto aus 2012 zeugt:

Damals war das Test- und Wechselfieber jedoch sehr stark ausgeprägt und diese Trompete schien zu wenig Charakter zu haben, als dass man sich nach ihr verzehrt. So wurde sie irgendwann wieder zurückgegeben. Das Instrument machte nichts falsch, aber riss den TrumpetScout einfach nicht vom Hocker.

Dann folgte nicht viel später eine YTR-6335HII. Das ist kein Doppel-i am Ende, sondern eine römische 2. Gab es also doch eine Veränderung während des Modelllebens, ein Facelift? Thomas Lubitz räumt ein, dass 1997 eine Art Konsolidierung der Modellpalette stattgefunden habe, bei der die Bohrungsgröße (auch) bei der YTR-6335 geändert wurde. Von 0,46 ging es runter auf 0,459 Zoll, umgerechnet also von 11,68 auf 11,65 mm. Das ist keine riesige Veränderung, weshalb sie bei der YTR-6335 zumindest über den Namensstempel nicht markiert wurde. Die II findet sich also nur bei der H-Variante. Das H steht für ‚heavy‘ und passt gut zum Äußeren der Trompete. Die Außenzüge sind aus Neusilber, die Ventilbüchsen zweiteilig mit einem Oberteil aus Neusilber und es gibt zwei Stützen beim Stimmzug. Unverkennbar: Dieses Modell orientierte sich extrem an einer Bach Stradivarius, konkret an einer alten aus der frühen Elkhart-Zeit und war der direkte Vorläufer der YTR-8335 Xeno, wie wir sie bis heute kennen. Doch mit dieser Trompete, die Yamaha-intern wegen des Custom-Modells aus den frühen 80ern bereits der zweiten Xeno-Generation zuzurechnen ist, kam der TrumpetScout damals nicht sonderlich zurecht. Das Ding war zu störrisch, wurde kurz nach Erwerb mit einer Golfballhämmerung des gesamten Schallstücks getunt und ging dann an einen anderen Trompeterkollegen, dem der Look sehr gut gefiel.

Aus dem privaten Archiv: Diese YTR-6335H Mk. 2 ließ der TrumpetScout mit einer Hämmerung versehen.

Ja, und dann gibt es da noch eine YTR-6335, die dem TrumpetScout im Laufe der Jahre unterkam, und das als direkte Folge des Testens: Ein TS-Leser nennt nämlich eine YTR-6335JM sein eigen und ließ ihn einmal darauf blasen. Jenes Modell ist das Signature-Horn von James Morrison, bevor er von Yamaha zu Schagerl wechselte. Die Erinnerung an das kurze Anspielen ist mittlerweile verblasst, aber besonders war das Erlebnis nicht, bedürfte jedoch der Auffrischung. Was genau an diesem Horn verändert wurde, ist nicht bekannt.

Hinterhergejagt hat der TrumpetScout dafür noch einer Mike Vax-Variante, die mit dem gleichnamigen Lead-Trompeter entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um ein schweres Modell mit jedoch nur einer Stütze beim Stimmzug und – so wird es kolportiert – einem leichteren Schallstück. Im Grunde also einer Lightweight-Stradivarius nicht unähnlich. Doch dieses Horn fand nie den Weg in die eigenen Hände.

Heute, zwölf Jahre nach Verkauf des Heavy-Modells, ist wieder eine YTR-6335 heimisch geworden, und das in der Standardausführung. Also in Reinform und sogar entlackt. Das hilft dabei, zu analysieren, was diese Trompete eigentlich ausmacht.

Wie reinstes Wasser: der Aufbau der YTR-6335

Ohne den bei Yamaha gern verwendeten Goldlack fällt sofort auf, dass der Becher aus Gelbmessing gefertigt ist. Bis auf das Mundrohr aus Goldmessing zieht sich diese Materialwahl durch. Nur der Daumensattel, der Fingerring am dritten Zug (bei beiden ist die Platte darunter jedoch auch aus Messing) und der Fingerhaken auf dem Mundrohr sowie die beiden Wasserklappen sind aus Neusilber. Natürlich bilden auch die Kolben bzw. Drücker der Ventile eine Ausnahme.

Schnörkellos und reduziert – so ist die YTR-6335 konstruiert.

Interessant ist die Bauart des Bechers. Yamaha spricht von einer „one-piece bell“, jedoch sieht man keine Längsnaht. Aus Blattzuschnitt dürfte sie also nicht gemacht, sondern eher aus einem Rohr gezogen sein. Daneben fällt die beinahe schon ikonische Form der Mundstückaufnahme auf, die Yamaha seit Jahrzehnten nur seinen höherpreisigen Trompeten spendiert (wenngleich es hier zuletzt im Top-Segment vereinzelt Ausnahmen gab). Im ersten Ventilzug gibt es keine Stütze, im dritten nur eine, ebenso eine im Stimmzug. Das obere Rohrende des dritten Zuges ist gekröpft, genauso gestaltet sind die beiden Rohrteile, in die der Stimmzug geschoben wird. Das bringt ein Gefühl der Wertigkeit, bricht aber auch mit der fast bis zur Perfektion getriebenen Reduktion und Reinheit: Bei dieser Trompete hat man das Gefühl, es wurde einfach alles weggelassen, was man nicht unbedingt braucht. Nicht um Kosten zu sparen, sondern aufgrund einer Geisteshaltung. Purifikation als Credo. Wie Danish Design in der Möbelwelt. Schnörkellos, auf das absolut Wesentliche abgespeckt. Okay, die Strebe im Stimmzug hätte man noch glatter gestalten können…

Das Testexemplar dürfte noch eine etwas größere Bohrung haben.

Nun zu den Messergebnissen. Die Messung der Mensur mit einer Schieblehre (20stel als feinste Unterscheidung) ergab Innenmaße bei den Zügen um die 11,70 mm. Das spricht – wir erinnern uns an die Worte Thomas Lubitz‘ – für ein Instrument von vor 1997, jenem Jahr, in dem man die Bohrung etwas verkleinerte. Beim Gewicht doch eine kleine Überraschung: Die Waage zeigt nur 1.000 Gramm an. Nur. Eine mittelschwere Trompete dürfte schon etwas mehr Ausschlag produzieren. Für den TrumpetScout ist die YTR-6335 damit schon in der Leichtgewichtsklasse, bei rund 960 Gramm sind es die ultraleichten Hörner, gewissermaßen die Fliegengewichte. Die Orientierung in Richtung Bach stimmt damit noch immer tendenziell. Jedoch rücken die ähnlichen, aber leichteren Trompeten von Benge oder Calicchio auch in den Vorbildfokus.

So spielt sich die YTR-6335

Auch bei den Spieleigenschaften reflektiert sich der Zugang der Architekten dieser Trompete, die wohl immer das rechte Maß im Auge hatten. Das Instrument spricht gut an, geht aber nicht von alleine. Es ist weder extrem offen, noch eng. Es schreit nicht, ist aber auch nicht dumpf oder zu dunkel. Es kann kernig, hat aber auch Sizzle. Die Trompete vermag sich durchzusetzen, aber auch ganz wunderbar einzufügen. Diese Flexibilität ist wohl die primäre Eigenschaft der YTR-6335. Ihr – finden wir einen Konsens mit Yamaha – minimales Mittelgewicht trägt wohl maßgeblich dazu bei. Man kann mit ihr ohne Weiteres in einem Bläserensemble mitmischen oder gar in einem Orchester blasen. Der TrumpetScout spielte zuletzt ein Big Band-Konzert mit der schlanken Japanerin und erhielt danach sogar von einem Saxofonisten ein Lob ob des Klangs. Es gibt sicher Trompeten, die in der Höhe noch besser rasten und einem aufgrund von mehr Widerstand das Leben in der Top Range erleichtern. Aber ob die den Rest so gut beherrschen? Außerdem intoniert die YTR-6335 hervorragend und auch die Ventile sind ein Traum.

Die YTR-6335 und ihre nächsten Verwandten

Im Goldlack- und erst recht im Silberkleid sehen sich drei Trompeten der YTR-6335 zum Verwechseln ähnlich: 1. die YTR-5335G, 2. die YTR-6345 und ja, sogar 3. die YTR-8335LA. Letztere dürfte wirklich nur optisch sehr eng verwandt sein, doch die anderen beiden auch in puncto Aufbau. Die YTR-5335G setzt statt eines einteiligen auf einen zweiteiligen Becher, und der ist dann noch aus Goldmessing gemacht, auch – so Thomas Lubitz – um eine stärkere Differenzierung zu schaffen. Der TrumpetScout als Fan zweiteiliger Schallstücke träumt hier schon von einem Umbau einer 5er auf den zweiteiligen Messingbecher einer YTR-2330 oder YTR-3335! Bleibt noch die YTR-6345G, die – wie bei den 8er Xenos – die größere Bohrung in die Konstruktionsgleichung bringt. Auch hier setzt Yamaha seit 1997 standardmäßig auf Goldmessing. Jedoch bringt die Large Bore (0,462 Zoll = 11,73 mm) auch einen anderen Becherschnitt mit sich, um die Intonationseigenschaften nicht zu kompromittieren. Deshalb unterscheiden sich auch die Xeno-Modelle YTR-8335 sowie YTR-8345 voneinander. (Das wusste der TrumpetScout bis zur Recherche dieses Artikels nicht.) Genaueres zur Becherform gibt Yamaha aber nicht preis.

Die Mundstückaufnahme ist typisch für die meisten Profigeräte bei Yamaha.

Eine solche YTR-6345G konnte der TrumpetScout just auch ergattern und ebenfalls probespielen. Die Ansprache ist noch besser als bei der YTR-6335 und die Waage zeigt sogar nur 990 Gramm an. Alles weitere dazu gibt es im eigenen Testartikel zu diesem Modell.

YTR-6335: ein Fazit zur neuen alten Trompete

Eigentlich testet der TrumpetScout ja keine neuen bzw. aktuellen Modelle mehr. Nun ist die YTR-6335 noch neu zu bekommen (mittlerweile bezahlt man dafür um die 2.000 Euro). Aber sie ist doch auch irgendwie schon ein Horn mit Geschichte. Nach 40 Jahren darf man ihr ruhig das H-Kennzeichen verleihen. Spielerisch ist sie aber auf jeden Fall auf der Höhe der Zeit und eine empfehlenswerte Trompete für quasi jeden, der ein universelles Gerät mit wenig Gewicht sucht. Bei aktuell haarsträubenden Gebrauchtpreisen für die YTR-5335G (angeboten werden diese oft um 1.000 Euro, obwohl die Eigentümer sie vor Jahren noch für nur 800 Euro neu erwarben), kann man ruhig gleich ein Fach höher ins Regal greifen – sofern man eine YTR-6335 überhaupt gebraucht findet. Das Angebot ist mau. Entweder weil diese Trompete nach dem Aufkommen der Xenos bei den Händlern in Vergessenheit geriet und potenziellen Käufern gar nicht erst vor Augen geführt wurde oder durch seine periphere Existenz zwischen Schülermodellen und Top-of-the-line in der Versenkung verschwand. Oder weil Besitzer einer solchen Trompete so dermaßen damit zufrieden sind, dass sie sie nicht mehr hergeben wollen.

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Für den TrumpetScout markieren Gebrauchtpreise von 1.000 Euro für ein gut erhaltenes Modell ohne Zinkfraß wie das eigene dennoch das persönliche Ende der Fahnenstange. Die 2.000 Euro für ein ladenfrisches Horn sind aber auch okay. Man bekommt dafür viel Einsatzspektrum (teilweise sogar den Doppelkoffer) und Gefälligkeit bei der Bedienung. Nur auf viel Schnörkel muss man verzichten können.