De profundis: Prägende musikalische Eindrücke

Live-Musik ist momentan kein Thema. Auf Musik verzichten muss natürlich trotzdem keiner und dank diverser Streaming-Dienste ist auch fast immer alles bei der Hand. Der TrumpetScout sucht in diesen digitalen Plattenarchiven meist Stücke, die ihm in sehr guter Erinnerung sind. Hier eine ganz besondere Auswahl mit echten Perlen.

In diesen Tagen gibt es weniger Ablenkung als sonst. Kein Sport mit Freunden, kein Feierabendbier, kein Kino- oder Restaurantbesuch, keine Reisen zum Pläsier und natürlich auch keine Konzerte. Zudem fallen sogar Proben mit dem eigenen Ensemble flach. Ganz automatisch beschäftigt man sich da mehr mit sich selbst. Und das befördert hin und wieder ganz alte Erinnerungen an die Oberfläche.

In diesem Artikel geht es um drei sehr persönliche musikalische Erinnerungen des TrumpetScout. Sie hängen alle miteinander zusammen, auch wenn die erinnerte Musik doch sehr unterschiedlich ist.

Drei mal Trompete und drei Mal…

Es wird wohl niemanden verwundern, dass in den drei Fällen, die hier gleich beschrieben werden, die Trompete eine gewichtige Rolle spielt. In allen drei Fällen handelt es sich außerdem auch um Jazz-Musik. Die ist aber bekanntlich ein weites Feld und so mögen sich insbesondere all jene, die vermeintlich wenig mit Jazz anfangen können, nicht von diesem Label abschrecken lassen.

Jetzt kommt das auf den ersten Blick verwunderliche: Die drei Aufnahmen, die hier gleich vorgestellt werden, stammen von einem Tonträger! Dabei muss es sich dann fast um einen Sampler handeln, also eine Kompilation aus verschiedenen Perlen. Und so ist es: Der Name des Samplers: „Unplugged Jazz“.

Erschienen sein dürfte diese aus zwei CDs bestehende Sammlung Anfang der 90er Jahre mit dem breiten Aufkommen der Compact Disc. Der TrumpetScout war auf jeden Fall noch ein Kind, als er die Musik darauf zum ersten Mal im heimischen Archiv entdeckte.

Chet Baker: Polka Dots and Moonbeams

Nun aber zur ersten Nummer. Wie viele Anfänger und insbesondere Kinder war der kleine TrumpetScout im Alter von rund 10 Jahren sehr von Technik fasziniert, schnellem Spiel und Höhe. Artistik in einem technischen Sinne rangiert hier oft vor Artistik im eigentlichen, dem künstlerischen Sinn.

Aber dann kam Chet Baker. Mit seinem luftigen Sound, der Fähigkeit, immer (ja, IMMER!) die genau richtigen Töne sowie die genau richtig dosierte Anzahl an Tönen zu spielen und einer perfekten Demonstration dessen, was man sich vom Begriff Improvisation erwartet: nämlich ad hoc neue Musik zu erschaffen und Geschichten mit Tönen zu erzählen. Natürlich auch nicht unwesentlich: die unfassbar schöne Komposition „Polka Dots and Moonbeams“ – der Prototyp einer gefühlvollen Ballade.

Alleine das Präludium am Klavier ist wunderbar und wenn dann auf einmal Bass, das ‚gebürstete Schlagzeug‘ und Bakers flauschige Trompete mit der Melodie einsetzen, macht sich beim TrumpetScout sofort ein warmes Gefühl im gesamten Körper breit und die Zeit scheint still zu stehen. Bis heute einer der absoluten Lieblingstracks unter den persönlichen Favoriten!

Da die erste CD des Samplers irgendwann verloren ging, hat sich der TrumpetScout in der Vor-Streaming- und Prä-Youtube-Zeit extra das Album „Chet Baker in New York“ gekauft, von dem diese Aufnahme ursprünglich stammt.

Eine Transkription dieses Solo-Juwels mit Tonspur gibt es übrigens hier.

Marty Sheller: Mongo’s Groove

Das zweite Stück, das sich dem TrumpetScout sehr deutlich ins Gedächtnis gebrannt hat, entstammt ebenfalls jener verschollenen ersten CD von „Unplugged Jazz“. Der Titel lautet „Mongo’s Groove“ und listet Mongo Santamaria als Künstler. Der Perkussionist ist einer der Väter des sogenannten ‚Afro Cuban Jazz‘ und spielte mit bekannten Namen wie Perez Prado, Tito Puente und auch Dizzy Gillespie. Er war speziell in den 60er und 70er Jahren auch kommerziell sehr erfolgreich. Seine Interpretation von „Watermelon Man“ im Latin-Sound, komponiert von Herbie Hancock, ist vielleicht sogar populärer als das Original.

„Mongo’s Groove“ hingegen war bis zur Abrufbarkeit von Musik, wie wir sie heute kennen, nicht so einfach zugänglich. Aufgenommen wurde der Song wohl nur auf dem Live-Album „Mongo at the Village Gate“. Man findet ihn mittlerweile aber zum Glück auch auf Youtube:

Der Name ist Programm – das Ding groovt! Nach dem Intro, einem fast rezitativ-ähnlichen Trompetensolo ohne Bass und einem Schlagzeug, das nur rhythmische Eckpunkte verstärkt, fühlt man sich sofort in die Swingin‘ Sixties versetzt (aufgenommen wurde das Album übrigens 1963). Dieser Song könnte durchaus in einem „Austin Powers“-Film oder einem Werbespot mit südamerikanischen Fußballern zum Einsatz kommen. Es macht sich sofort gute Laune breit!

Trompete spielte ein damals erst 23-jähriger Marty Sheller, der heute 80 Jahre alt ist. Seine Artikulation ist extrem crisp und sein Sound sehr kompakt. Perfekt für diese Art von Musik!

Marty Sheller mit Mongo Santamaria. Foto: martysheller.com

Ursprünglich hat den TrumpetScout wahrscheinlich die Komposition an sich sehr angesprochen. Die Faszination ist heute nach vielen Jahren des Nicht-Hörens noch ungebrochen (durch das hundertfache Hören früher konnte noch immer jede Bewegung mitgesungen werden!), aber die Wertschätzung gegenüber der instrumentalen Leistung ist auch gehörig. Die Nummer ist an sich nicht schwer und eignet sich sicher fürs Repertoire vieler Tanzbands. Aber erst der richtige Sound der Trompete macht das Paket zu einem gelungenen.

Cat Anderson: Take the A-Train

Nach Jazz-Ballade und funky Groove in kleiner Besetzung fehlt natürlich noch was? Klar, die Big Band. Auf „Unplugged Jazz“ gab es drei Nummern mit dem großkalibrigen Orchester: Die Count Basie BB mit „One O’Clock Jump“, Duke Ellingtons Mannen als Begleitung der göttlichen Ella Fitzgerald mit „Satin Doll“ und noch einmal Duke Ellington mit einer seiner berühmtesten Eigenkompositionen, nämlich „Take the A-Train“. Jene Nummer wurde x-fach aufgenommen, natürlich auch von Ellington selbst. Leider konnte der TrumpetScout nirgendwo die Version auftreiben, die für den Sampler gewählt wurde. Sie besticht durch eines der irrwitzigsten Trompetensoli, das es nach Meinung des TrumpetScout überhaupt gibt. An der Solotrompete: zweifelsfrei Cat Anderson. Nur einer kann diesen Sound sowie diese wirklich unnatürliche Höhe mit dieser Leichtigkeit erzeugen und dabei trotzdem einen wertvollen Beitrag zur Musik leisten. Das ist Screaming ‚for the greater good‘ UND für Screaming-Fans!

Dir gefallen die TrumpetScout-Artikel? Mit einer kleinen Spende kannst du die Arbeit des Magazins unterstützen: paypal.me/trumpetscout. Danke!

Dem Trompetengott sei Dank, dass der TrumpetScout diese CD nicht verloren hat und dieses Solo, das einschlägt wie ein Blitz, nicht nur aus der Erinnerung heraus hören kann:

Ein Wort zur Warnung: Wenn man nicht weiß, was einen erwartet, ist Cat Andersons Einsatz fast wie ein Schlag ins Gesicht. Heute sind wir zwar so einiges gewöhnt. Aber man kann sich vorstellen, wie diese Nummer den kleinen TrumpetScout vor der Zeit des medialen Overkills elektrisiert hat, und wie Cat Anderson vor allem zur Zeit der Aufnahme gewirkt haben muss – nämlich wie vom anderen Stern.

3 x mind-blowing als Triebfeder

Man sieht: Jazz und Jazz-Trompete können sehr vielseitig sein und gleichzeitig sehr beeindruckend. Ob den TrumpetScout vielleicht als Kind andere Stücke geprägt hätten, wenn es damals schon den Zugang zu quasi allem wie heute gegeben hätte und nicht eben nur zwei, drei Jazzplatten zuhause, die man sich immer wieder anhörte? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Eher war der Sampler einfach gut kompiliert, schließlich sind Chet Baker und Cat Anderson unumstrittene Heroen ihres Fachs. Die Aufnahme mit dem im Vergleich unbekannten Marty Sheller ist als willkommener Bonus zu sehen. Das Grundprinzip der kuratierten Playlist hat also bestens funktioniert – und seine Wirkung als Initialzündung für den TrumpetScout nicht verfehlt.