Wo immer man auch schaut – ob in einschlägigen Foren, bei bekannten Video-Bloggern oder Selbstbeschreibungen von Herstellern etc. -, überall ist im Kontext der Qualifizierung einer Trompete die Rede von ihrem Widerstand. Aber was versteht man eigentlich darunter? Was beeinflusst die „resistance“ eines Instruments und wie beeinflusst sie wiederum das Spiel? Der TrumpetScout geht dem Phänomen Gegendruck auf die Spur.
„Ich bevorzuge Large Bore-Hörner“, ist ein Satz, den man nicht selten unter Trompeten-Jüngern hört. Wer in seinem Leben aber schon viele Trompeten ausprobieren konnte, wundert sich wahrscheinlich über eine derart dogmatische Aussage. Denn die Bohrung ist genauso wenig eine relevante Determinante wie der Lack – sie hat Einfluss, aber nicht übermäßig und ist als Teil eines ganzen Maßnahmenkatalogs zu sehen, der darüber entscheidet, ob der Widerstand des Trompete groß ist oder eher klein. Wer große Bohrung sagt, verbindet damit in Wirklichkeit das Konzept eines offenen Instruments, also eines mit geringem Widerstand. Ein Freund geringen Widerstands zu sein ist genauso legitim wie das enge Röhrchen zu bevorzugen und alles (das meiste) was sich dazwischen bewegt. Vielleicht hilft es nicht, aber es ist durchaus interessant zu wissen, welche Komponenten und Maßnahmen bei einer Trompete in Summe den Widerstand ergeben, den man gemeinhin beim Blasen einfach wahrnimmt. Eine Liste im Anschluss geht die relevanten Stellen des Instruments von der Mündung bis zur Klangquelle durch.
Den Widerstand der Trompete sinnvoll einzusetzen ist ein Thema, dem sich dieser Artikel gegen Ende widmet. Am Anfang steht jedoch die Frage, was man unter Widerstand versteht.
Widerstand bei der Trompete – was ist das eigentlich?
Eine Einheit für den Blaswiderstand – quasi „Ohm of blow“ – wie in der Physik gibt es nicht. Messen wie in der Physik könnte man ihn aber wahrscheinlich schon – nur hat es noch keiner getan und groß publiziert. Darum muss zur Messung der körpereigene und nicht geeichte Sensor in eines jeden Spielapparat herhalten und bei der Definition eine annähernde Beschreibung aushelfen: Der Blaswiderstand ist der Widerstand, der überwunden werden muss, um einen Ton zu erzeugen. Je höher der Widerstand, desto höher die aufzubringende Energie und desto höher wiederum die Anforderung an die Kontrolle dieser Kraft, übersetzt das bläserische Können (z.B. beim leisen Spiel und bei schwierigen Bindungen). Ist die Resistance (gerne wird das englische Wort gebraucht) groß, wollen die Töne nicht so einfach entstehen – sie sprechen schlechter an. Gerne sagt man auch, die Trompete spreche schlechter an. Hier sind wir bei einem wichtigen Konnex, der in den Köpfen vieler Spieler als folgende Gleichung gespeichert ist:
offene [fälschlicherweise gerne: große) Trompete = geringer Widerstand = gute Ansprache
Prinzipiell stimmt das, doch die Einschränkung folgt auf dem Fuße: Diese Formel hat Gültigkeit vornehmlich für das Normal-Register, also den tiefen und mittleren Bereich. Geht es höher hinaus, gelten andere Gesetze. Dazu aber später mehr.
Was erzeugt Widerstand? Die Trompete ist ein Puzzle.
Es gibt in aller Regel nicht das eine Bauteil oder die eine Beschaffenheit einer Trompete, die ihren Widerstand oder – eine Stufe differenzierte – den Ort des Widerstands bestimmt. Vielmehr ist Widerstand in all seien Facetten das Ergebnis einer Summe von baulichen Maßnahmen. Fangen wird dort an, wo man den Wald vor lauter Blech nicht sieht…
1. Gewicht & Material
Einen Ton erzeugen heißt, nach den Lippen auch das Material des Instruments zum Schwingen zu bringen. Ist viel Material da, wird das schwerer. Eine vernickeltes 1200-Gramm-Gerät ist schwerer zu blasen wie die gleiche Trompete (Schnitt, Bohrung, Stützen etc.) mit dünnerem Blech und nur 1080 Gramm. Das Gewicht ist also ein möglicher Baustein für den Widerstand. Genauso aber wirkt sich das Material selbst aus: Ist es zwar nicht schwerer, aber weniger vibrationsfreudig, spürt man das ebenfalls. Es gibt verschiedene Messinglegierungen, daneben aber auch Bronze, Sterling-Silber und auch Schallstücke aus Holz und Karbon.
2. Schallbecher
Neben dem Material und seiner Stärke beeinflusst der Rohrverlauf des Bechers den Widerstand enorm. Bestes Beispiel ist die populäre Stradivarius: In der Ausführung 37 (eher eng) ist der Widerstand größere als beim weiteren 43er-Becher und dem weitesten mit der Nummer 72. Der engste Becher (25) fühlt sich aber noch einmal sehr viel enger an, obwohl er regulär mit einer Large-Bohrung kombiniert wird und nicht mit der ML der anderen Modelle. Ihn nutzen auch gerne Leadtrompeter, die die bessere Projektion schätzen und eben den erhöhten Widerstand für sichereres Spiel in der oberen Lage.
3. Bohrung
Endlich sind wir bei der Bohrung. Doch wie bereits angedeutet wird ihr gerne mehr Wichtigkeit zugesprochen als sie verdient. Die ausführlich beschriebene Conn 8B Lightweight Artist spielt sich trotz seltenkleiner Small-Bore sehr offen, die Yamaha 8335LA mit ML-Ventilen fühlt sich an wie ein Blechloch und die bereits angesprochene L-Bore Stradivarius 25 wirkt extrem zugeschnürt. Es gibt Komponenten mit eindeutigerem Effekt.
4. Stimmbogen
Der Stimmbogen ist nicht einfach nur ein verschiebbares Verbindungsstück zwischen Mundrohr und Maschinenanschluss. Er bietet verschiedene Möglichkeiten auf das Ansprechverhalten einzuwirken. Bei den populären Bobby Shew-Modellen von Yamaha beispielsweise ist der Rohrdurchmesser beim Stimmzug erhöht (er macht am Bogeneingang einen Sprung), größeren Einfluss scheint aber der Bogen-Radius zu haben. Ist dieser groß und entspricht die Bogenform dementsprechend fast der eines Halbkreises (wie bei der getesteten Endres 6L, man spricht dann gerne von „c-shape“), so ist der Widerstand deutlich geringer – die Luft fließt harmonischer. Gegenstück ist der populäre Stimmzug mit zwei beinahe rechten Winkeln, also zwei Kurven mit sehr kleinen Radien, der zur Standard-Ausführung einer Bach Stradivarius gehört (im Englisch „d-shape“ genannt). Hier wird der Luftstrom zwei Mal scharf umgelenkt, wodurch die Trompete deutlich enger wirkt, aber auch bezüglich ihres Einrastverhaltens verbessert wird. Einige Hersteller bieten dank dieser äußerst wirkungsvollen Eingriffmöglichkeit zwei Stimmzüge ab Werk. Bei der getesteten CarolBrass 5000L YLT entstand so fast der Eindruck, man habe zwei Trompeten im Koffer.
5. Stützen
Stützen wirken prinzipiell wie zusätzliches Gewicht: sie verhindern das freie Schwingen des Materials. Einige Spieler haben aus ihrer Bach mit klassischer Stimmzugkonstruktion die Stützen herausnehmen lassen. Das ist kein großer und vor allem kein irreversibler Eingriff, wirkt sich aber spürbar auf das Ansprechverhalten und – wie Justierungen an alle anderen Teilen der Trompete auch – auf den Sound aus. Die neue Commercial Bach beispielsweise verzichtet von Haus aus auf die beiden Streben am Stimmzug. Manche Hersteller bringen bei manchen Modellen Extra-Stützen an: z.B. zwei statt einer zwischen Mundrohr und Ventilstock und weitere am ersten und dritten Ventil. Wie bei Zusatzgewichten auch ist hier die richtige Platzierung entscheidend für den Effekt.
6. Mundrohr
Vielleicht die Stellschraube schlechthin. Wer einmal die Möglichkeit hatte, dieselbe Trompete mit verschiedenen Mundrohren zu testen, wird beipflichten. Der von außen und mit bloßem Auge nicht eindeutig wahrzunehmende Verlauf des Mundrohrs, der (abschnittsweise) sowohl kurvig, konisch und auch zylindrisch verlaufen kann, entscheidet in dominanter Weise über den Charakter des Horns: Er macht die Trompete widerspenstig oder offenherzig. Oft bekommt ein Instrumentenbauer nur durch Experimentieren heraus, was welchen Effekt hat, warum es wohl auch so etwas wie Mundrohr-Päpste wie Bob Malone zu geben scheint. Gerade hier gilt ganz besonders: Größer, also nominell offener, ist nicht gleich offener vom Spielgefühl. Auch die nachgeschalteten Komponenten wirken sich auf das Ergebnis aus, das aus dem Zusammenspiel resultiert. Die bereits erwähnte Yamaha 8335LA spielt sich wahrscheinlich in erster Linie aufgrund ihres Mundrohrs so extrem offen. Oberhalb des G3 macht sie für Normalsterbliche aber zu – und kostet vorher schon viel Kraft. Wer weiß aber, ob Wayne Bergeron bei seinem persönlichen Modell nicht auch irgendwo noch einen versteckten Widerstand hat einbauen lassen? Man denke an die von Rüdiger Baldauf optimierte Ausgabe derselben (8335LAM).
7. Gap
Mit Gap bezeichnet man den Abstand zwischen Mundstückschaft und Mundrohr. Den sieht man nicht, weil die Mundstückzwinge, innerhalb derer die beiden Rohrenden einander gegenüberliegen, nicht transparent ist. In aller Regel gibt es hier aber eine Lücke, die man mittels Schieblehre nachmessen könnte. D.h.: Die beschleunigte Luft verlässt das Mundstück und trifft aber sofort wieder auf eine Kante, nämlich die Stufe aus Mundrohr und Zwinge. Hier entsteht ein Gegendruck. Komischerweise ist der sehr wichtig. Trompeten, die diese Stufe durch eine Verschleifung nicht haben oder weil Mundstückschaft und Mundrohr direkt aneinander grenzen, zeigen oft große Schwächen beim Einrasten. Es gibt zwar noch keine wissenschaftlichen Erhebungen, aber Spezialisten sprechen davon, dass eine Lücke bis zwei Millimeter günstig ist. Viele Mundstück-Hersteller vermarkten dieses Thema, bieten „Schaftüberzieher“, um den Abstand in Kleinstschritten verändern zu können. Für das Selbstexperiment tut es auch ein mittels Schere ausgedünnter Klebestreifen, der längs auf dem Schaft aufgebracht wird (nicht wickeln, dann vergrößert sich der Abstand gleich um einige Millimeter!). Besonders gut kann man die veränderte Ansprache und das andere Slotting durch das Spiel mit der Gap bei Trompeten erspüren, die eine per Gewinde verstellbare Mundstückzwinge haben.
Brachialer geht Bobby Shew, der gerne vor Publikum mit einem Dorn die Kante des Mundrohrs abgeflacht und später auch wieder schärfer kantet. Der Unterschied ist sehr groß.
8. Mundstück
Das Mundstück selbst bietet natürlich wieder viele Ansatzpunkte: Seichterer Kessel für deutlich mehr Gegendruck, engere Bohrung, anderer Rohrverlauf im Stengel, ähnlich wie beim Mundrohr. HIerzu braucht es aber einen eigenen Artikel. Es ist jedoch kein Geheimnis: Ein Mundstück kann aus einer Trompete ein Flügelhorn machen, aus einem symphonischen Instrument ein Lead-Geschütz. Der Widerstand ist dafür essentiell. Das Mundstück entscheidet am meisten über den Blaswiderstand, gehört aber – anders als das Mundrohr mit ebenfalls großem Einfluss – nicht zur Trompete.
9. Sonstiges
Nachdem nun der Weg von Mündung bis zur Quelle besprochen wurde, soll der Vollständigkeit halber noch auf kleiner Punkt eingegangen werden: Überall, wo Rohre aufeinandertreffen oder ineinanderlaufen, kann eine Kante gegen den Luftstrom entstehen. Diese kann man wie im Falle der Gap nutzen um positiven Widerstand zu erzeugen: Der berühmte Choke bei der Benge Claude Gordon zwischen Maschinenblock und Becher hat sie trotz Large Bore zu einem einzigartigen Horn auch für die Höhe gemacht; aber auch die Kante zwischen dem Rohr, das den unteren Teil des Stimmzuges aufnimmt, und dem gebogenen Teil in das dritte Ventil lässt sich manipulieren. Außerdem verändern andere Federn (z.B. aus Stahl) die Ansprache, genauso wie Kreuzelführungen aus Messing statt aus Kunststoff und natürlich Heavy Caps. Was Schwingungen dämpft, erhöht den Widerstand, was sich der Luft in den Weg stellt – quasi für Wirbel sorgt -, erhöht den Widerstand.
10. Dämpfer
Ja, auch ein Dämpfer erzeugt Widerstand, und sogar sehr großen. Er wird hier nur zuletzt angeführt, da er nicht zur Trompete gehört und natürlich im Regelfall auch nicht eingesetzt wird. Ist er aber im Einsatz, staut er die Luft je nach Bauart massiv. Am deutlichsten wird das bei Übedämpfern, aber auch Harmon oder ein enger Cup sorgen für ordentlichen Gegendruck. Die Folge: Das tiefe Register spricht ganz schlecht an, das obere dafür umso leichter – sogar mit einem tieferen Mundstück erreicht man Töne, für die es offen zumeist nicht reicht.
Widerstand ist nicht zwecklos. Er muss nur gut gewählt sein.
Es klang bereits an, nun soll es explizit gesagt werden: Widerstand ist gut und geradezu notwendig. Wie immer macht die Dosis das Gift, wobei in diesem Fall zu wenig genauso trompeterisch tödlich sein kann. Rüdiger Baldauf sagte in einem Vergleichstest der drei Yamaha-Custom-Modelle von Bobby Shew, Wayne Bergeron und Till Brönner über die sehr offene 8335LA: „Eine Drei-Stunden-Show mit dieser Trompete kann sehr lang werden . . .“
In offene Trompeten verliebt man sich schnell, weil sie eben gut ansprechen. Vor allem in der Höhe und beim lauten Spiel arbeitet man aber mit dem Gegendruck des Instruments, er unterstützt das schnelle Schwingen der Lippen (wodurch ein kleines Mundstück das obere Register leichter erschließen lässt). Ist die Trompete zu eng, entsteht schnell das Gefühl, man kämpfe gegen das Instrument, was wiederum Kraft kostet. Im Gegensatz zum Umgang mit sehr offenen Hörnern, kann man sich aber an das Spiel mit engeren gewöhnen und somit auch seine Effizienz steigern. Denn entgegen dem ersten Gefühl, wirken die Trompeten auf Hörerseite gar nicht klein, es müssen also keine Abstriche zugunsten von größerem Durchhaltevermögen gemacht werden. Kleiner heißt nun auch nicht besser, es muss gut passen. Wer jedoch Probleme mit der Höhe und der Ausdauer hat, jedoch gesund spielt, kann über die Equipment-Seite seine Leistung verbessern, denn tendenziell wird mit zu großer Ausrüstung, also zu wenig Widerstand geblasen. So sieht es auch der britische Nachwuchs-High Noter Louis Dowdeswell: „Playing the smallest equipment possible with the best desired sound is my personal preference and what I would recommend to anyone. Playing with a big horn doesn’t mean you will get a big sound.“
Aus diesem Resümee zum Thema Mundstück- und Trompetenwahl (So groß wie nötig, aber so klein wie möglich) ließe sich auch das Fazit für den Widerstand in Zusammenhang mit effizientem Spiel ableiten:
So gering wie gerade nötig, aber so groß wie möglich.