Tausendsassa & Multiinstrumentalist: Youtube-Kid Christian Grässlin

Kaum ein Trompeter in Deutschland ist so jung, so gut und – dabei so präsent. Der Badenser Christian Grässlin ist mit seinen 21 Jahren bereits den meisten Kollegen ein Begriff. TrumpetScout wollte herausfinden, was sich hinter dem Youtube-Phänomen verbirgt: Wer strahlt uns da aus unzähligen Postings entgegen und was macht sie aus, die “Methode Grässlin”?

Direkt ans Hirn angeschlossen. Christian Grässlin ist sicher trompetenverrückt.
Direkt ans Hirn angeschlossen. Christian Grässlin ist sicher trompetenverrückt. Foto: Christian Grässlin privat.

Christian Grässlin ist ein positiver Typ. Das ist ein sichtbarer Teil seines Erfolges. In keinem Video verzerrt er angestrengt das Gesicht, hat Freude beim Spielen. Auf jedem Facebook-Foto – ob alleine oder mit “Spiel-Kameraden” – grinst er in die Kamera. Das war wohl schon immer so. Außerdem hat sein direktes Umfeld schon früh gemerkt, dass hier einer sehr begabt ist, nicht nur im Umgang mit dem Instrument, sondern ganz allgemein: musikalisch begabt. Mit sieben Jahren begann Grässlin (Jahrgang 1993), Trompete zu spielen und wollte stets dazulernen, bekam nie genug. Früh reifte der Wunsch, Profi zu werden, die Richtung stand alsbald felsenfest: Klassik. So wurde er dann auch Mtglied in verschiedenen Jugendsinfonieorchestern, spielte ausschließlich auf dem Drehventilinstrument, belegte Meisterkurse und begann als 15jähriger sich neben dem Besuch des Gymnasiums als Jungstudent bei Anthony Plog in Freiburg unterrichten zu lassen.

Ein halbes Jahr vor dem Abitur die Schule schmeißen. Das spricht für Hingabe und Überzeugung.

Die Musik schien keine großen Hürden bereit zu halten, die Schule dagegen schon, denn: Sie verlangt Anwesenheit. Der junge Trompeter war zwar willig, aber der Terminkalender voll. Schule und Lehrer hatten schon alle Augen zugedrückt für Proben, Auftritte und ausgedehnte Konzertreisen, doch irgendwann half nur noch die Krankmeldung. Kein beruhigender Dauerzustand. Außerdem sackten die Noten ab. “Ich hatte 9 Unterkurse.” Klar, wer nicht da ist, kann auch nichts lernen. Drum hat der Musikbesessene kurzerhand die Reißleine gezogen und die Schule verlassen. Sie hat gegen die Trompete den Kürzeren gezogen. Die Eltern hätten vielleicht nicht einmal gegen ein noch früheres Ausscheiden etwas einzuwenden gehabt, zweifelten sie wohl schon länger nicht mehr an der Bestimmung für ihren Sohn und seiner Zielstrebigkeit. “Es war eine Freundin, die mich überredete, es mit dem Abitur wenigstens zu probieren.”

„Thomas Gansch hat mich zum Jazz gebracht.“

Lag der Fokus des rothaarigen Burschen lange auf Klassik und dem was man unter traditioneller Blasmusik versteht, kam er 2012 erstmals aktiv mit Jazz in Berührung. Ganz profan in der Big Band seiner Schule. Im selben Jahr aber traf er bei der Brassweek in der Schweiz Thomas Gansch und dessen Mnozil Brass-Kollegen. Diese Begegnung hat sein Weltbild auf den Kopf gestellt. In einem Improvisationsworkshop wurde der noch jazzunbedarfte Mann aus dem Dreiländereck mitgerissen vom Spirit des österreichischen Ausnahmemusikers Gansch. “Ich hatte zwar keine Ahnung, aber Lust drauf.” Genau diese Einstellung macht den Typ Grässlin aus. Etwas nicht zu können, bedeutet nicht, es nicht zu machen oder gar, es nicht zu dürfen. Im Gegenteil: Unvermögen schreit geradezu nach Ausprobieren, Lernen, Meistern. “Danach habe ich mich gefragt: ‘Will ich wirklich klassischer Trompeter werden?’” Er habe sich seit diesem Tag auch keine Aufnahme mehr einer Sinfonie angehört, sondern, wie von Thomas Gansch geraten, jeden Tag Jazzmusik. Am Anfang stehe immer das Hören.

Zumindest im Outfit des klassischen Solotrompeters. Foto: Christian Grässlin privat.
Das Instrument als Sinnbild: aufrecht wie eine Jazz-Trompete, aber mit Drehventilen wie in der Klassikvergangenheit. Foto: Christian Grässlin privat.

Heute sieht sich Christian Grässlin aber nicht als einer, der von der einen in die andere Schublade gehüpft ist: “Ich bin kein Jazzer, aber auch kein Klassiker, vielmehr ein Allrounder.” In der Tat. Auch heute spielt er noch Klassik, oft mit der Piccolotrompete in der Kirche, geht jedoch genauso mit Big Bands auf Tour, spielt dort Soli, kann aber auch die Leadstimme übernehmen. Mit den Lederrebellen macht er, was gerne abfällig als Kommerzmusik bezeichnet und oft in Bierzelten aufgeführt wird. In anderer Besetzung stellt er sich in den Dienst der klassischen Blasmusik mit Polka und Marsch und mit Erpfenbrass, seiner experimentellsten Band (“Wir spielen alles.”), wird die Crossover-Sau rausgelassen.

Christian Grässlin hat aus seiner Not eine Tugend gemacht. Und was für eine.

Lange Zeit habe er darunter gelitten, dass man ihn als biederen Blasmusiker verhöhnt hat. Er spielte eben schon immer gerne Polkas und Märsche. Dieser Ablehnung ist es aber letztlich zu verdanken, dass Grässlin eine solche Internetkarriere und in Folge auch eine in der realen Welt gestartet hat. Keiner in seinem Wohnumfeld wollte mit ihm die Musik machen, die ihm gefällt. (Er nennt diese “Funky Blasmusik”. Vielleicht ein bisschen unglücklich, da das Gewicht des traditionellen Begriffs Blasmusik noch drückt, lediglich hübsch attribuiert ist. Grässlin gestand dem TrumpetScout im Gespräch aber auch den Titel “Funky Blechmusik” zu.) Drum hat er einfach die Instrumente selbst gespielt und die Videos erstellt, die heute seine Insignie bilden: teils virtuose, auf jeden Fall aber immer schöne Arrangements bekannter Stücke oder Eigenkompositionen mit Grässlin an allen Instrumenten und stets im Bild.



Wie viele Instrumente es sind, ist unklar. Nach eigenen Angaben zählen alle mit Kesselmundstücken dazu (von der Tuba bis zum Horn), aber auch Klavier, Schlagzeug und ein bisschen Gitarre. In seinen Videos singt er auch und lässt gar die Blechreinheit unbeachtet, indem er einem Saxophon Töne entlockt. Unterricht hatte er aber einzig an Trompete und Klavier. Der Rest ist selbst erarbeitet. Das zeugt zum Einen von Musikalität, aber zuerst von Getriebenheit. Und Übeeifer. Wer es schon einmal probiert hat, weiß, wie schwer der Wechsel von einem großen auf das kleine Mundstück fällt. “Ich habe es gemacht, wie es mir James Morrison erklärt hat. Zehn Minuten das eine Instrument, dann ein anderes. Das den ganzen Tag und du trainierst dir einen flexiblen Ansatz an”, erklärt er mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit dieser eigenen Leistung. Man kann erahnen, wie viel Zeit und Herzblut Christian Grässlin in seine Musik investiert hat. Dafür braucht es unbedingte Leidenschaft und äußerst fixe Ideen.

„Homerecording ist so einfach.“

Diese “Lebensübezeit” ist das Eine. Der Aufwand für jedes Video das Andere. Aufgrund von Grässlins Sicherheit sind die Spuren zwar schnell eingespielt, für den Schnitt braucht es aber manchmal bis zu zwei Tage. Eine Investition, die sich dennoch lohnt. Vielleicht nicht direkt monetär (auch wenn über Youtube so viel lukriert wird, dass „immerhin die Handyrechnung bezahlt ist”), aber auf jeden Fall in Bezug auf den Bekanntsheitsgrad, Kontaktmöglichkeiten zu anderen guten Musikern und nicht zuletzt auch auf Buchungen. Christian Grässlin ist gefragt und kann bereits heute, was viele Musiker ein ganzes Leben mehr schlecht als recht schaffen: von seiner Musik leben.

Zu Gast im Fernsehen. Foto: Christian Grässlin privat.
Zu Gast im Fernsehen. Foto: Christian Grässlin privat.

Angesichts dieses Erfolges fragt er sich, warum nicht mehr junge gute Musiker auf diesem Wege auf sich aufmerksam machen. Für ihn hat sich das Solo-Engagement gleich mehrfach und rasch ausgezahlt: durch Bekanntheit (ingesamt bereits über eine Million Views seiner Youtube-Clips), Anerkennung (knapp 3.000 Facebook-Fans in wenigen Jahren) und sicher auch das Wachsen als Musiker – nämlich vom Nur-Trompeter zum wahrhaftigen Multiinstrumentalisten.

„Viele Instrumente gehören mir gar nicht und die Posaune ist vom Discounter.“

Dass ein solcher Multiinstrumentalist per se arm sein muss angesichts der Preise für z. B. ein tiefes Blechinstrument, entkräftet der junge Mann ganz schnell: Die Tuba gehört der Stadtmusik, das Saxophon dem Vater und die Posaune ist vom Discounter. Wer hätte das gedacht! Lediglich für besondere Sessions bittet er seinen Ausrüster Schagerl um Hilfe, für den er seit Kurzem ganz offiziell wirbt. Das ist natürlich ein Meilenstein für jeden Trompeter, plötzlich in einer Reihe mit James Morrison, Vlado Kumpan und Thomas Gansch genannt zu werden. Dessen Ganschhorn ist auch Grässlins erste Wahl. Natürlich keimt da der Verdacht, es handele sich dabei um einen Akt der Annäherung an sein großes Vorbild. “Ja, Thomas ist mein Hero. Aber deswegen spiele ich nicht seine Trompete.” Vielmehr habe er nach seiner Zeit als Klassiker nicht mehr auf Perinetinstrumenten spielen können. Da war das Ganschhorn die logische Konsequenz, wenn es um eine vertikale Trompete mit Drehventilen geht. Beim Schagerl Brass Festival 2014 hat er sich das neue Ganschhorn in der Ausführung „Hörsdorf Heavy“ dann gleich mitgenommen, so sehr habe es ihm gefallen.

„Bis zum G3 komme ich mit fettem Ton. Mehr brauche ich nicht.“

Anders als Thomas Gansch bevorzugt Grässlin ein flaches Mundstück, “mit dem ich gelernt habe, auch im tiefen Register gut zu klingen.” Nach der Suche auch bei anderen Hersteller, fiel seine Wahl auf das Apredato des wuchtigen Leadtrompeters der NDR-Big Band, Thorsten Benkenstein. Zur One-for-all-Mundstückphilosophie gesellt sich die Lehre, mit einem Ansatz alles zu meistern. Tatsächlich sieht Grässlins Ansatz lehrbuchhaft aus: in allen Dimensionen zentriert, ohne angsteinflößende Grimassen oder aufgeblasenen Backen. Nach eigenen Angaben hat er weder Probleme mit der Ausdauer, noch mit der Höhe. “Bis zum G3 komme ich mit fettem Ton. Mehr brauche ich auch nicht.” Lediglich ab dem F3 meine er, etwas mehr zu drücken.

Was kommt 2015 von Christian Grässlin? Ein Buch, eine CD und natürlich Videos.

Da der Fastschweizer nicht nur Musik spielt, sondern auch schreibt, kommt dieses Jahr ein Buch mit raffinierten Polkas und Märschen aus seiner Feder auf den Markt. Natürlich in gewohnter Doityourself-Manier, also im Eigenvertrieb. Außerdem steht die erste eigene CD auf dem Programm und neben den Gigs natürlich wieder jede Menge Videos. Ein Highlight ist dabei sicher die transkontinentale Kooperation mit James Morrison (einen Clip mit Thomas Gansch gibt es bereits). Gemeinsam spielen die zwei Multiinstrumentalisten eine für das Schagerl Brass Festival geplante, aber nicht aufgeführte Nummer ein. Der Titel bleibt vorerst ein Geheimnis. Ein offenes Geheimnis dagegen: Es wird toll.

Die Zeichen stehen auf Erfolg. Foto: Christian Grässlin privat.
Die Zeichen stehen auf Erfolg. Foto: Christian Grässlin privat.

Was man ihm riet, hat er befolgt: “Thomas [Gansch] hat mir gesagt: ‘Mach dein Ding.’ Das hat mir sehr geholfen. Mich mit ihm austauschen zu können, ist genial und eigentlich unfassbar.” Aber in erster Linie ist der Erfolg nur einem geschuldet: dem scheinbar immerfröhlichen Videoproduzenten, Social Media-Experten, Toningenieur, Komponisten, Notenverleger und Musikvirtuosen Christian Grässlin. Er ist auf dem besten Wege vom Youtube-Kid zum Selfmade-Man.