Ein Vierteljahrhundert Trompeter: eine Bestandsaufnahme

Der TrumpetScout ist kein Jungspund mehr, was sein Instrument anbelangt. Ein Vierteljahrhundert klingt schon nach historischen Zeitdimensionen. Ein guter Augenblick, um zurückzublicken und die eigene Entwicklung revue passieren zu lassen: 25 Jahre wilde Ehe oder Silberhochzeit? Ein Geständnis aus der Ich-Perspektive!

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Wird man die (Trompeten-)Sterne je erreichen? Es lohnt sich zumindest, den Weg dorthin einzuschlagen.

Streng genommen ist es nun schon fast 27 Jahre her, als ich die erste eigene Trompete bekam und mit ihr Unterricht an diesem Instrument. Sechs Jahre war ich alt und zwar fasziniert von dieser Fanfare mit drei Ventilen, aber überhaupt nicht gewillt zu üben. Der Tag vor der Trompetenstunde war der obligatorische und einzige Übetag. Typische Kindereinsätze wie der Vortrag vor Verwandten oder bei irgendwelchen Jubiläen verursachte natürlich nur Unwohlsein und nicht das Hochgefühl, das man empfinden sollte, wenn man jemandem mit Musik eine Freude bereiten kann. Von der Seite sah ich aus wie eine Eins: Vom Körper stand im 45°-Winkel (wer kennt das nicht?) die Trompete ab. Das ging ungefähr drei Jahre so, bis ich die Möglichkeit bekam, bei einem für die Höhe extrem talentierten Trompeter Unterricht zu nehmen. Rückblickend war dieser Mann pädagogisch und inhaltlich keine Koryphäe, aber seine eigene, ganz natürliche Fähigkeit als Spieler dafür unglaublich faszinierend und deshalb extrem motivierend.

Klassiker werden: eine Zeit mit Scheuklappen

Bei ihm blieb ich sieben Jahre Schüler und entwickelte irgendwo zwischen Zehn und Zwölf die fixe Idee, Profimusiker zu werden. Wie durch den Ausbildungswerdegang des Lehrers vorgelebt aber im Bereich der Klassik. Ich übte über Jahre hinweg drei Stunden täglich wie nach der Stechuhr, entzog mich mitten in der Pubertät meinen Freunden, da sich der Erfolg einzig durch Fleiß sicher herbeizuführen schien. Der „Rekord“ lag irgendwo bei sieben Stunden. Arban, Bindeübungen, klassische Literatur. Das war Akkordarbeit ohne Akkorde. Ich hörte kaum Musik, und falls doch, dann ergötzte ich mich nur an technischer Raffinesse, an Makellosigkeit oder – hohen Tönen wie denen von Maynard Ferguson. Es war eine Scheuklappenzeit. Zur Verteidigung kann man sagen: Das Internet war wie ich noch sehr jung und Youtube noch lange nicht geboren. Wem glaubt man da? Natürlich Walter Scholz, der auf einer Fernsehbühne dem jungen Stefan Mross erklärt, er übe täglich sieben Stunden.

Mit 17 in die Freiheit entlassen: Der Knoten platzt

Mit 17 dann wurde ich aus der Welt des Lehrers entlassen und begann, in die echte, freie Welt der Musik einzutauchen. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, dass der Job des Musikers mit all seinen speziellen Anforderungen wie Stressresistenz oder Coolness gar nicht meinem Naturell entspricht. Beinahe von heute auf morgen wurde der Plan, Profi zu werden, zu den Akten gelegt. Das wirkte wie ein Befreiungsschlag. Endlich platzte ein Knoten, was dazu führte, dass ich vieles von dem, was ich bislang nicht meistern konnte, plötzlich beherrschte. Zwar merkte ich auch, dass nach und nach Fertigkeiten wie der Zungenstoß darunter litten, nicht täglich exerziert zu werden, aber die Leistung als Musiker – nicht als Techniker! – wurde spürbar größer.

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Man kann auch mit der Trompete alleine Spaß haben… besser ist Musik aber zusammen mit anderen!

Sechs Jahre nur allein im lauten Kämmerlein

Durch das Trauma Blaskapelle – nichts gegen diese Besetzung, lediglich das habituelle Nichtüben und die tolerierte Stagnation damals im Verein machten mich wütend – blieb ich nach dem Abitur bis auf sporadische Einsätze jeder Gruppe fern. Big Bands gab es kaum auf dem Land, kleinere boten eben keine regelmäßige Spiel- und Probemöglichkeit. Ganze sechs Jahre spielte ich nur für mich – mehr und mehr ohne Noten. Einem kurzen Einspielen folgte das Improvisieren zu Musik: Pop, Hip Hop, Rock etc. Unbemerkt begann sich ein Gefühl für Musik und Harmonie zu entwickeln. Natürlich hilft es dabei, über ein Stück zu spielen, das sich hauptsächlich in E-Dur bewegt, wenn man alle Tonarten gut beherrscht. Denn dann passiert auch die Fis-Dur (für B-Trompete) ganz von alleine. Arban und Konsorten waren also nicht für die Katz. Nur jetzt begann ich, die Grundlagen sinnvoll zu nutzen, Technik mit Musik zu verbinden.

Neue und alte Probleme: Ausdauer und Nervosität

Als ich mit Mitte Zwanzig wieder in einer Big Band zu spielen begann, merkte ich, dass ich das Notenlesen nicht verlernt hatte, schließlich war es auch stets eine meiner Stärken. Es war aber auch nicht zu übersehen, dass alles, was ich über Swing zu wissen glaubte, eigentlich nichts war. Das Biotop Big Band barg fast ausschließlich dunkle Flecken auf meiner Landkarte im Kopf. Phrasing und Time rückten in den Vordergrund. Zu neuen Problemen gesellten sich allerdings auch alte: Zwar konnte ich mit dem oberen Register seit dem Befreiungsmoment mit 17 recht gut umgehen, aber die Ausdauer blieb stets ein Problem – eines das vielleicht auch vom Kopf herrührte. Denn Nervosität und Auftrittsangst bzw. die Verkrampfung durch den unbedingten Wunsch, auf der Bühne die absolut beste Seite zeigen zu wollen, führen bekanntlich gerade dazu, dass man genau das nicht schafft.

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Unangestrengt hat es schon fast immer ausgesehen, angestrengt hat es aber dennoch.

Effizient üben heißt multidimensional üben

Neben der damals zeitintensiven und körperlich auslaugenden Tätigkeit war mein Übepensum auf ein persönliches Minimum reduziert. Jeden Tag (ich betone: jeden Tag) spielte ich eine halbe Stunde, versucht dabei aber, mich so gut wie möglich auszupowern. Als ich knapp zwei Jahre später Bryan Davis traf, erklärte er mir, dass gerade darin ein großer Irrtum liege: Nur weil man wenig Zeit hat, darf man sich nicht sinnlos versuchen kaputtzumachen. Man muss die Zeit zwar effizient nutzen, aber eben auf smarte Art und Weise, indem man Übungen benutzt, die mehrere Aspekte des Trompetspielens simultan behandeln, z.B. Kopf, Finger und Ansatz. Nach dem Umzug in eine neue, große Stadt war das Angebot, Teil von Bands zu werden aber so groß, dass ich streckenweise vier bis fünf Proben pro Woche besuchte und dazu an Wochenenden spielte. Das machte teilweise großen Spaß und half auch dem studentischen Konto, aber das Üben kam definitiv zu kurz. Dafür bot sich die Möglichkeit, mehr über Phrasing und Timing von guten Musikern und Bandleadern zu lernen.

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Vor einer Band und Publikum zu improvisieren, ist nicht so leicht, wenn man in einer Blaskapelle mit Noten großgeworden ist. Hilft der musikalischen Entwicklung aber enorm.

Endlich wieder Zeit vorwärts zu kommen

Nach fünf Jahren Großstadt zog ich wieder aufs Land, musste dadurch gezwungenermaßen manche Engagements beenden, andere kürzen, konnte dennoch den Anschluss behalten und neue Kontakte knüpfen. Der Vorteil der Lebensumstellung: The time to practise has come (back). Dieses Mal aber nach 20 Jahren Erfahrungsplus auf klügere Art und Weise. Die Arbeit am TrumpetScout-Magazin hat dazu maßgeblich beigetragen. Aus der Vielzahl an geposteten Youtube-Videos, in denen absolute Top-Profis ihr Wissen weitergeben, aber natürlich auch aus den selbstgeführten Interviews und der Beschäftigung mit dem darin Gesagten, destillierten sich gemeinsame Nenner heraus, die universelle Gültigkeit haben, wenngleich sie manchmal offen formuliert sind wie Weissagungen eines Orakels. Heute sind – auch deshalb – trompeterische Probleme in den Hintergrund gerückt wie nie zuvor (natürlich aber immer noch da). Andere sind geblieben („Wie zur Hölle spielt man in time??“), neue Herausforderungen („Was bedeuten diese Akkordsymbole? Was ist mixolydisch?“) stellen sich einem.

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Eine Form, aber keine Noten: für den TrumpetScout die Königsklasse des Musizierens und weitere Herausforderung.

10 TrumpetScout-Tipps für ein zufriedeneres Trompeterleben

Ich versuche hier, für mich wichtige Erkenntnisse – der Pädagogik halber – in imperativischer Form zu kondensieren:

1. Hab Freude an Musik!

2. Höre auch die Musik, die du spielen willst!

3. Hänge keiner fixen Idee nach (Geschwindigkeit, Höhe, Lautstärke o.ä.)!

4. Achte darauf, einen schönen Ton zu haben und übe deshalb auch so, als wäre Publikum dabei!

5. Mach viele Pausen!

6. Übe lieber zu leise als zu laut!

7. Setzte deinen Kopf ein und nähere dich schwierigen Stellen auch einmal ohne Instrument!

8. Lege ab und zu die Noten weg – und schalte beim Spielen auch das Licht aus: nur du, die Trompete und die Musik.

9. Es gibt nicht den einen Weg, den einen Ansatz, die eine Technik, die eine Methode, den einen Lehrer, das eine Equipment. Der Mensch ist individuell, in der Folge die erforderliche Strategie, um zu dem einen Ziel zu gelangen. Hör also zu, was andere zu sagen haben, sei experimentierfreudig, aber glaube nicht alles!

10. Doch: Spiele wenn möglich täglich!

Den letzten Punkt konnte ich mir nicht verkneifen. Ich selbst spiele seit irgendwann im zwölften Lebensjahr täglich, egal ob im Urlaub mit der Taschentrompete, dem Dämpfer oder nur mit Mundstück. Bis lang zwang mich nur eine Mandeloperation zur totalen Abstinenz. Was auch als fixe Idee begann, sehe ich heute sehr positiv: Mein Körper hat sich an die Trompete gewöhnt, wir sind ein gutes Team und kämpfen nicht mehr gegeneinander, nur noch gemeinsam gegen eklige Stellen! Mittlerweile sehe ich dieses „Always!“-Dogma nicht mehr so eng, aber ich spiele trotzdem täglich, da mir ansonsten etwas fehlen würde. Es gibt gerade unter den Spitzenleuten einige, die im Sommerurlaub gänzlich die Hände und Lippen vom Blech lassen. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass diese Spieler die Abläufe über Jahrzehnte so verinnerlicht haben, dass ihre Körper nicht mehr so schnell vergessen, was sie zu tun und wie sie zu funktionieren haben. Wenn man einmal weiß, wie’s geht, verlernt man’s nicht mehr. Bei wem dieser Punkt aber noch nicht erreicht ist, dem rate ich davon ab. Es muss keine große Dosis sein, aber die tägliche Verabreichung hilft ungemein.

Die Trompete selbst: notwendig, aber überschätzt

Zum Schluss noch ein paar Worte zum Thema Hardware. Die Trompete ist in der Kette aus Spieler, Mundstück und eben Verstärker (nichts anderes ist die Trompete) überschätzt, sie macht meines Erachtens maximal 10% der Eigenheit aus, und das auch nur bei einem Könner. Den Klang bestimmen zu 90% der Spieler und sein Mundstück – so meine persönliche Erfahrung und das Ergebnis einer Odyssee. Wer gerne viel ausprobiert, hat bei den Trompeten ein riesiges Betätigungsfeld, denn keine ist wie die andere. Aber dem Instrument sollte man nur in einem Punkt wirklich die Schuld an einem musikalischen Missstand geben, und das ist bei der Stimmung. Es gibt Hörner, gegen deren Intonationsmakel man machtlos ist. Alles andere (also Sound-Unterschiede), das muss man sich eingestehen, hört zumindest das Publikum nicht. Ja, Trompeten auszuprobieren macht Spaß und hat seine volle Berechtigung, aber wenn man besser werden will, investiert man die Zeit lieber ins Hören und Machen von Musik.

Lieber kleiner: Das Mundstück ist der wichtigere Teil des Equipments

Das Mundstück hat einen extremen Einfluss auf den Klang, die Lautstärke, die Ausdauer und auch auf die nutzbare Range. Dennoch sollten gerade Spieler, die gern im oberen Register spielen wollen, nicht jedes Vierteljahr probieren, ob sie mit einem noch kleineren Kessel noch einen Halbton mehr herausquetschen können. Es gibt vielleicht körperliche Veränderungen, die es sinnvoll machen, sich von Zeit zu Zeit nach einem neuen Mundstück umzusehen. Zwingend ist das aber nicht. Mein aktuelles Mundstück spiele ich seit fünf Jahren, das davor hielt noch länger, war aber enorm kraftraubend; bei dem davor hatte ich als dummer kleiner Junge mit einem Holzschleifgerät (!!!) selbst den Rand abgeflacht – dass ich mir an den entstandenen Kanten keine Verletzungen zugezogen habe, grenzt an ein Wunder. Prinzipiell ist es nicht schlecht, mit einem Mundstück die ganze Range bespielen zu können und überall passabel zu klingen. Es bildet dann eben einen Kompromiss. Mit Jens Lindemann und natürlich der ganzen Riege von Effizienzhelden wie Roger Ingram und Andy Haderer bin ich der Meinung, dass ein kleineres Mundstück für jeden bessere Dienste tut, da es klanglich vielseitiger ist und weniger Kraft benötigt. Man muss damit nur umgehen lernen.

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Das älteste Bild der hier angeführten, aufgenommen während der WM 2006. Das Trikot sollte bald wieder tragfähig werden.

Ich hoffe, der eine oder die andere kann aus meinen Erfahrungen eine Lehre ziehen, vielleicht erkennt sich auch die eine oder der andere wieder und sagt sich: „Ich weiß genau, was er meint.“ Das Studium der Trompete und mehr noch der Musik ist ein lebenslanges – und ein freies. Kein Bachelor- oder Masterplan hilft einem dabei.