Der Schallbecher und seine Form

Großes Becher, kleiner Becher- was heißt das eigentlich? Und welchen Einfluss hat der Verlauf des Schallstücks auf Ansprache, Widerstand, Slotting und natürlich Klang der Trompete?

Bereits im letzten Jahr hat der TrumpetScout einen Überblicksartikel zu den verschiedenen Dimensionen der Beschaffenheit des Schallbechers verfasst. Bald darauf folgte ein protokolliertes Experiment mit einer Trompete mit Wechselschallstück. Hierbei ging es um die Auswirkung des Bechermaterials. Jetzt rückt ein anderer wichtiger Aspekt in den Fokus, vielleicht sogar der wichtigste – und das ist der Verlauf des Schallstücks oder anders ausgedrückt: die Becherform.

Schallstückform, -verlauf und -größe – was heißt das?

‚Form‘ meint dabei nicht in etwa die Form des Schallstückbogens (also eher rund oder eckig) oder die Richtung des Trichters (z.B. wie beim Ganschhorn nach oben zeigend), sondern den Querschnitt des noch geraden Schallstücks, nachdem es traditionell durch Hämmern, aber in der Volumenherstellung auch durch Ziehen bzw. Schieben oder in speziellen Fällen auch durch galvanische Prozesse über eine Form – zumeist aus Stahl und im Englischen als ‚mandrel‘ bezeichnet – den Rohrverlauf erhalten hat, der dem Instrument u.a. seine spielerischen und klanglichen Eigenschaften verleiht.

Hier das ungebogene Schallstück, das aber bereits seinen typischen Rohrverlauf erhalten hat.

Diese Form nennen wir oft auch ‚Größe‘, wobei dadurch bei Weitem nicht klar definiert wird, welcher Becher wo größer ist als ein anderer. Damit gleich auch zu einem gängigen Missverständnis: Die Größe meint nicht (allein) den Durchmesser des Trichterrands! So können unterschiedlich ‚große‘ Becher den gleichen Enddurchmesser haben. Gleich große Becher hingegen können nie unterschiedliche Enddurchmesser haben – bei gleichem Verlauf müsste für einen größeren Durchmesser ein Becher zumindest länger sein. Dennoch hat auch der Trichterdurchmesser – oder genauer: der Verlauf auf den allerletzten Zentimetern – einen Effekt. Einige moderne Trompeten z.B. von Monette und LotusFides oder Stomvi setzen verstärkt auf die Extra-Millimeter. Aber auch der Big Bell Pionier Conn 38B war schon mit einer Glocke ausgestattet, die mehr an ein Kinderzimmergrammofon erinnerte als an eine Trompete. Über die Wirkung dieser baulichen Maßnahmen wird noch ein gesonderter Artikel erscheinen.

Welcher Becher ist der größere? Der blaue oder der schwarze?

Nun aber zurück zur Größe im Sinne von Form. Bei Bach lauten die verschiedenen Kaliber z.B. 25, 37, 43 oder 72, bei Schilke #1, #2 und #3 und bei Yamaha hält man sich lieber bedeckt und kommuniziert nur den Trichterdurchmesser am Ausgang. Die einen sind (an gewissen stellen oder durchgehend) größer und damit weiter, die anderen kleiner und damit enger. Die Frage ist nun aber, wo auf den rund 65 cm Rohrstrecke ab Ausgang des Ventilblocks ein Becher weiter ist als der andere bzw. in welchen Segmenten er sich wie stark öffnet. Hierüber schweigen sich alle Hersteller gerne aus, schließlich ist eine z.T. über 100 Jahre alte Becherform so etwas wie ein geheimes Rezept, das einfach nicht ausgeplaudert wird. Für Vergleiche wäre eine Funktion ideal, die für jeden axialen Millimeter einen Durchmesser ergibt und über die sich die Steigung (im engl. ‚taper‘ für Verjüngung – anders als im deutschen Sprachraum, wo eher das Bild der Öffnung verbreitet ist, wird hier gegen den Luftstrom gedacht) zwischen zwei Punkten errechnen ließe. Da es die nicht gibt, müssen sich pedantische Analysten ganz handfest mit Formen z.B. aus Gips beholfen. Der TrumpetScout möchte in diesem Artikel aber keine Herstellergeheimnisse lüften, sondern an einem extremen Beispiel demonstrieren, wie groß Unterschiede zwischen Schallbechern sein können und wie sich diese Unterschiede auf Spieleigenschaften und Klang auswirken.

Ein Vergleich der Extreme: Bach 25 vs. Flip Oakes Wild Thing

Um ausschließlich die Auswirkung der Schallstückform auf die Trompete zu untersuchen, wäre, wie beim Material, ein Wechselbecher ideal. Im Übersichtsartikel zum Thema gelang das mit der Schagerl Lu5a, die in einer Custom-Variante mit zweitem Becher ausgestattet worden war. Für diesen Test nun sollte der Unterschied im Verlauf vor Becherende genauer untersucht werden und es bedurfte hier einer größeren Differenz. Das passende Schallstück, das einen krassen Gegenentwurf zum Standardschülerbecher von Yamaha (wie eben beim Materialtest) abbilden soll, ist aber in der Praxis viel leichter gewünscht als besorgt. Dann fielen dem TrumpetScout jedoch zwei Trompeten unterschiedlicher Hersteller in die Hände, die eine ordentliche Ähnlichkeit aufweisen, sich aber gerade beim Schallstück extrem voneinander unterscheiden – eine Bach Stradivarius 25 und eine Flip Oakes Wild Thing.

Die schlanke Strad – Bach Model 25.
Eine Trompete vom Typ ‚biggest is best‘ – die Flip Oakes Wild Thing.

Was Bach und Flip Oakes ausmachen: Large Bore plus …

Beginnen wir mit den Gemeinsamkeiten beider Trompetenmodelle: Strad 25 und Wild Thing bewegen sich in der gleichen Gewichtsklasse, die Trompeten trennen 51 Gramm voneinander: Die Bach wiegt 1.135 Gramm, die Flip Oakes 1.084 Gramm. Beide sind aus Gelbmessing gefertigt, haben Neusilberaußenzüge (was man bei der versilberten Oakes leider nicht sieht), einen traditionellen Stimmzug, verfügen (in diesem Fall) über Amado-Wasserventile, haben beide (nachgerüstet) Ventilführungen aus Messing – und sind natürlich beide Amerikanerinnen! Daneben ist ihnen aber auch die große Ventilbohrung gemein. Bei Bach verweist das L auf dem Ventilgehäuse auf 11,74 mm Durchgangsweite, bei Flip Oakes sind es noch einmal deutlich mehr: 11,94 mm. Ja, das ist kein kleiner Unterschied. Nicht einmal eine Bach mit XL-Bohrung (11,89 mm) kommt an dieses Maß heran. Doch wie versierte Leser wissen: Auf die Bohrung als relevante Größe gibt der TrumpetScout nicht viel. Beide Becher sind überdies aus Blattzuschnitt gemacht und einteilig, die Ventile in beiden Trompeten aus Monel gefertigt.

Die Wild Thing ist insgesamt kürzer als die Strad. Kürzer ist das Schallstück aber deshalb nicht: Es beginnt ‚früher‘ und mach Zentimeter im Bogen gut.

Unterschiede sind sicher in der Form des Mundrohres zu finden wie auch bei der Biegung des Stimmzugs (D vs. rund). Da die Wild Thing immer mit mindestens zwei Stimmzügen geliefert wurde, sei gesagt, das im Vergleichstest der kleinste eingesetzt wurde, um nächstmöglich an die Bach heranzukommen. Das bedeutet ein ML-Rohr oben, ein Large-Verlauf im Bogen und eine XL-Durchmesser im Rücklauf. Drunter geht es bei der kalifornischen Lady einfach nicht. Bevor wir uns gleich dem Becher zuwenden, sei zunächst noch der offensichtlichste Unterschied ausgesprochen: Die Bach ist lackiert, die Flip Oakes (leider) versilbert. Besser zu fühlen als zu sehen ist der Wide Wrap der Wild Thing. Sie baut also tiefer, ist dafür knapp 2 cm kürzer. Die Maschine ist etwas zentraler positioniert.

Die große Glocke gegen das Glöckchen

Nun endlich zum Hauptunterschied. Zwischen den Bechern beider Trompeten liegen Welten. Um das zu verdeutlichen und dem Begriff der ‚Größe‘ eine quantitative Dimension zurückzugeben, hat der TrumpetScout den Durchmesser an verschiedenen Stellen gemessen und den Umfang errechnet. Was man mit bloßem Auge bereits erkennen kann, wird dadurch offensichtlich: Das Schallstück der Flip Oakes Wild Thing ist nach zirka der Hälfte nur etwas weiter als das der Bach Stradivarius 25, um dann vor allem im letzten Drittel deutlich an Durchmesser zuzulegen.

 

 

Beide Becher starten gleich (es ging bei der Messung der Außendurchmesser nicht um Hundertstel- und auch nicht um Zehntelmillimeter) aus dem ersten Ventil und verlaufen ähnlich bis knapp über die Hälfte der Schallstücklänge. Signifikant wird der Unterschied im letzten Viertel mit Umfangabweichungen von 9 bis 25 mm, was einem Plus von 11 bis 19 % entspricht. Der Becher weist hier die Tendenz zu einem konischen Trichter auf, wie man ihn für das Umschütten von Flüssigkeiten verwendet. Das unterscheidet ihn von einem typischen Trompetenschalltrichter mit exponentieller Steigung. Am Ausgang der Glocke stehen dann wieder sehr ähnliche Werte, da beide Becher im Randumfang deutlich, aber nicht extrem differieren (122 mm bei der Bach und 127 bei der Flip Oakes).

Mit bloßen Auge erkennbar. Die Flip Oakes tendiert in Richtung Flügelhorn, die 25er Strad in Richtung C-Trompete.

Was ist der Effekt der schnelleren Öffnung?

Die klanglichen Auswirkungen eines größeren Schallstücks werden gemeinhin von seiner mess- und sichtbaren Eigenschaft der Größe abgeleitet: „großer Sound“, „breiter Klang“. Kleine Becher klingen dagegen meist „eng“ oder „spitz“. Blicken wir zunächst einmal auf die Charakterisierungen der unterschiedlichen Bechergrößen, die auf Bach Loyalist vorgenommen werden. So heißt es dort zum 25er Schallstück: „Sharper, slightly tighter and more focused projection than 37“, weiter „Tight, focused sound. Great for lead type playing in night clubs, etc.“ und abschließend „Can be too cutting of a sound in a large group.“ Bei der 72er Glocke am anderen Ende des gängigen Bach-Spektrums steht geschrieben: „Strong, powerful sound, darker tone than 37“, „Nice projection, probably the fullest sounding bell Bach makes. High range sparkles.“ und als Nachteil „Does take more effort to play. Harder to play at soft dynamics with. You will probably find your endurance is better with the 37 or 43 bell.“ Ein schlüssiges Gesamtbild zu den tendenziellen Auswirkungen einer weiteren Geometrie ergibt sich daraus aber immer noch nicht. Hören wir vielleicht zunächst auf die Unterschiede, die sich im TrumpetScout-Vergleichstest zwischen den beiden Amerikanerinnen ergaben:

Unterschiede in Sound, Slotting und Spielbarkeit

Man hört – wenn auch nur in abgeschwächter Form -, dass die Wild Thing vor allem mit dem tieferen Mundstück (Beispiele 1 und 2) weicher, wärmer und runder klingt als die einfach sehr ‚trompetige‘ Bach. In natura ging die Abweichung vom prototypischen Trompetensound sogar soweit, dass die TrumpetScout-Testhörerin das Urteil fällte, es sei gar keine Trompete, sondern ein eigenes Instrument. Und ja, mit einem derartig weiten und tendenziell konischen Schallstück ist die Wild Thing ein Hybridgeschöpf, das die Grenze zum hornartigen Kornett verschwimmen lässt. Im Staccato-Beispiel wird auch deutlich, dass Ansprache und Trennung der Töne bei der engeren Bach definierter (was nicht automatisch schöner sein muss) sind. Hinzu kommt, dass das unter dem großen Querschnitt auch das Slotting leidet. Der letzte Ton in der Oktave aus Beispiel 2 hängt auf der Flip Oakes – als Spieler muss man mit viel mehr Spielraum zurechtkommen und dementsprechend gegensteuern. Das war auch schon bei der Schwestertrompete, der Celebration, zu bemerken.

Selbst mit dem flacheren Mundstück bleibt in der Normallage die Weichheit der Wild Thing als Gegenentwurf des sehr kernigen Bach-Klangs. Geht es allerdings höher, schien die Kalifornierin auf ganz eigene Weise aufzublühen. Zwar nimmt sie auch im tiefen Bereich sehr gut Luft an und klingt dementsprechend voll, doch in der oberen Lage greift die Breite des Tones (als Gegenbegriff zur Zentriertheit der Bach) noch einmal anders Raum. Vom Kornett wird das Ding zum Strahltriebwerk, das gefühlt deutlich lauter ist als die Bach – vor wie hinter dem Instrument. Welcher Ton nun heller und damit obertonreicher ist? Der TrumpetScout möchte an der Stelle auf einen geplanten Artikel verweisen, der sich mit den Begrifflichkeiten rund um den Klang und das zugehörige akustische Fundament, befassen wird. Erst neulich stieß der TrumpetScout jedoch auf einen Vergleich zwischen Bach 37 und 43, der der Trompete mit größerem Becher einen helleren Sound attestierte. Und dem gibt auch der Bach Loyalist recht. Dagegen wird dort der noch größere 65er Becher wieder als extrem dunkel eingestuft. Aber: Gleichzeitig zeichnen sich die berühmten Studio-Trompeten von Domenick Calicchio nicht nur durch ihren obertonreichen Klang aus, sondern eben auch durch einen Becher, der aussieht, als hätte man aus Papier einen Trichter zusammengerollt. Konischer geht es eigentlich nicht. Bis ein Akustikspezialist für Erhellung sorgt, sei dieser Umstand in seiner Komplexität einfach einmal so akzeptiert. Es muss wohl noch genauer analysiert werden, wo exakt sich ein Becher wie öffnet und was dies physikalisch bewirkt.

Doch zurück zu den beiden Trompeten: Die Bach ist aufgrund ihres kernigen Tons, der dennoch auch über Sizzle verfügt, gut als Lead-Instrument geeignet. Der Widerstand ist durchschnittlich. Weder ist das Instrument sehr offen, noch sehr zugeschnürt. Die Wild Thing bietet hier keine besonderen Überraschungen, sie spielt sich freier. Interessanterweise kann sie aber trotzdem auch das oberste Register sehr gut und ließ sich selbst mit dem weitesten Stimmzug und tiefem Mundstück bis ans Ende des Tonumfangs der Trompete gut spielen. Warum trotzdem? Nun, viele Trompeter bevorzugen für das Spiel im oberen Grenzgebiet etwas mehr Widerstand. Die Flip Oakes funktionierte im Test auch beim unangenehmen A3 vergleichsweise gut und gab nie das Gefühl, auf irgendeine Weise den Riegel vorzuschieben. Wie sich das XL-Monstrum allerdings auf lange Sicht auswirkt, konnte der TrumpetScout nicht in Erfahrung bringen. Keine Gigs in Corona-Zeiten bedeuten keine Möglichkeit für Ausdauertests. Ebenso lässt sich schwer sagen, wie die Projektion im Vergleich ausfällt. Die ausgiebige praktische Erfahrung mit der Flip Oakes Celebration legt aber nahe, dass hier eher positive Überraschungen warten als negative.

Ein unmögliches Fazit

Vorneweg: Dem TrumpetScout gefallen beide Trompeten sehr gut und damit auch beide Becherkonzepte. Welche Trompete nun für welchen Einsatzort genau am besten gemacht ist, darüber lässt sich bekanntlich immer streiten, da Geschmack eine große Rolle spielt, das Mundstück und nicht zuletzt der eigene Spieltypus.

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Unbestreitbar ist für den TrumpetScout aber, dass dieses gigantisch weite Schallstück der Flip Oakes den Sound lenisiert – also weich macht – und unter Druck raumerfüllend strahlt. Der enge Becher der Bach 25 hingegen sorgt für trumpet sound at its best: zentriert, kernig und angenehm blechern. Am besten also: beide Varianten zuhause vorrätig halten. Mindestens.