Die Trompeten-Welt redet so gerne von den Lippen, wenn es um die Tonerzeugung geht. Oder von der Atmung bzw. der Stütze. Und natürlich funktioniert ein System nur durch das Zusammenspiel aller seiner Komponenten. Aber der Teil, der am meisten leistet, wird oft am wenigsten gewürdigt: die Zunge.
Eine gewagte These, die Zunge als wichtigsten Teil auszuzeichnen, oder? Wie bereits gesagt, auf nichts kann man verzichten. Aber mit wenig Luft kann man genauso einen Ton erzeugen, wie mit einem seitlich aufgesetzten Mundstück oder einem dicken Pickel auf der Lippe. Doch mit blessierter oder tauber Zunge tut sich nicht viel. Hinzu kommt, dass ihr mindestens eine Doppelfunktion zukommt. Sie beginnt, trennt und endet Töne, aber sie sorgt auch für die richtige Tonhöhe. Der TrumpetScout stellt in diesem Artikel die Fähigkeiten und Besonderheiten dieses besonderen Muskels vor.
Was die Zunge beim Trompetespielen leistet
Wer schon einmal Zunge gegessen (Wenn schon Fleisch, warum sollte man einen der meistbewegten Muskeln des tierischen Körpers denn verschmähen?) oder auch nur beim Metzger angeschaut hat , weiß, was für ein Kraftpaket das ist. Wer sich beim eigenen Redeschwall oder der Silbensalve eines Rappers vorstellt, welche Gymnastik sich gerade dort in der Mundhöhle abspielt, dem wird gewahr, was für einen Dauerläufer und Akrobat man da zwischen seinen Kiefern haben. Zum Glück ist dieses Ungeheuer angeleint! Doch schauen wir uns an, wie man das beim Spielen der Trompete bzw. anderer Kesselinstrumente nutzen und vielleicht künftig noch besser nutzen kann.
1. Der (einfache) Anstoß
Man muss einen Ton nicht über einen Zungenstoß beginnen. Es reicht ein Luftstoß. Wir benutzen alle gerne die Idee „mit H anstoßen“, um diesen Umstand besser begreifen. Besser hört sich aber in der Regel ein mit Zunge angestoßener Ton an, abgesehen davon lässt sich der Luftstrom mit der Zunge kontrollierter und zügiger unterbrechen, wodurch eine rasche Abfolge von getrennten Tönen erst möglich wird. Zur Umsetzung wird eine ähnliche Bewegung durchgeführt, die wir alle vom Sprechen kennen: beim Produzieren eines T- oder eines K-Lautes. Beide Laute gehören zur Familie der Plosive, also der Verschlusslaute. Das sagt schon alles: Luft wird dabei durch Verschluss erst angestaut und dann schlagartig entlassen. Beim T-Stoß schnellt die Zunge nach vorne und riegelt den Luftkanal zwischen den Zähnen (dental) ab, beim K-Stoß bäumt sie sich auf und blockiert ihn weiter hinten, und zwar am Gaumen (palatal). Ein einzelner Anstoß gelingt in der Regel recht gut. Aber auch hier macht die Dosis das Gift bzw. bringt die Ermüdung. Viele Ts oder Ks sind wie schnelle Faustschläge, die man selbst abfeuert – nach einer halben Minute ist man schon kaputt.
2. Der doppelte Zungenstoß
Der mehrmalige Wechsel von T auf K wird als Doppelschlag oder Doppelzunge bezeichnet. Damit kann man schneller stoßen, was nur verständlich ist: Beim einfachen Zungenstoß muss die Zunge sich nach dem Verschluss wieder von der Extremposition wegbewegen, ist also schon automatisch auf dem Weg zur Position für die jeweils andere Blockademethode. Das gilt wechselseitig für T und K. Nur Ts verlangen viel mehr Richtungswechsel und damit Bremsen und Beschleunigen als Ts und Ks im Wechsel und vice versa. Allerdings besteht ein klanglicher Unterschied zwischen T- und K-Anstoß. Im Ultrahochgeschwindigkeitsbereich fällt der aber nicht auf. Auf einem Ton und in der Mittellage haben wenige Probleme mit der Anwendung der Doppelzungentechnik. Bei Bewegung und größeren Intervallen sieht die Welt aber schon ganz anders aus. Auch in der Tiefe und in der Höhe machen sich Problem mit dem Doppelschlag bemerkbar. Das kann mit einer anderen wichtigen Funktion der Zunge zu tun haben: der Höhensteuerung. Dazu mehr unter Punkt 5.
3. Der dreifache Zungenstoß
Ternäre Rhythmusfiguren sind unser täglich Brot. Geht es schnell zur Sache, kann man deshalb auf die sogenannte Triolenzunge zurückgreifen: eine Kombination aus T- und K-Zungenschlägen. Rechnerisch gibt es dabei sechs Varianten, gebräuchlich sind aber eigentlich nur TTK und TKT. Es ist logisch, dass man dadurch einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber dem einfachen Zungenstoß hat, aber einen Nachteil gegenüber dem doppelten. Als binäre Kombination wird jeder Weg genutzt, in der ternären Variante gibt es immer noch eine Sequenz von zwei einfachen Stößen hintereinander (zumindest bei mehr als einer Triolenfigur: tkt tkt tkt etc.). Diese Technik ist deshalb auch ermüdender als die reine Doppelzunge. Das merkt man als Ungeübter besonders gut: beispielsweise bereits nach einer halben Seite durchgehender Triolenzunge, wie sie bei einer Variation innerhalb eines Bravourstücks nicht selten vorkommt. Im Anschluss kann es sein, dass man echte Artikulationsschwierigkeiten verspürt, weil die Zunge lahmt – wohlgemerkt beim Sprechen!
4. Der Abstoß (Verschluss)
Man kann Töne nicht nur anstoßen, sondern auch „abstoßen“, vielleicht besser: abschließen. Gerade im Jazz und der Popularmusik ist das besonders wichtig. Der Spruch „Was profis von Laien unterscheidet, ist nicht der Tonanfang, sondern das Tonende“ hat definitiv Gültigkeit. Wichtig ist im Ensemble eben nicht nur das gemeinsame Beginnen eines Tones, sondern das Abschließen. Hilfsmittel für solche „tank stops“ oder „caps“ ist wieder die Zunge – nicht das ungenaue Aushauchen! Sie schnellt dabei in Blockade-Position (eigentlich nur dental) und unterbricht dabei schlagartig und somit kontrolliert den Luftfluss. Das hört man: Taaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa-t. Das ist nicht schwierig, man muss es nur wissen – und umsetzen.
5. Die Zunge als Höhenruder
Über Techniken zur Veränderung der Tonhöhe können Trompeter ja ewig und leidenschaftlich diskutieren. Als der TrumpetScout als kleiner Junge in den Unterricht ging, war das Weltbild im Umfeld dahingehend gefestigt, dass Tonhöhe einzig von der Lippenspannung herrühre und der Muskulatur, die sie erzeugt. Höhe und Ausdauer waren also Folgen einzig des Krafttrainings der unteren Gesichtsmuskulatur. Nicht umsonst gibt es ja (auch heute noch) Lippenhanteln. Heute sind sich mehr Menschen des Umstands bewusst, dass die Zungenstellung, exakter noch: der Zungenstand maßgeblich die Tonhöhe beeinflusst. Das Video unten legt nahe, dasss es sich hierbei nicht um eine Annahme handelt, sondern um eine Tatsache.
Zwar handelt es sich bei diesem Video im Magnetresonanztomographen um eine Aufzeichnung bei einer Hornistin, das macht spielt aber keine Rolle. Ab Minute 1:46 beginnt sie durch die Register nach oben zu spielen und man sieht klar und deutlich, wie die Zunge sich beugt und den Luftkanal verengt. Ab Minute 7:14 wechselt die Perspektive auf frontal. Die „Düse“ aus Lippen und Zunge verengt sich durch Anheben des Zungenrückens. Möglicherweise ist es deshalb für die Spieler, die Zunge in hohem Maße als Höhenruder nutzen, schwieriger, im oberen Register sauber zu stoßen. Die Doppelbelastung überfordert. In extremer Höhe kommen aber auch die Top-Profis – nur naturgemäß – an ihre Grenzen.
6. Der Lippentriller oder auch Shake
Zwei Begriffe in der Überschrift, die eigentlich nicht das beschreiben, was gemeint ist – das bleibt hoffentlich eine Singularität auf diesen Seiten. Der Lippentriller ist nämlich kein Triller mit den Lippen, sondern geht von schnellen Zungenbewegungen aus, die die Tonhöhe variieren lassen (siehe Punkt 5). Die Bezeichnung stammt sicher aus einer Zeit, als man noch fest glaubte, die Lippenspannung verändere einzig die Tonhöhe. In der Klassik wird er wie ein Tremolo eingesetzt, um in Terzen zu trillern. Man muss dabei extrem schnell zwischen Naturtönen oszillieren. Im Jazz wird dieser „lip trill“ ebenfalls gerne verwendet, jedoch oft in höherer Lage, in der naturgemäß die Tonabstände näher aneinanderrücken (können). Gerne wird dabei von einem „Shake“ gesprochen, auch wenn das originäre Schütteln koexistiert (die Trompete wird dabei wirklich zittrig bewegt und der Ton dabei verwackelt) und etwas anderes bezeichnet. Mittlerweile werden die beiden Techniken aber als Spielarten eines Effektes verstanden. Was mit Lippentriller gemeint ist, wird jedoch auch durch schnelle Bewegung der Zunge bewirkt.
7. Die Flatterzunge
Der TrumpetScout ist kein Spezialist für die Flatterzunge. Er ist dabei immer gerne auf eine Verengung der Stimmbänder und das Flattern des Zäpfchens ausgewichen (oder was auch immer sich im hinteren Rachenraum befindet…). Das hängt mit der Unfähigkeit zusammen, ein sogenanntes Zungenschlag-R oder auch rollendes R zu produzieren, wie es die Sprecher einer romanischen Sprache oder die Schweden und natürlich noch viele andere seit der Muttermilch benutzen. Dieses Vorderzungen-R stellt dieselben Anforderungen an die Zunge wie das moderne „growling„. Die Zungenspitze flattert dabei im Luftstrom und realisiert somit ein schönes Krächzen. Man kann aber auch das lernen, wenn man es nicht sowieso schon kann. Der TrumpetScout arbeitet noch daran…
Die Zungenfertigkeit verbessern – aber wie?
Die Zunge ist ein Muskel, der für uns Trompeter ausdauernd, schnell und flexibel sein muss. Bei der Einen ist er das von Natur aus (wie es von Natur aus starke Sprinter, starke Geräteturner und begabte Langstreckler gibt), beim Anderen nicht. Aber das Gute ist: Dieser Muskel ist gut trainierbar. Zu vielen Themen gibt es gute und leichte Übungen (z.B. zum Lippentriller), andere benötigen eine findigere Herangehensweise, weil man sich bewusst an etwas annähert, das unbewusst geschieht und bei dem man gegen jahrzehntelange Konditionierung ankämpfen muss (z.B. die Flatterzunge). Auf jeden Fall muss man diesen Muskel einsetzen, um Fortschritte zu erzielen – sei es beim Staccato oder beim Binden.
Auch „fachfremde“ Übungen als Bereicherung des Übealltags sind mehr als angebracht. Die Zungenstoßetüde ist nicht nur für den Marschmusiker oder Klassiker, genauso für den Jazzer. Er wird spüren, wie anstrengend das Dauertrommeln ist und setzt somit neue Reize. Ebenso ist der Shake sinnvoll für den Blasmusiker – auch wenn er ihn in der Polka nicht einsetzen will. Wichtig ist nur eine langsame Herangehensweise. „Sauber vor schnell“ ist zwar keine Spaßdevise, aber zielführend für langfristigen Übeerfolg.