Selmer B700 – die europäische Martin Committee?

Die französische Marke Selmer übt auf den TrumpetScout wahrscheinlich eine stärkere Faszination aus als auf Jazz-Saxofonisten – und die schwören bekanntlich weltweit auf diesen Hersteller. Dennoch blieben zu viele Modelle der Pariser Schmiede bislang unprobiert. Neu auf der Haben-Seite der Erfahrungsstrichliste: die B700.

Mit einer Selmer-Trompete als Gegenstand nahmen die TrumpetScout-Testartikel ihren Anfang. Zumindest in der Vintage-Section. Damals auf dem Prüfstand: eine Selmer 24B K-modified. Danach wurde eine Radial 75 bespielt und beschrieben, zuletzt deren große Schwester, die Radial 99. Nun – wie auch die vorherigen – ausführlich über Monate getestet hat der TrumpetScout die Selmer B700. Rückblickend ergibt sich ein Bild wie ein Foto der Dalton-Brüder. Denn die 24B ist das kleinste und die B700 das größte dieser ‚French Horns‘. Die Radials bilden dazwischen eine schöne Treppe.

So kam es zum Test einer gänzlich Unbekannten

Als TrumpetScout schaut man gerne täglich durch die verschiedenen Gebrauchtwarenbörsen und hält Ausschau nach interessanten Trompeten. Doch diese Beziehungsgeschichte begann anders. Ein Leser meldete sich und wollte seine B700 gerne beschrieben haben. Er habe so ein Horn von Aneel Soomary erworben, sei davon total begeistert, habe es dem Jazz-Dozenten Daniel Nösig gezeigt, der sich daraufhin gleich zwei zugelegt haben soll. Naja, den schreibenden Selmer-Fan musste man bei dem Thema sowieso nicht lange bitten. Einzig die Übergabe wollte nicht gelingen. Doch just danach tauchte eine B700 online auf. (Oder sprang ins Auge, da man ja oft nur sieht, was man auch sehen möchte). Trotz spärlich vorhandener Informationen zu dieser Trompete im Netz aber dank vernünftigem Preis kam es zur Akquise. Das Instrument musste nach Erhalt noch ein wenig repariert werden, wobei gleich auch noch eine Justierung der Totpunkte der Ventile erfolgte. Dann konnte eigentlich richtig damit gespielt werden. Nur: Wollte der TrumpetScout das auch wirklich? Dazu später mehr.

Ein kleine Geschichte der Selmer B700

Vor vielen Jahren schon kam ein Modell mit einer Bezeichnung aus Buchstabe und dreistelliger Zahl auf einem Verkaufsportal unter. Aber war das die B700 oder die L990, ein anscheinend noch leichteres Modell? Die Erinnerung ist so trüb wie die Fenster in einer WG aus putzscheuen Langzeitstudenten. Gänzlich in Vergessenheit geriet, dass es mit der M660 vor einer Dekade sogar ein ausgesprochenes Lightweight-Gerät im TrumpetScout-Eigentum gab. Das damals noch private Testvideo lässt aufhören. Zumindest das obere Register klingt sehr frei und scheint sehr zugänglich:

Sucht man aber nun die wenigen Informationen, die es zur Selmer B700 gibt, zusammen, ergibt sich Folgendes: 1977 startete der Verkauf der 700er Serie – es gibt C- und B-Trompeten -, die, anders als die Radial-Modelle knapp zehn Jahre zuvor, nicht aus der Zusammenarbeit mit dem Überspieler Maurice André hervorgingen, sondern gemeinsam mit einer anderen französischen Legende entwickelt wurden: Pierre Thibaud, der nicht Solo-Trompeter an der Pariser Oper war, sondern u.a. auch Lehrer von Håkan Hardenberger, Reinhold Friedrich, Otto Sauter und vielen anderen Größen der Zunft.

Wenn auch nicht 007, sondern 700 – bei der Trompete handelt es sich um ein außergewöhnliches Modell für Spezialagenten.

Das Design der Instrumente: schlicht. So schlicht, dass es Käufer nachvollziehbar abschreckte, schließlich wurden Preise für Profimodelle aufgerufen. Ohne verzierende Gravur, ohne ins Auge stechende Stützen, alles glatt und geradlinig, aber doch nicht so ansprechend schnörkellos wie Mid-Century-Möbel oder übertragen in die Trompetenwelt: eine Martin Committee oder Schilke-Hörner. So war auch des TrumpetScouts erster Reflex: Sieht aus wie eine Sparvariante. Und das dachten sich wohl auch potenzielle Kunden. Zumindest analysiert dies ein Kommentar in einem amerikanischen Forum so: „They looked exactly like the stripped-down discount student horns of the same era made in the US.“ Hinzu kam just in jener Zeit, dass Importe in den USA nicht mehr so gern gesehen waren. Die Kombination aus armseliger Erscheinung (bei genauerem Hinschauen erkannte man natürlich trotzdem die Qualität) und hohem Preis vereitelte zumindest in den USA den Erfolg der 24B oder der Radial-Modelle.

Irgendwann in den 80ern verliert sich die Spur. Wie lange das Modell gebaut wurde, lässt sich nicht sagen. Überhaupt: Zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er, als die Chorus 80J eingeführt wurde, scheint bei Selmer eine Lücke zu klaffen.

So ist die Selmer B700 gebaut

Anscheinend gab es mehrere Varianten der B700. Berichtet wird von einer kleineren, aber dennoch großen Bohrung (11,75 mm), wogegen die Mehrheit eine XL-Version mit 11,89 mm Ventildurchmesser als Standard sieht. Die getestete Trompete maß der TrumpetScout mit 11,85 mm. Das ist klar die Kategorie ‚extra large‘. Die fehlenden Hundertstel lassen sich mit Messungenauigkeit erklären. Zusätzlich gab es sicher auch eine Variante mit Tuning-Bell, außerdem ist von Goldmessing neben Messing bei der Glocke die Rede. Für den TrumpetScout kam beim Becher kein Zweifel auf, dass es sich in puncto Material um Messing handelte. Graviert ist dort außerdem unter dem Firmenemblem sowie der Stimmungsbezeichnung B ein großes L. Das dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit die Bechergröße indizieren. Der Durchmesser am Ausgang beläuft sich auf knapp 128 mm und der Instrumentenbauer des Vertrauens bemerkte, man erkenne schon mit bloßem Auge, dass es sich um eine buchstäblich große Glocke handele. Gemeint ist damit der Rohrverlauf.

Die Waage zeigt dafür verhältnismäßig wenig an, nämlich 1.053 Gramm. Das ist fast noch die Kategorie Lightweight. Die Radial 75 wog fast 100 Gramm, die Radial 99 immerhin noch über 70 Gramm mehr. Das sind Welten. Dafür fehlt eben auch der Trigger am ersten, die Verstellmechanik des Fingerrings am dritten Zug und eine Stütze im Stimmzug ist auch nicht vorhanden. So beschreiben die B700 manche Stimmen im Netz als eine Trompete mit relativ schwerem Zentrum (also dem Maschinenstock) und wenig Gewicht in Richtung der sowie an den Enden. Der Becher zeigt wenig Materialstärke, der Rand ist nicht sonderlich verstärkt und genauso ist die Mundstückaufnahme eher delikat ausgeführt.

Die einen sagen schnörkellos, die anderen sagen sparsam. Gerade ein Hauptstimmzug in klassischer Bauweise macht ohne Stütze glauben, es handele sich um ein Billiginstrument.

Noch ein Wort zum Mundrohr: Wie bei allen Selmer-Trompeten, die der TrumpetScout beschrieben hat, ist das auch hier aus einem Neusilber gefertigt. Warum der unbestimmte Artikel? Weil es nie so hell glänzt wie man es von anderen Trompeten mit Neusilberaußenzügen kennt. Vielleicht hat Selmer eine eigene Legierung ersonnen.

Die Ventilbüchsen sind auch außen zylindrisch und ohne viel Zierrat gestaltet. Der Daumensattel fügt sich in die insgesamt leichgewichtige Erscheinung. Immerhin gibt es einen.

Selmer B700: Spielgefühl und Klang

Eingangs wurde die Frage offengelassen, ob der TrumpetScout mit dieser Trompete nach Erhalt überhaupt spielen wollte. Diese Unsicherheit hat ein einfachen Grund: Wenn man zuvor ein Instrument mit bestimmten Widerstand spielt, kann ein davon stark abweichendes Anblasverhalten bei einer anderen Trompete sehr irritierend sein. Die Selmer bot zunächst unerwartet wenig Widerstand, was bei den beschriebenen Spezifikationen auch nicht verwundert. Die ‚gute Wand‘, gegen die man als Trompeter:in gerne spielt, war erst einmal Kilometer entfernt. Außerdem fehlte der Punch im Ton – zumindest hinter der Trompete – und auch ein bisschen das Feedback. Instinktiv wurde das Horn gemieden.

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Nach der mehrwöchigen Reparaturpause veränderte sich jedoch der Eindruck. Vielleicht auch durch Gewöhnung. Mit dem großen Schilke 14D4 machte das Spielen bald ebenso großen Spaß und auch mit kleinen Shew Lead funktionierte das Ding – wenngleich für den TrumpetScout andere Trompeten definitiv besser geeignet sind, wenn Ausdauer und ultraleichte Höhe gefragt sind. Die Selmer B700 wurde nicht umsonst mit einem Klassiker entwickelt. Sie kann sehr weich klingen und ist überhaupt nicht restriktiv. Trotz des vielen Gelbmessings und des verhältnismäßig geringen Gewichts sind Helligkeit und Schärfe im Ton aber keine Attribute, die sich verwenden ließen. Trotzdem ist der Eindruck vor dem Trichter ein völlig anderer als dahinter. Die Trompete ist keineswegs leise und kann auch kernig sein.

Dem TrumpetScout drängte sich ein Vergleich auf: Ist das so etwas wie eine europäische Version einer Martin Committee, die von so vielen Jazz-Größen präferiert wurde? Denn auch für den Tester selbst (und nicht nur den Anstoßgeber) schien dieses Modell für einen Sound prädestiniert, den man im Kopf hat, wenn man an eine runde Jazztrompete denkt. Nicht unbedingt dunkel und von extremer Klangdichte wie bei Instrumenten mit viel Material, vielmehr geschmeidig. Der bereits zitierte Forumsbeitrag bestätigte diesen Eindruck des Jazz-Horns, indem er der Selmer attestierte, ein „Committee-Killer“ zu sein und deren Klang am besten mit „expensive“ bezeichnet werden könne.

Trotz der Weite des Rohrs und der fehlenden Stützen gerierte sich die getestete Selmer nicht als Geländewagen mit ausgelutschtem Fahrwerk in Bezug auf das Lenkverhalten, also ihr Slotting. Es gibt natürlich Trompeten, die besser einrasten, aber auch viele, die viel mehr Spielraum lassen. Intonieren ließ sich damit über weite Strecken gut – mit einem sehr tiefen Mundstück wird es in der Höhe naturgemäß problematisch und anstrengend.

Das Testvideo wurde leider vor der längeren Spielphase aufgenommen, noch dazu mit Kunststoffmundstück – keine ideale Kombination.

Eine persönliche Schlusseinschätzung

Nach einigen Wochen hatte der TrumpetScout dieses wohl größte unter allen Selmer-Hörner tatsächlich ins Herz geschlossen. Als Perfect Match kann man die Trompete in diesem Einzelfall aber nicht bezeichnen. Dafür fehlte der Widerstand sowie der klangliche Kern beim Spieler. Es braucht dazu Spielertypen, denen ein Instrument gar nicht groß genug sein kann und die sich gerne solistisch betätigen – nicht unbedingt mit einem Bravourstück, sondern mit einer breit angelegten Improvisation vor der Rhythmusgruppe. Wahrscheinlich würde sich ein Arturo Sandoval darauf wohlfühlen – und damit alles ad absurdum führen, was zum Thema Höhe gesagt wurde.