Eine Trompete, die ihre Kraft ganz konkret im Namen trägt – das gibt es in der Modellwelt des hohen Blechs nirgends so plakativ wie bei der Vega Power. Handelt es sich dabei um eine korrekte Deklaration oder doch nur um ordinären Etikettenschwindel? Der TrumpetScout testet eines der seltensten Vintage-Hörner überhaupt.
Manche Trompetenmodelle heißen wie aggressive Reptilien und versprechen damit einen bissigen Ton. Manche sind nach einer unter Trompetern beliebten Dynamikbezeichnung benannt, verheißen also ausreichend Durchsetzungkraft. Andere bekennen etwas verklausuliert Farbe, indem sie auf alte Sprachen zurückgreifen, dabei jedoch buchstäblich laut werden. Die allermeisten aber halten sich nobel zurück und lassen Zahlen kombiniert mit Buchstaben eine nüchterne Sprache sprechen. Deutlicher: Sie sagen nichts über sich aus, sofern man kein Kenner ist. Ganz anders macht das eine Trompete, die bereits seit gut 70 Jahren vergriffen ist und nur ein paar Jahre produziert wurde: die Vega Power.
Wer ist Vega? Ein chaotischer Geschichtsexkurs
Vega ist der Name eines Instrumentenherstellers, der 1881 in Boston (USA) die Herstellung von Saiteninstrumenten aufnahm und alsbald einzig den beiden schwedischstämmigen Brüdern Julius und Carl Nelson gehörte. Sie fertigten Gitarren und Mandolinen, später auch Banjos. Ab 1909 wurde das Portfolio mit der Übernahme der Standard Band Instrument Company of Boston (wiederum ein Zusammenschluss aus kleineren Herstellern der Region) um Blechblasinstrumente erweitert. Die eigenen Kornette verkauften sich gut, jedoch verpasste man anscheinend den Trend hin zu Trompeten, auf den andere Marken wie Conn, King, Holton, Martin, Buescher und Bach schneller reagierten. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs waren die Tage von Vega als Hersteller von Blechblasinstrumenten deshalb bereits gezählt. Allerdings überlebte der Name den Krieg und es wurden danach zumindest wieder hervorragende Trompeten unter der Marke Vega vertrieben. Höchstwahrscheinlicher Hersteller: Reynolds. Dessen Gründer Foster Allen Reynolds wusste, was er tat, schließlich arbeitete er 30 Jahre bei King, entwickelte anscheinend die berühmte Martin Committee mit und arbeitete – nachdem die eigene Firma verkauft war – buchstäblich bis zur Sekunde seines Todes bei Olds in Kalifornien. Kurz nach seinem Wechsel zu Olds entstammt die wohl bis heute beste günstige Trompete aller Zeiten: die Ambassador. Außerdem: Reynolds Schüler war kein geringerer als Zigmant Kanstul.
Bauzeit der Vega Power und ihre Endorser
Bei der Vega Power ist die Ähnlichkeit mit den Reynolds-Topmodellen offensichtlich und wenn man sie sich heute anschaut, ist auch ohne Kenntnis der Reynolds-Trompeten die Verarbeitungsqualität spürbar. Kein Zinkfraß, kein Klappern, keine schlechtgängigen oder undichten Ventile. Einzig Patina im Lack. Eingeführt wurde das Modell, wie es vorliegt (eine andere Power gab es bereits ab Ende der 30er Jahre, deren Design mit dem einer modernen Trompete aber nichts zu tun hat) spätestens 1948. Hier wurde zumindest erstmals damit geworben, dass die Trumpet Section von Stan Kenton auf die neuen Instrumente mit der Vega Power-Gravur zurückgreife. Andere Quellen berichten von einem Modelldebüt bereits 1946.
Ein rückblickend viel größeres Aushängeschild als Kentons Trompetensatz war Miles Davis, der vor seinen Committees wohl eine Vega Power blies. Für den TrumpetScout macht gerade diese Mischung die herausragende Referenz.
Wann die Produktion der Power eingestellt wurde, ist unklar. In den 50ern wurde wohl noch ein Vega Special-Modell eingeführt, aber irgendwann verliert sich die Spur. 1970 wurde Vega erst an Martin und in dann rascher Folge noch zwei Mal verkauft. Ob zu dieser Zeit überhaupt noch Trompeten produziert wurden? Es ist zu bezweifeln. Enorm groß war die Reputation nicht und eine eigene Produktion sowieso nicht vorhanden. Das Testexemplar mit seiner 55.000er Seriennummer legt gemäß lückenhafter Nummernlisten ein Baujahr zwischen 1950 und 1952 nahe.
Der TrumpetScout und die Vega Power – ein Urlaubsflirt
Was gab nun Anlass, einen Artikel über so eine unbekannte Trompete zu schreiben, die nicht einmal den Namen ihres echten Herstellers trägt, also, wenn man so will, ein Handelsprodukt ist? Vor mehr als acht Jahren besuchte der TrumpetScout den Shop von Josh Landress in New York City, einem wahren Schlaraffenland für Freunde alter Trompeten. Die wahrscheinlich günstigste Trompete in der Auslage war eine, man ahnt es bereits, Vega Power. 800 Dollar dürfte auf dem Preisschild gestanden haben. Die Trompete spielte sich sehr offen und machte ihrem Namen alle Ehre: Sie hatte einen enorm kraftvollen Klang. Der TrumpetScout war versucht zuzuschlagen und probierte pausenlos – sogar der Ladeninhaber mahnte zu mehr Enstpanntheit, da man sich beim Testen ja nicht kaputt spielen soll. Ein Mischung aus mangelndem Platz und Furcht vor Zollproblemen sorgte dann doch dafür, dass es nur bei einem heftigen Flirt blieb. Aber auch nach der Heimkehr sorgte sehnsüchtige Erinnerung dafür, dass der Webshop solange regelmäßig kontrolliert wurde bis die Trompete nach einigen Wochen weg war. Ab dann: Aus den Augen, aus dem Sinn. Bis im letzten Sommer eine solche Trompete auf einer einschlägigen Online-Börse auftauchte. Bevor sie getestet werden konnte, war sie dann auch schon wieder weg vom Markt, kam vor Weihnachten allerdings zurück. Dank des freundlichen Eigentümers konnte der TrumpetScout jetzt prüfen, ob die Begeisterung heute noch genauso stark ist wie damals.
So ist die Vega Power gebaut
Was sofort auffällt, sind zwei Dinge: Es gibt viel Neusilber und eine ganz eigenartige Stütze vor dem Stimmbogen, die auf amerikanischen Webseiten gerne mit ‚S-brace‘ bezeichnet wird. Warum, ist klar.
Neusilber kommt nicht nur – wie häufig – bei den Außenzügen vor, sondern auch als Material für den oberen Teil bei den augenscheinlich zweigeteilten Ventilzylindern und beim Mundrohr. Hier zeigt es nicht nur antikorrosive Wirkung (Zinkfraß kann es nicht geben), sondern auch klangliche. Damit wird nichts aus dem Abschnitt über Spieleigenschaften und Klang vorweggenommen. Ein Neusilbermundrohr sorgt immer für einen enormen Punch, aber auch weniger Facettenreichtum – so die Erfahrung nicht nur mit Getzen-Trompeten.
Mit rund 1.100 Gramm ist die Power ein Mittelgewicht und mit der amerikanischen Standbohrung 0,459 inch (11,66 mm) durchschnittlich dimensioniert, was den Ventildurchsatz anbelangt. Aus heutiger Sicht würden manche als billig bezeichnen, dass die Ventilzüge nicht überlappend ausgeführt sind und der Becher zweiteilig ist. Für den Luftfluss ist die doppelt-männliche Zugkonstruktion aber in der Praxis schnuppe und bei den Trichtern ist der TrumpetScout ja bekanntlich ein Sympathisant der Exemplare mit kreisrunder Lötnarbe. Auch hier sagt die Erfahrung: mehr Punch inside. Für bessere Projektion und noch mehr Zentrum dürfte zudem der enge und auch am Ende kleine Becher sorgen. 11,7 cm Ausgangsdurchmesser sind echtes Vorkriegsmaß. Der Verlauf wirkt sehr lange konisch flach. Ansonsten bleibt nicht viel zu berichten: Die Ventile sind erstaunlich dicht. Am wenigsten ploppt es beim dritten, aber selbst das – nicht nur gemessen am Alter – noch sehr ordentlich.
The Sound of Power
Der Klang der Vega Power ist eines nicht, und das ist zart. Die Trompete hat Kern, viel Zentrum, wenig (oder besser: kein) Sizzle und strahlt ab als würde der Stammbaum in Jericho wurzeln. Den Vergleich mit einer sehr lauten Bach 25 aus dem TrumpetScout-Fundus muss sie in puncto Volumen nicht scheuen und kommt auch sonst diesem Trompetenmodell sehr nahe. Eine Olds Ambassador, eine UMI Silver Flair und die Holton 48 blies sie im mittleren Register eindeutig weg, lediglich im oberen Register bot die Holton Paroli. Die Vega macht ihrem Namen also alle Ehre und überzeugte im Test mit kräftigem Strahl. Prägnanter formuliert: Sie knallt. Es ist damit eindeutig eine Trompete für Trompeter, die es gerne trompetig haben. (Diese Wortwahl sollte deutlich genug sein.) Ja, sie kann auch sanfte Töne mit einem entsprechenden Mundstück (im Video kam ein Schilke 17 zum Einsatz), aber intuitiv als Jazz-Horn würde der TrumpetScout sie nicht bezeichnen. Ob das gerade Miles Davis an diesem Gerät gefiel? Das Geradlinige im Ton, der ’straight sound‘? Der TrumpetScout fühlte sich beim Eindruck dessen, was vorne rauskommt, auf jeden Fall an die erste Begegnung in NYC zurückerinnert – aber auch ein bisschen an eine Selmer Radial 75. Die ist übrigens ähnlich gebaut, bläst sich nur etwas enger.
Spielbarkeit: Wie viel Kraft braucht die Vega Power?
Und damit kommen wir zum Spielgefühl und weiteren Parametern, die für die Person hinter der Trompete von großer Wichtigkeit sind. Ganz so offen wie einst empfand der TrumpetScout die Vega jüngst nicht mehr. Dennoch ist das Horn nicht eng wie viele Instrumente dieser Zeit. Es sind alle Töne da, vom kleinen Fis bis zum As3, und sie sprechen auch alle sehr gut an. Auch bei den Ventilen gibt es nicht zu bemängeln. Neue können nicht besser sein, auch wenn ältere Filze und die Führung aus Metall für minimal erhöhte Geräuschentwicklung sorgen. Das wirklich Verwunderliche bei diesem alten Eisen ist, dass es sich überhaupt nicht alt anfühlt. Als wäre es eine Trompete aus 2005. Einzig die Patina (und böse Zungen würden behaupten: die Zinkfraßlosigkeit) gibt Anlass, an einem um Jahrzehnte späteren Baujahr zu zweifeln. Die Trompete klingt groß und bläst sich großartig.
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Eine Problematik soll aber nicht verhehlt werden. Die Vega Power verfügt über ein außergewöhnliches Slotting – ein außergewöhnlich schwaches. Der TrumpetScout will dezidiert keine schlechte Intonation attestieren, man sollte aber gute Ohren haben und die Töne automatisch da hinsetzen, wo sie hingehören. Das ist nicht immer einfach, vor allem mit tieferen und weiteren Mundstücken sowie bei Ermüdung. Beim Test gelangen dem TrumpetScout mit diesem Instrument Dinge, die bislang nicht möglich: z.B. das Bending von einem G1 bis zum Es1. Das sind immerhin vier Halbtonschritte. In der Regel ist nach zweien Schluss.
To buy or not o buy?
Und wieder steht der TrumpetScout vor der Entscheidung: Wird die Vega Power eine neue Begleiterin oder doch nicht? Der Sound ist nicht nur Vintage-typisch eigen, er ist mit entsprechenden Mundstücken eigentlich für alles tauglich, die Spielbarkeit gut und der Preis für so ein rares Stück Trompetengeschichte in diesem technisch einwandfreien Zustand ebenso. Wäre da nur nicht die Sache mit dem Slotting… Wahrscheinlich braucht es für dieses Instrument eine:n bessere:n Trompeter:in mit kürzerer Leitung von Ohr zu Spielwerkzeug. Denn: Für den einen die amour fou kann für die andere die Liebe des Lebens sein.